Hamburg. Sopranistin Julia Wachsmann hat für das Planetarium visuelles Familienhörspiel entworfen – mithilfe ihrer „kleinen Dramaturgen“.

Bei Julia Wachsmann gehen die bekannten Gleichungen des
Familienlebens etwas anders auf. Zwar fühlt auch sie die unumstößliche Wahrheit „vier Kinder – wenig Schlaf“, aber bei Kretschmer-Wachsmanns heißt es zu Hause auch „vier Kinder – viel Kreativität“. Und zwar bei der Mutter. Denn obschon Wachsmann passionierte Mama ist, so bleibt sie auch Künstlerin: Sopranistin, Autorin, Hörspielproduzentin.

Zu Hause in Blankenese geht es deshalb nicht nur um neue Wasserfarbenbilder und Knetskulpturen der jüngeren Generation, sondern es entstehen im Konglomerat von Corona, Chaos und Kinderlärm ganze Hörspiele. Solche, die man dann auch noch ansehen kann. Im Planetarium im Stadtpark läuft gerade ihre zweite Produktion „Der kleine
Häwelmann“ – noch für die nächsten drei Jahre und bald auch in weiteren Planetarien Deutschlands wird dieses vertonte und visuelle Stück zu sehen sein. „Ein Märchen von Theodor Storm, das er einst für seinen Sohn Hans schrieb. Das aber auch ein Gleichnis ist für unsere Gesellschaft, als bräuchten wir immer mehr, mehr, mehr“, sagt Wachsmann, die seit zehn Jahren mit Immobilieninvestor Klausmartin Kretschmer verheiratet ist, im Abendblatt-Podcast.

Der „Häwelmann“ erzählt von einem Kleinkind, das nicht einschlafen kann; zu aufregend ist alles, was in der Welt um ihn herum geschieht. „Mehr, mehr, mehr“ soll es sein. Und während seine Mutter, die ihn in seinem Rollenbettchen noch eine Weile hin und her gefahren hat, bereits fest eingeschlafen ist, sieht der Mond durchs Fenster und bemerkt, dass sich das Kind mit seinem Nachthemd ein Segel gebaut hat – und die aufregende Märchenreise beginnt.

Vom Alltags-Mantra zum Hörspiel

Für viele bedeuteten die Lockdowns eine rasante Fahrt ins
Familien-Innere – so auch für Wachsmann. Die Kernfamilie zusammen zu Hause. „Während dieser Zeit kam mir das ,mehr, mehr, mehr‘ wie ein Mantra vor, ich war ja in meinen alltäglichen Routinen komplett ausgebremst“, sagt Wachsmann. Ihre vier Kinder, ein Grundschulkind, Zwillinge und ein Baby, betreute sie in dieser Zeit fast ausschließlich allein, da ihr Mann über sechzig Jahre alt ist. „Meinen Mann Klausmartin hatte ich zur Vorsicht gebeten, aufs Land zu gehen, als noch sehr wenig über das Virus bekannt war.“

In diesem Ausnahmezustand, der sich, wie Wachsmann sagt, „glücklicherweise viel im Garten abspielte“, kamen ihr die Ideen für das Musikstück: Ihre Eindrücke der Zeit, gepaart mit Erinnerungen daran, dass ihr selbst von ihrer Mutter oft Storms Märchen vorgelesen wurde, „das wollte ich noch einmal sichtbar machen“, sagt die 42-Jährige. Und ihre Brut war da Antrieb, gab eher Kraft, als dass sie ihr diese entzog: „Ich brauchte immer einen Beat, ein Grundrauschen um mich herum, um kreativ zu sein. Das war schon immer so, ich brauche Turbulenzen, um fokussiert arbeiten zu können.“ Im Chaos entstehe etwas, auf ihrem goldenen Notizblöckchen notierte sie Geistesblitze zwischendurch. „Dadurch, dass ich jetzt mit Kinderaugen die Welt sehen kann, kommen mir diese Ideen.“

Lange Sprachnachrichten statt Zoom-Konferenzen

Um mal eine halbe Stunde fokussiert nachdenken zu können, verhandle sie mit ihren Kindern Auszeiten für sich und verrät: „Ich arbeite viel mit Sprachnachrichten. Ich kann mich nicht an Mails setzten und Konzepte schreiben und kann nicht Zoom-Meetings haben, wenn im Hintergrund vier Dreikäsehoche rumturnen. Da braucht man Arbeitspartner, ein Gegenüber, das da mitmacht und Verständnis hat.“ Mitstreiter, das sind Bernd Begemann sowie Hamburger Künstler wie Annett Louisan, Tetje Mierendorf und Nadine Schreier.

Ihre Kinder waren involviert in den künstlerischen Schaffensprozess. Sie waren „kleine Dramaturgen“, haben die Illustrationen mit ausgewählt, und dadurch ist das Stück besonders kindgerecht gelungen. Dennoch, die Corona-Pandemie beeinträchtigt auch ihre Kinder, gerade ihren Großen, das fällt Wachsmann auf. Er litt unter dem Distanzunterricht. „Der Schulalltag ist für ihn großartig, er liebt seine Freunde. Ich habe dann an ihm eine Melancholie entdeckt, die ich nicht kannte.“ Ihr fehle die Leichtigkeit für die Kleinen, die Spontaneität im Alltag: „Ich wünsche ihm so sehr, dass er einfach ins Kino reinrennen und sein Popcorn futtern kann“ – stattdessen mache er sie darauf aufmerksam, dass sie Abstände richtig einhalten solle.

Positiv und deutlich ist Wachsmann in dieser ganzen Zeit geworden, dass ihre Kinder zusammenhalten. Auch gern im Team gegen die Eltern. Genau so solle das sein. Und dann ist es auch egal, ob drum herum eine Pandemie tobt. Währenddessen macht Julia Wachsmann ihn sichtbar, den Beat ihrer Kinder.