Eimsbüttel. Der einzigartige Club pro linguis an der Rothenbaumchaussee feiert 75. Jubiläum. Helmut Schmidt war ein großer Fan des Vereins.

Wer am Sonnabend die Rothenbaumchaussee passiert, wird auf eine der weißen Villen besonders aufmerksam. Am Zaun zum Vorgarten prangt ein Jubiläumsbanner, vor der Eingangstür blühen weiße und rosafarbene Rhododendren, aus dem Gebäude klingen klirrende Sektgläser und rhythmisch angeschlagene Gitarrensaiten.

Der Sprachenclub pro linguis hat sich anlässlich seines 75. Jahrestages herausgeputzt und zum Tag der offenen Tür eingeladen. Im Inneren spielten sich schon einige nicht ganz alltägliche Geschichten ab.

Liebe zur Sprache – der einzige Sprachclub Europas existiert seit 1956

Seit 1956 ist der erste und einzige Sprachenclub Europas in Hamburg-Ro­therbaum ansässig. Der Verein hatte die 532 Quadratmeter große Villa einst für 80.000 D-Mark von italienischen Kaufleuten übernommen. Auch von innen trifft das 1913 errichtete Gebäude den Charme der sogenannten Gründerzeit. Dunkler Parkettboden, cremefarbene Wände, hohe Decken und großflächige Fenster erzeugen eine Atmosphäre, in der sich nur allzu gut das Flair vergangener Tage erahnen lässt.

So soll früher auch Helmut Schmidt ein häufiger Gast in dem Club gewesen sein. Der Altkanzler habe sich mit dem damaligen Vereinsvorsitzenden Wolfgang Zeidler, späterer Präsident des Bundesverfassungsgerichts, getroffen. Auch Siegried Lenz und der ehemalige Finanzsenator Hans Apel sollen den Treffen regelmäßig beigesessen haben. „Ich kam häufig nichtsahnend in den Raum, wo dann oft bekannte Gesichter gesessen haben. Sie haben Anzug getragen. Es war ein sehr hanseatischer Stil“, erzählt Anneliese Kuck. Die 91-Jährige ist das älteste Mitglied des Vereins. Mit Helmut Schmidt gesprochen habe sie aber nie. „In den späten 1950er-Jahren war der Verein ein sehr elitärer Club. Es herrschte eine diskrete Atmosphäre. Deshalb ist Helmut Schmidt auch oft vorbeigekommen. Er konnte hier weitestgehend unerkannt bleiben“, beschreibt sie.

Zur Völkerverständigung gegründet – für ausschweifende Partys bekannt

Gegründet wurde der Verein, um in den Nachkriegsjahren einen Beitrag zur Völkerverständigung zu liefern. „Damals waren viele Unternehmer, Ingenieure oder auch Architekten, die ihre internationalen Beziehungen pflegen wollten, Mitglied“, führt Kuck aus. Neben dem Erhalt und Austausch verschiedener Sprachen stand vor allem das gesellige Clubleben im Vordergrund. Oft soll es ausschweifende Partys gegeben haben.

„Früher stand hier noch ein Flügel. Wir haben manchmal bis in die Nacht getanzt und in der Küche Schnaps getrunken“, sagt Anneliese Kucks über ihre Erlebnisse mit Ehemann Helgo. Die ehemalige Flugfahrtsgehilfin und der einstiege Schiffsbauer hatten sich in den späten 1960er-Jahren bei einer Ausfahrt des Vereins in Elmshorn kennengelernt. Im September werden beide mit der Ehrenmitgliedschaft ausgezeichnet. Der Verein ist ein zentraler Bestandteil ihres Lebens: „Wenn es etwas zu feiern gibt, haben wir viele internationale Gäste, die wir über diesen Club kennengelernt haben. Das ist alles ein Stück Heimat.“

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Nicht mehr so viel Zeit für Kontaktaufnahme, wie früher

Das Miteinander habe sich in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert, wie sie berichten: „Viele Mitglieder gehen nach den Sprachkursen direkt nach Hause, weil sie noch andere Termine haben. Man nimmt sich für die Kontaktaufnahme nicht mehr so viel Zeit wie früher.“ Dem pflichtet auch die Vorstandsvorsitzende Andrea Druve bei: „Im Gegensatz zu früher gibt es heutzutage sehr viele Freizeitmöglichkeiten“, im Club konzentrierten sich viele Menschen deshalb nur auf eine Sache.“

Auch sie habe zu Beginn lediglich die Sprachkurse genutzt, ehe sie später außerdem das Clubleben zu schätzen lernte. Nach Positionen in der Sprachbetreuung und im Festausschuss ist sie seit nunmehr 15 Jahren Vorsitzende des zwölfköpfigen Vorstands. „Ich bin hier 1986 eingetreten, weil ich mein Englisch und Französisch weiter pflegen wollte. Da ich gerne hier war, habe ich gedacht, dass ich mich auch weiter einbringen könnte“, sagt die 62-Jährige, die mittlerweile fünf Fremdsprachen beherrscht.

Jeder Dozent ist Muttersprachler

In den zehn Lehrräumen werden insgesamt zwölf Fremdsprachen angeboten. Geleitet wird der Unterricht von 38 sogenannten Dozenten, die als freie Mitarbeiter beschäftigt und allesamt Muttersprachler in ihrem Fach sind.

Einer von ihnen ist Martin Luke Burns. Der Sprachlehrer, der auch als Musiker auftritt, unterrichtet bei pro linguis Englisch. „Ich habe zehn Jahre an einer Hamburger Sprachschule gearbeitet. Vor vier Jahren bin ich dann mit diesem Club in Berührung gekommen. Es ist ein toller Verein, der für Toleranz von verschiedenen Sprachen und Kulturen steht.“

Auch ein Ukrainischkurs ist in Vorbereitung

Gefragt ist auch der Russischkurs, der von Maria Mamaeva geleitet wird: „Ich unterrichte Russisch an der Universität Hamburg und bin seit November bei diesem Verein tätig. Die Teilnehmer sind sehr motiviert“, sagt sie. Auch ein Ukra­inischkurs sei in Planung, wie Andrea Druve verrät. „Viele Menschen haben geflüchtete Ukrainer bei sich aufgenommen. Das Interesse ist sicherlich groß.“

Der Unterschied zu einer klassischen Sprachschule besteht laut Druve vor allem in dem Clubcharakter. „Wir zertifizieren hier keine Sprachkenntnisse. Unser Angebot ist dafür umso nachhaltiger, es ist etwas für das Leben. Die Kurse dienen vor allem dazu, die Sprache zu erhalten. Einmal pro Woche Unterricht zu nehmen reicht, um den Vokabelschatz beizubehalten.“

Durch die Pandemie konnte der Unterricht in den vergangenen beiden Jahren weitestgehend nur online stattfinden. Die Mitgliederzahl ist von 1000 auf 600 gesunken. Nun erhofft sich der Vorstand neue Teilnehmende. Dazu beitragen soll unter anderem eine neue Flatrate in dem Sprachclub, mit der Interessierte für 40 Euro im Monat alle Kurse belegen und beliebig wechseln können. Einziges Aufnahmekriterium dafür: Man muss volljährig sein.