Hamburg. Dass der Senat Geimpften und Genesenen in der Corona-Pandemie durch das 2G-Modell mehr Rechte einräumt, wird hitzig debattiert.
Das Thermometer kletterte zwar kaum über null Grad, aber bei dem, was Peter Tschentscher an diesem 3. Dezember erblickte, wurde ihm doch warm ums Herz. „Wenn es hier losgeht, ist der Wendepunkt erreicht.“ Der Ort, an dem der Bürgermeister das sagte, war das Impfzentrum in den Messehallen, das zu dem Zeitpunkt im Aufbau war.
Als er ein Dreivierteljahr später an diesem Freitag kurz vor der Schließung der Einrichtung Bilanz zog, fiel diese wenig überraschend sehr erfreulich aus. Es war immer die Überzeugung des Senatschefs, dass nur die möglichst flächendeckende Immunisierung der Bevölkerung einen Ausweg aus der Corona-Pandemie bieten kann.
Corona: Hamburg führt 2G-Optionsmodell ein
Deshalb, und weil der erhoffte „Wendepunkt“ zwar in Sicht, aber immer noch nicht erreicht ist, hat Tschentschers rot-grüner Senat am Dienstag eine wegweisende Entscheidung getroffen: Als eines der ersten Bundesländer führt Hamburg ein 2G-Optionsmodell ein: Alle Veranstalter und Betreiber können von diesem Sonnabend an entscheiden, ob sie nur noch Geimpften und Genesenen (2G) Zutritt gewähren und dafür viele Beschränkungen nicht mehr beachten müssen, oder ob sie bei 3G bleiben und auch Ungeimpfte mit einem negativen Test empfangen.
Wie kaum eine Corona-Entscheidung des Senats zuvor wird diese debattiert. Sehen die einen darin die einzige Chance, endlich zur Normalität zurückzukehren, fürchten die anderen eine Spaltung der Gesellschaft und eine Diskriminierung derjenigen, die sich nicht impfen lassen wollen oder können. Genährt wird die Diskussion von einigen Merkwürdigkeiten.
Von „Mr. Vorsicht“ zu „Mr. Vorreiter“?
Hamburgs Bürgermeister hat sich im Laufe der Pandemie den Ruf erworben, eher im „Team Vorsicht“ zu spielen. So hatte er schon im Winter vor der dritten Welle gewarnt und dringend von Lockerungen abgeraten, hatte im Frühjahr als erster Länderchef konsequent die „Notbremse“ gezogen und auch im Sommer noch an gewissen Beschränkungen wie der Maskenpflicht in ÖPNV und Klassenräumen festgehalten.
Das hat die Stadt zwar nicht davor bewahrt, dass aufgrund des frühen Ferientermins die Infektionszahlen hier auch schneller wieder stiegen als in den anderen Ländern. Aber dass ausgerechnet Hamburgs sonst so vorsichtiger Bürgermeister nun etwas möglich macht, was es bundesweit so ähnlich nur noch in Niedersachsen gibt, überrascht doch. Wird Tschentscher von „Mr. Vorsicht“ zu „Mr. Vorreiter“?
Tschentscher rechtfertigt 2G-Option
In seinem Umfeld wird das zurückgewiesen. An der Haltung des Bürgermeisters habe sich nichts geändert. Für 2G gebe es drei konkrete Gründe: Erstens könne man angesichts einer Impfquote von 60 Prozent dieser Gruppe gewisse Grundrechtseinschränkungen nicht mehr zumuten. Zweitens sei 2G sogar sicherer als 3G, weil sich Ungeimpfte nicht mehr so leicht anstecken können, und drittens helfe das Modell, einen erneuten Lockdown zu vermeiden.
Ähnlich drückte es Tschentscher selbst aus, als er gefragt wurde, warum ausgerechnet er angesichts einer vierten Welle Tanzen erlaube. „Die 2G-Option ist viel, viel sicherer als das, was wir mit diesen Tests veranstalten“, sagte der Bürgermeister. Dass er damit in gewisser Hinsicht zum Vorreiter werde, stritt er nicht ab, meinte aber auch: „Ich bin sicher, dass das der Gang der Dinge ist und andere Bundesländer folgen werden.“
Was wurde aus dem PCR-Vorstoß?
Vor der Ministerpräsidentenkonferenz Anfang August hatte Tschentscher noch für ein 3G-Modell geworben, in dem Ungeimpfte mittels eines negativen PCR-Tests den gleichen Status wie Geimpfte und Genesene erreichen können – zumindest was den einmaligen Zugang zu bestimmten Einrichtungen angeht. Damit wollte der Bürgermeister verhindern, dass die vergleichsweise unsicheren Schnelltests weiter diese Rolle einnehmen. Damit konnte er sich unter Bund und Ländern aber nicht durchsetzen. Doch warum hat Tschentscher das dann nicht in Hamburg im Alleingang eingeführt?
Einen Grund nannte der Bürgermeister am Dienstag selbst: Ungeimpfte seien besonders gefährdet, sich zu infizieren und schwer zu erkranken, daher sollten sie sich möglichst gar nicht unter viele Menschen begeben. Ein zweiter Grund sei juristischer Natur, heißt es aus der Sozialbehörde.
