Hamburg. Jiffer Bourguignon und Wendy Brown leben in Hamburg und beurteilen kritisch, wie sich die politische Lage in ihrer Heimat entwickelt.

Auch eine Woche nach der Erstürmung des Kapitols in Washington merkt man Jiffer Bourguignon und Wendy Brown die Betroffenheit über die Ereignisse in ihrer Heimat an. „Ich bin nach wie vor fassungslos“, sagt Brown. Und ihre Freundin ergänzt: „Das Kapitol ist ein geradezu heiliger Ort unserer Demokratie. Mir ist es unverständlich, wie das passieren konnte.“

Die beiden Frauen sind in den USA geboren und leben seit vielen Jahren mit ihren Familien in Hamburg. 2020 entwickelten sie gemeinsam einen Podcast, in dem sie über ihr Land und vor allem die Politik diskutieren (das Abendblatt berichtete). „Amerika übersetzt“ wollten die beiden eigentlich nach der Wahl einstellen. Nun planen sie aber weiterhin, ihren Zuhörern jede Woche ihr Land, seine Politik und Gesellschaft zu erklären. „Das Interesse ist wirklich groß. Und es gibt so viele Themen“, sagt Wendy Brown. Gerade haben sie eine neue Folge aufgezeichnet.

Den Abend der Erstürmung haben beide bis spät in die Nacht hinein vor dem Fernseher verfolgt. „Ich wollte mit meinen Kindern die Bestätigung der Wahl von Joe Biden durch den Kongress anschauen, eigentlich ein furchtbar langweiliger Akt“, sagt Jiffer Bourguignon. „Mir ging es aber darum, dass sie etwas über die Demokratie in meiner Heimat lernen.“

Gerade einmal etwa zehn Minuten habe die erste Debatte gedauert, da sei unten ein Hinweis eingeblendet worden, dass Protestierende ins Kapitol gelangt seien. „Ich muss zugeben, dass ich nie darauf gekommen wäre, dass sie wirklich ganz rein gekommen sind.“

Noch in der Nacht telefonierte sie mit ihrem Vater

Doch dann hätten sie Stück für Stück die Bilder gesehen – und seien einfach nur geschockt gewesen. Sofort habe ihr Handy nicht mehr aufgehört zu klingeln. Freunde und Familienmitglieder aus der ganzen Welt hätten sich gemeldet. „Meine Kinder sagen, sie haben mich noch nie so viel SMS schreiben sehen“, sagt die dreifache Mutter, die seit vielen Jahren als Wahlbeobachterin für die OSZE im Einsatz ist. Lange noch habe die Familie diskutiert und die Lage am Fernseher verfolgt. „Ich war erst gegen vier Uhr im Bett.“ Wendy Brown ging es genauso. „Ich konnte einfach nicht fassen, was da gerade in meiner Heimat passiert“, sagt sie. Auch sie habe bis in die frühen Morgenstunden alles am Fernseher und Laptop verfolgt. „Und mir die Finger wundgetippt.“ Allerdings, komplett überrascht habe sie die Gewalt nicht, sagt Wendy Brown, der in Kalifornien zusammen mit ihrem Bruder ein Weinberg gehört. „Es gab im Vorfeld zu viele Anzeichen, dass die Anhänger von Donald Trump etwas planen.“

Die Wahlhamburgerin telefonierte noch in der Nacht mit ihrem Vater, einem bekennenden Trump-Wähler. „Ist es nicht eine Tragödie?“, begrüßte er sie am Telefon. Aber anders als sie habe er nicht die Ereignisse in Washington gemeint, sondern die in Georgia. „Dort hatten sich ja die beiden Demokraten bei der Senats-Stichwahl durchsetzen können, das war für ihn die schlimmste Nachricht des Tages.“

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Ihr Vater habe große Angst vor den Möglichkeiten der Demokraten, die nun in beiden Häusern die Mehrheit hätten. „Die Vorgänge des Abends haben ihn dagegen gar nicht so betroffen gemacht. Die Ausschreitungen bei den Black Lives Matter Demonstrationen seien doch viel schlimmer gewesen, hat er ganz lapidar zu mir gesagt.“ Wendy Brown zuckt die Achseln. „Das ist leider die Meinung vieler Republikaner.“

Trump-Wähler fürchten sich vor dem „Sozialismus“

Auch Jiffer Bourguignon hat eine ähnliche Diskussion mit ihrem Vater hinter sich. „Auch er sagte, die Ausschreitungen im Sommer seien doch viel schlimmer gewesen.“ Und auch ihn plage vor allem die Sorge vor dem „Sozialismus“, der jetzt mit Joe Biden im Weißen Haus einziehe. „Und wir fürchten, dass viele der Trump-Wähler so denken“, sagt sie.

Vor der Inauguration in der kommenden Woche haben die beiden Amerikanerinnen große Bedenken. „Es gibt viele Hinweise, dass es zu Gewaltausbrüchen kommen kann“, sagt Wendy Brown. Und das nicht nur in Washington, sondern auch in den einzelnen Bundesstaaten. „Unsere Freunde in der Hauptstadt wollen an dem Mittwoch möglichst zu Hause bleiben. Die Kinder kommen alle mittags schon aus der Schule. Alle meiden den Innenstadtbereich“, sagt Jiffer Bourguignon. Schließlich hätte es Äußerungen gegeben, man wolle das, was man in der vergangenen Woche angefangen habe, zu Ende bringen. „Da gibt es online Berichte über Morddrohungen und Pläne zu Entführungen einzelnen Politiker.“

Bidens Rede bei Amtseinführung entscheidend

Beiden bereiten die Entwicklungen in ihrer Heimat große Sorgen. „Biden hat eine schier unmögliche Aufgabe vor sich, die Nation wieder zu versöhnen“, sagt Wendy Brown. Dafür sei seine Rede bei der Amtseinführung entscheidend. „Er muss die Balance finden, wie er sowohl die Demokraten anspricht als auch für die Republikaner versöhnlich klingt, während er gleichzeitig klar sagt, dass Lügen und Aufstand nicht zur Demokratie gehören.“

Sie hoffen, dass er das schafft. „Wenn einer das schaffen kann, dann am ehesten ein Moderater wie er“, sagt Jiffer Bourguignon noch.