Hamburg. Altmarxisten und „Sekte“ streben nach Macht im Vorstand. Warum der Ukraine-Krieg die Partei in Hamburg zu spalten droht.
Als zurückhaltend war Andreas Grünwald unter Linken noch nie bekannt – aber so stark wie dieser Tage hat er seine Partei lange nicht in Wallung gebracht. Der Mittsechziger aus Wilhelmsburg, der sein Geld mit besonderen Touristentouren durch Hafen und Stadt verdient, ist seit den 1970ern politisch aktiv.
Mal war der bis heute bekennende „Altmarxist“ bei den frühen Grünen oder der DKP, dann bei der PDS und seit deren Gründung in der Linkspartei. Grünwald gilt als guter Redner und weiß auch das geschriebene Wort effektvoll zu setzen. Deswegen hat er in der Linken viele Anhänger – was man auch bei Facebook verfolgen kann, wo er für seine fundamentalistischen Thesen oft Applaus bekommt.
Parteilinker Grünwald setzte Grundsatzanträge durch
Ende März haben Grünwald und seine Mitstreiter fast alle ihrer Anträge bei einem Linken-Parteitag durchgesetzt – sogar einen Leitantrag, in dem sie die „Aufgaben der Linken“ neu definierten. Viele gehen daher davon aus, dass der Wilhelmsburger nun erneut versuchen wird, bei den Vorstandswahlen im September die Parteiführung zu übernehmen – oder zumindest eigene Mitstreiter in den Vorstand zu befördern. Tragende Bündnisse hat er bereits geschmiedet.
Für seine Gegner aus dem Reformer- oder Realpolitiker-Lager wäre ein Sieg des linken Parteiflügels eine mittlere Katastrophe. Manche reden bereits von der Spaltung der Partei in Hamburg und wähnen sich in einem „letzten Kampf“ ums Überleben. Grünwald kann das nicht nachvollziehen. „Die zuletzt auch in der Bundespartei dominierenden Reformer sind doch klar gescheitert, das zeigen ja die Wahlergebnisse“, sagte er dem Abendblatt. „Deswegen kann ich gar nicht verstehen, was die jetzt für ein Schreckgespenst aufbauen.“
Altmarxist mit Nähe zu Rechten und Querdenkern?
Von moderaten Linken wird Grünwald schon länger kritisch beäugt – auch weil er sich angeblich nicht scheue, mit Rechten gemeinsame Sache zu machen. So zitierte ihn die „taz“ 2015 im Zusammenhang mit angeblich auch von Rechten und Antisemiten besuchten Friedensmahnwachen zum Ukrainekonflikt mit der Bemerkung, er träume davon, „einfach mal die Zwänge fallen zu lassen“ und sich „mit Konservativen und Rechten mit Nato und EU anzulegen“.
In der Corona-Krise übte Grünwald immer wieder Kritik an Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie – und stellte sich damit gegen die von Reformern und Realos dominierte Bürgerschaftsfraktion. Dabei machte er sich nach Meinung seiner Kritiker auch mit Querdenkern gemein – etwa indem er Demonstrationen gegen die Pandemiepolitik oder Veranstaltungen lobte, bei denen angeblich auch Querdenker auftraten.
2020 nannte Hackbusch ihn einen "Hallodri" und er scheiterte
Grünwald weist die Vorwürfe mangelnder Distanz nach rechts entschieden zurück. Die „taz“ habe sein Zitat aus dem Zusammenhang gerissen, sagt er. Schon mitten in der Pandemie im September 2020 hatte Grünwald versucht, sich zum Landeschef der Linken wählen zu lassen – war aber gescheitert, nachdem der Bürgerschaftsabgeordnete Norbert Hackbusch ihn als „Hallodri“ bezeichnet und vor seiner Wahl gewarnt hatte. Nun aber könnte er einen neuen Anlauf nehmen.