„3G-Plus-Modell“ könnte Alternative sein
Die „Bürgertests“ würden auf einer Rechtsverordnung des Bundes basieren, der ja auch die Kosten dafür trage – jedenfalls bis Mitte Oktober. Das könne Hamburg nicht im Alleingang ändern.
Kann es doch, sagen andere, etwa Deniz Celik, Gesundheitsexperte der Linken in der Bürgerschaft. Die Stadt müsste dann halt nur anstelle des Bundes die Kosten für diese PCR-Tests tragen. Er fordert daher den Senat auf, über so ein „3G-Plus-Modell“ nachzudenken: „Von Geimpften, Genesenen und auch von Menschen mit einem aktuellen, negativen PCR-Test geht kein nennenswertes Infektionsrisiko aus“, so Celik.
War das 2G-Modell nicht abgestimmt?
Obwohl fast alle Wirtschaftszweige seit Monaten auf mehr Öffnungen drängen, sorgten die Beschlüsse des Senats, die ja genau das ermöglichen sollen, nur für gemischte Reaktionen. Das wirft die Frage auf: Hat der Senat vorher mal die Meinung der Betroffenen eingeholt? Ja, haben wir, heißt es im Rathaus. Es gebe regelmäßig einen runden Tisch von Sozial-, Wirtschafts- und Kulturbehörde mit den betroffenen Branchen. Dort sei ein „Meinungsbild“ eingeholt worden. Allerdings sind die 2G-Pläne wohl nicht konkret vorgestellt worden.
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Und so heißt es aus einem einflussreichen Interessenverband hinter vorgehaltener Hand etwas frustriert: „Mit uns stimmt sich der Senat nicht ab.“ Dennoch sehe man 2G vorsichtig positiv, auch wenn einzelne Mitglieder Bedenken hätten. Ganz anders Handelskammer-Präses Norbert Aust: Er begrüßte die Pläne nicht nur, sondern betonte sogar: „Der Senat greift damit Vorschläge aus den Reihen der Wirtschaft auf.“
Kulturszene in Hamburg reagiert zögerlich
Vor allem in der Kulturszene ist die Begeisterung aber sehr überschaubar. Vom privaten Ohnsorg-Theater bis zur staatlichen Elbphilharmonie wird bemängelt, dass man Getestete außen vor lassen müsse. So warb Christoph Lieben-Seutter, Intendant von Elbphilharmonie und Laeiszhalle, im Abendblatt für ein „2G+“-Modell, in dem auch Gäste mit negativem PCR-Test willkommen wären – im Prinzip das, was der Bürgermeister ursprünglich propagiert hatte.
Mitunter sind die Signale etwas verwirrend. So hatte das Clubkombinat, das die Interessen Dutzender Musikclubs vertritt, noch im Juli eine „Planungsperspektive für die kommende Indoor-Saison“ eingefordert. Nun gibt es mit 2G ein Konzept – aber die Clubbetreiber zeigen sich dennoch überwiegend skeptisch. Auch hier ist oft das Argument zu hören, man wolle niemanden ausschließen. Im Rathaus wundert man sich über solche Reaktionen.
Was soll der Zahlensalat zur Inzidenz?
Tschentscher selbst sorgte für Verwirrung, als er seine Warnung vor einer „Welle der Ungeimpften“ am Dienstag mit Zahlen untermauerte: Demnach liege die Inzidenz unter Geimpften in Hamburg nur bei 3,36, in der Gesamtbevölkerung bei „knapp unter 80“ und unter den Ungeimpften auch „in dieser Höhe.“ Parallel vermeldete die Sozialbehörde: „Bezogen auf die Gesamtbevölkerung liegt die 7-Tage-Inzidenz unter Personen mit einem Impfschutz gegen Covid-19 bei 3,36; bei Ungeimpften liegt dieser Wert bei 78,12.“
Auf den ersten Blick ist beides mathematisch unmöglich. Wenn die Inzidenz hamburgweit bei rund 80 liegt und in einer Teilmenge (den 60 Prozent Geimpften) bei 3,36, muss sie logischerweise in der anderen Teilmenge (den 40 Prozent Ungeimpften) deutlich höher sein, nämlich bei etwa 190.
Unklarheiten bei Berechnung der Inzidenz in Hamburg
Von einem Fehler wollte man im Senat dennoch nicht sprechen. Die Berechnung beziehe sich auf die „Gesamtbevölkerung“. So hat man also die Zahl der Infektionen unter den 1,14 Millionen Geimpften und unter den 760.000 Ungeimpften nicht nur auf die jeweilige Gruppe umgelegt, sondern in beiden Fällen auf alle 1,9 Millionen Hamburger. Nach dieser Logik könnte man auch sagen, in Hamburg liegt die Inzidenz bei 2,0 – bezogen auf die 82 Millionen Deutschen.
Besonders merkwürdig daran: Hätte man die Inzidenzen für Geimpfte und Ungeimpfte so berechnet, wie es bislang üblich war und auch korrekt ist, hätte das Tschentschers Warnung vor einer „Welle der Ungeimpften“ noch stärker gestützt – und damit auch sein Plädoyer für das 2G-Modell.