Hamburg. Der Hamburger Mäzen Jan Philipp Reemtsma wurde vor seiner Villa überfallen. Klaus Püschel war einer der ersten am Tatort.

Es gilt als eines der spektakulärsten Verbrechen in Deutschland: die Entführung des Hamburger Millionärs und Mäzen Jan Philipp Reemtsma, der vor seiner Villa in Hamburg überfallen und verschleppt wurde und schließlich nach wochenlanger Gefangenschaft gegen ein Rekordlösegeld freikam.

Und dann ist da einer seiner Geiselnehmer, dessen Leben etliche Jahre nach der Verbüßung seiner Haftstrafe an der portugiesischen Algarve endete – dort, wo die Küste bis zu 40 Meter steil ins Meer abfällt. Es ist der Ort, der als das „Ende der Welt“ gilt.

Püschel erzählt vom Anfang der Reemtsma-Entfürhung

„Der Anfang und das Ende: Ich war in beide Geschehnisse, die 18 Jahre auseinanderliegen, involviert“, sagt Rechtsmediziner Klaus Püschel im Abendblatt-Crime-Podcast „Dem Tod auf der Spur“ mit Gerichtsreporterin Bettina Mittel­acher. „Bei der Entführung des Hamburger Millionärs und Sozialforschers Jan Philipp Reemtsma am 25. März 1996 war ich einer der Ersten, die in das Verbrechen eingeweiht wurden, und einer der Ersten am Tatort.

Und den Schluss markierte meine Reise an den Ort, der als das Ende der Welt bezeichnet wird – und der auch das Ende von Wolfgang Koszics markierte. Er war einer der Entführer Reemtsmas. Die Frage war: War der Tod von Koszics, der die berühmten Klippen an der portugiesischen Algarve herunterstürzte, ein Suizid? Oder war es ein raffinierter Mord, bei dem der 72-Jährige den Steilhang hinuntergestoßen wurde?“

Reemtsma-Entführung: Geiselnehmer ließen Handgranate zurück

„Denkbar als Motiv wäre gewesen, dass ein unberechenbarer Mitwisser und Mittäter an einem der längsten und aufsehenerregendsten Entführungsdramen der deutschen Kriminalgeschichte beseitigt werden sollte“, erklärt Mittelacher. „Das war eine Theorie.“ Das Autoren-Duo hat diesen Fall auch in seinem Krimi-Sachbuch „Tote lügen nicht“ dargestellt.

Bei der Entführung Reemtsmas von seinem Blankeneser Grundstück haben die Geiselnehmer eine Handgranate zurückgelassen, die als Art Briefbeschwerer für einen Zettel fungierte. „Ich habe den Originalzettel damals noch gesehen“, schildert Püschel. „Wir haben Herrn Reemtsma entführt“, heißt es in dem Schreiben, verbunden mit einer Lösegeldforderung.

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Reemtsma wurde fünf Wochen in Kellerraum eingesperrt

Die Täter sperrten ihr Opfer in einem Kellerraum in einem Haus bei Bremen ein. Fünf Wochen muss der Literaturwissenschaftler in der Gewalt seiner Peiniger in dem stickigen Raum ohne Tageslicht ausharren.

Dann wird er endlich, nach Zahlung eines Lösegelds von 30 Millionen D-Mark, freigelassen. „Für das Opfer ist es eine Zeit der Angst, des Ausgeliefertseins gewesen, der Ungewissheit, welches Schicksal ihm drohen werde“, erzählt Mittelacher. „Reemtsma hat darüber ein sehr nachdenkliches, beeindruckendes Buch mit dem Titel ,Im Keller‘ geschrieben. Da ist die Sorge, zurückgelassen zu werden in diesem Verlies, angekettet, hilflos – und nur noch auf den langsamen Tod warten zu können.“

Bettina Mittelacher und Klaus Püschel sind dem Tod auf der Spur.
Bettina Mittelacher und Klaus Püschel sind dem Tod auf der Spur. © Hamburger Abendblatt | Hamburger Abendblatt

Im Prozess sieht Reemtsma seinen Entführern ins Auge

Nach Reemtsmas Freilassung kommen die Ermittler auf die Spur seiner Entführer. Zwei von ihnen werden einen Monat nach dem Verbrechen in Spanien gefasst und 1997 vom Hamburger Landgericht zu Haftstrafen von fünf beziehungsweise zehneinhalb Jahren verurteilt. Haupttäter Thomas Drach wird 1998 von Zielfahndern in Argentinien aufgespürt. 2001 erhält er vor dem Landgericht eine Freiheitsstrafe von 14 Jahren und sechs Monaten.

„Ich möchte denen gerne ins Auge sehen“, hat Reemtsma nach seiner Geiselnahme über seine Entführer gesagt. Im Prozess gegen die Täter tut er es. „Alles verliert seine Selbstverständlichkeit“, schildert er dort die Folgen des Verbrechens für sich und seine Familie. „Ständig ist da die Sorge, dass die Welt auch an jeder anderen Ecke wieder einbrechen könnte.“

Entführer Reemtsmas stirbt in Portugal – Püschel reist an

Wolfgang Koszics, einer der Entführer Reemtsmas, kommt 2011 aus der Haft frei. 2014 reist er nach Sagres in Südportugal. Vier Tage später ist er tot, herabgestürzt von einer Klippe, später an einem Strand der Steilküste angespült. Doch erst Monate später wird der Leichnam identifiziert, werden die deutschen Ermittlungsbehörden kontaktiert.

Nun soll herausgefunden werden: Was genau hat den Sturz verursacht? Hat er selber seinem Leben ein Ende setzen wollen und ist gesprungen? Oder ist nachgeholfen worden? „Die Spurensuche hat den damaligen Leiter der Ermittlungen, Christian Meinke, zusammen mit mir an die Algarve geführt, wo wir gemeinsam am Ort des Geschehens recherchierten“, erinnert sich Püschel.

„Beim Sektionsbericht der Portugiesen, die nach dem Auffinden des Körpers im Februar 2014 eine Obduktion durchgeführt haben, sind einige Fragen offen geblieben. Ich konnte die Todesursache eindeutig feststellen: Es war Ertrinken in Kombination mit zahlreichen Knochenbrüchen und Organzerreißungen infolge des Sturzes aus großer Höhe.“ Im Ergebnis sprach nichts dagegen, dass Koszics tatsächlich Suizid begannen hat. Möglicherweise ist für ihn dieser Abgang einfacher gewesen, als sein Leben fortzuführen. Mehrfach hatte er anderen gesagt, dass ein Leben in bescheidenem Maßstab ohne Geld nicht lebenswert sei.