Seine Chancen bei der Vorstandswahl im September stünden wohl nicht schlecht. Denn Grünwald und seinen marxistischen Freunden ist es gelungen, sich mit der neuen Formation „Quo Vadis“ in der Linken eine stabile Basis zu organisieren. Ihr Ziel ist ein Zurück der Partei zu Grundsätzen ihres „Erfurter Programms“ von 2011. Oder wie es der Bürgerschaftsabgeordnete Metin Kaya bei einer „Quo Vadis“-Veranstaltung zitierte: „Wir wollen das System nicht heilen, sondern müssen es überwinden.“ Mithin: Der Kapitalismus soll weg, er ist und bleibt die Wurzel aller weltlichen Übel.
„Liste Links hat einen sektenartigen Charakter“
„Quo Vadis“ kooperiert mittlerweile nicht nur mit den linksorthodoxen Friedensbewegten aus dem Hamburger Forum, von denen viele eine Hauptverantwortung für den Ukrainekrieg noch immer bei Nato und USA sehen. Grünwald und Co. haben auch ein Bündnis mit der Gruppe geschmiedet, die in der Partei von vielen als „die Sekte“ bezeichnet wird – nämlich der „Liste Links“ (LL). Die LL, gegründet in den 90ern von einem mittlerweile mehr als 60-jährigen früheren Langzeitstudenten, rekrutiert seit Jahrzehnten erfolgreich Studierende an der Uni. „Die LL hat einen sektenartigen Charakter“, sagt der Linke Patrick Walkowiak, der das Treiben der Gruppe in einem Artikel für das Mitgliedermagazin „Mittenmang“ analysiert hat.
„Da werden gezielt Leute angesprochen, die an der Uni keinen Anschluss finden.“ Diesen oft aus der Provinz und aus wohlhabenden Elternhäusern stammenden jungen Studierenden würden irgendwann Zimmer in LL-eigenen WGs angeboten, man indoktriniere sie mit der „Karikatur einer linken Revolutionsideologie“ – und sie müssten einen Teil ihres Geldes abführen, so Walkowiak. Manche kämen aus der „Sekte“ nie mehr oder nur mit psychischen Schäden wieder heraus.
"Rhetorik immer auf Zerstörung gerichtet"
Da die LL schon so lange existiere, sei die Gruppe bestens vernetzt. Bei Parteitagen stelle sie oft ein Drittel der Delegierten, was ihr große Macht gebe. Ihre revolutionäre Rhetorik sei nie auf konkrete Ergebnisse, sondern immer nur auf Zermürbung und Zerstörung gerichtet. Mithin: Es komme bei all dem Gerede am Ende nie etwas Konkretes heraus.
Für Grünwald, in dessen Bezirk Mitte LL besonders stark ist, sind die Vorwürfe „uralt und unbelegt“. Früher hätten Leute aus dem KBW wie die heutige Reformerin und Ex-Bürgerschaftsvizepräsidentin Christiane Schneider als Sektierer gegolten, so Grünwald. „Der Begriff ist unsinnig und rein polemisch.“
Reichen Reformen oder muss das "System" weg?
Unabhängig von solchen Strukturproblemen machen auch die Inhalte der Linken zu schaffen. Lange hat die von Sahra Wagenknecht angezettelte Debatte über den Umgang mit Flüchtlingen und ihre gefloppte Bewegung „Aufstehen“, an der auch Grünwald mitwirkte, die Partei belastet. Hinzu kommt der Dauerstreit zwischen den Reformern, die eine Regierungsbeteiligung für sinnvoll halten, und den Fundis, die das „System“ durch außerparlamentarische Kooperationen „überwinden“ wollen und denen Parlamentsarbeit eher suspekt ist.
Corona und die Debatten um eine Impfpflicht haben es auch für Die Linke nicht leichter gemacht. Und dann sind da noch die miserablen Wahlergebnisse, die Zerwürfnisse im Saarland, der Austritt Oskar Lafontaines, nun auch noch Vorwürfe sexueller Übergriffe in Hessen und der Rücktritt einer der Bundesvorsitzenden. Auch in Hamburg gab es zuletzt mehr Aus- als Eintritte. Der Einmarsch Russlands in die Ukraine könnte der schwer angeschlagenen Linken nun den letzten Haken zum K. o. verpassen – zu unterschiedlich wird der Krieg von den Flügeln in der Partei gedeutet.
Sind vor allem USA und Nato schuld am Ukraine-Krieg?
Es ist kein Zufall, dass das Thema nun auch in Hamburg zur Eskalation unter Linken führte. Anlass war ein Rundbrief des Hamburger Forums mit Aufruf zum diesjährigen Ostermarsch der Friedensbewegung. Darin wird der Krieg vor allem der Nato und den USA angelastet, die Bundesregierung mit „Kriegskanzler“ Scholz wird aufgrund von Waffenlieferungen als „Vasall“ der USA kritisiert, die „Russland in die Knie zwingen“ wolle. Diese krude Sichtweise teilen angesichts von Putins Offensivkrieg auch bei den Linken wohl nur wenige. Gleichwohl beschloss der Linken-Parteitag Ende März einen auch von Grünwald eingebrachten Aufruf, am Ostermarsch teilzunehmen.
Der Hauptfeind stehe stets im eigenen Land, deklamierte Grünwald bei Facebook die sattsam durchgekaute Altkommunisten-Rhetorik. Er nahm auch Ältestenratsmitglied und Ex-DDR-Regierungschef Hans Modrow in Schutz, der öffentlich gemutmaßt hatte, man habe es womöglich nicht mit einem Einmarsch der Russen zu tun – sondern mit einem „Bürgerkrieg“ gegen „faschistische Elemente im Westen der Ukraine“. Als Ex-Bürgerschaftsvizepräsidentin Christiane Schneider in der „Mopo“ entgegen dem Parteitagsbeschluss wissen ließ, sie werde nicht am Ostermarsch teilnehmen, da der Aufruf viele Menschen abschrecke, ging Grünwald sie bei Facebook hart an.
Vergewaltigungs-Vergleich sorgt für Aufruhr in der Partei
Schneider habe Die Linke „vergewaltigt“, schrieb Grünwald – und drohte mit Blick auf die Vorstandswahlen: „Ab September ist Schluss in Hamburg mit diesem bellizistischen Kriegsgeschrei.“ Dafür fing sich der ältere weiße Herr von der Elbinsel eine harte Rüge der Linken-Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Feminismus. Die Nutzung des Begriffs „vergewaltigt“ in so einem Kontext trage „zu einer Kultur bei, die sexualisierte Gewalt und Übergriffe nicht ernst nimmt“, schrieb die LAG in ihrem Newsletter ans Parteivolk. „Je weniger jemand sich tatsächlich gegen sexualisierte Gewalt engagiert, desto genialer wird er oder sie die Metapher ,Vergewaltigung‘ finden.“
Grünwald änderte sein Posting zwar. Bei manchen Linkenfrauen blieb gleichwohl der Eindruck eines Machos, der sich gern auf die Brust trommelt. Es sei überdies interessant, dass ausgerechnet angebliche Pazifisten oft besonders hart zulangten. Auch in der Sache gab es Widerspruch.
„Ich fand die Kritik am Ostermarsch richtig“, sagte die Bürgerschaftsfraktionschefin Cansu Özdemir. „Man muss sich parallel auch von Russland distanzieren.“ Ihre Co-Vorsitzende Sabine Boeddinghaus nannte es „absolut zerstörerisch, dass wir unsere Kämpfe in sozialen Medien ausfechten“. Es sei wichtig, respektvoll zu kommunizieren.
„Die Vernünftigen müssen sich jetzt zusammenraufen"
Viele Jüngere in der Partei haben ohnedies längst keine Lust mehr auf die eitlen altideologischen Schlachten von 60- oder 70-Jährigen, die sich oft schon seit Jahrzehnten persönlich angiften. „Die Vernünftigen müssen sich jetzt zusammenraufen, um die Partei zu retten“, sagt etwa der 29-jährige Landesschatzmeister Julian Georg, der zum neuen Zusammenschluss „Praktisch Links“ gehört.
Dieser Gruppe geht es nicht nur dem Namen nach in erster Linie um praktische Politik. Ihre Mitglieder organisieren Corona-Impftermine oder Haustürwahlkampf – und sie sind gerade erst nach Polen an die ukrainische Grenze gefahren und haben Spenden für Geflüchtete abgeliefert. Politikwissenschaftler Georg, der als Digitalisierungsberater arbeitet und früher die Fraktion in Wandsbek führte, gilt mittlerweile als ein möglicher Kandidat der Realos für die Vorstandswahl im September.
„Ich will praktische Politik, keine Revolutionsdebatten“
Auch andere fordern mehr Pragmatismus. „Ich komme aus einer zugewanderten Arbeiterfamilie, die immer zu kämpfen hatte. Wir brauchen praktische Politik für solche Menschen, keine sinnlosen Revolutionsdebatten“, sagt Patrick Walkowiak, der an der renommierten London School of Economics seinen Master in Politökonomie macht und gerade den Hilfstransport nach Polen begleitet hat. „Es sind viele junge Leute eingetreten, die etwas bewegen wollen. Deren Engagement wird durch Liste Links und alte ideologische Kämpfe kaputtgemacht. Das dürfen wir nicht länger zulassen.“
Auch der Landesvorsitzende Keyvan Taheri fordert einen Generations- und damit Themenwechsel. „Es sind die jahrelangen Konflikte zwischen den älteren Mitgliedern, die nicht nur auf der politischen Ebene, sondern auch auf der persönlichen Ebene ausgetragen werden“, sagte er dem Abendblatt. „Das schafft bei den neueren Mitgliedern eine Überforderung und eine Unfreiheit.“ Andreas Grünwald sagte dem Abendblatt nun zwar, er habe gar nicht vor, selbst für den Parteivorsitz anzutreten, er plädiere dafür, dass die jetzige Führung weitermache.
"Wir kämpfen gegen die Irren", sagen die Realos
Das aber beruhigt die Gegenseite kaum. Denn letztlich geht es nicht um Personen, sondern um einen Richtungskampf. Also darum, ob weiter die Realos, also die pragmatischen Reformer, den Ton angeben – oder die marxistischen Fundis übernehmen, die das ganze Gesellschaftssystem „überwinden“ wollen.
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Es gehe jetzt um den Kampf der „Vernünftigen gegen die Irren“, sagt ein Realo, der sich selbst natürlich zu Ersteren zählt. Andere behaupten, dass die Fundis um Grünwald nur laut, aber nicht wirklich stark seien. Sie hätten gar keine Mehrheiten, der März-Parteitag sei eine Ausnahme gewesen. Ob das stimmt oder solche Aussagen nur ein letztes Realo-Pfeifen im Linkenwald sind, wird sich bald zeigen. Eine Vorentscheidung fällt, wenn nun in den Bezirken die Delegierten für den Parteitag gewählt werden.
"Es gibt noch immer einen Platz für Die Linke in der Politik"
Manche in der jungen Partei fragen sich längst, ob ihr Engagement in Parlament und Gremien sich noch lohnt. Der Ex-Parteichef und Bürgerschaftsabgeordnete David Stoop versucht ihnen (und sich) Mut zu machen. „Wir haben eine Regierung, die Klimaziele verpasst und das größte Aufrüstungspaket verabschiedet, während sie die Rente an die Wand fährt“, sagte er dem Abendblatt. „Es gibt also Platz für Die Linke.“ Auch Hamburgs Co-Parteichefin Zaklin Nastic zwingt sich zum Optimismus. Immer mehr Mitglieder würden den Ernst der Lage erkennen. „Ich komme ja aus Polen“, so Nastic, „deswegen sage ich: Noch ist Polen nicht verloren.“