Hamburg. Die HafenCity GmbH möchte Gelände an der Bille wirtschaftlich nutzen. Doch die Ruderer wollen ihren Standort am Wasser nicht aufgeben.

Das Grundstück Bei der Grünen Brücke 3 ist attraktiv. Für einen Ruderclub wie die Rudervereinigung Bille erfüllt es alle Voraussetzungen. Doch auch die HafenCity hat ein Auge auf die Fläche am Wasser geworfen und große Pläne damit: Sie will Arbeitsplätze und technologischen Fortschritt für Hamburg schaffen. Das Inselareal, auf dem das Vereinshaus der RV Bille seit den 1960er-Jahren steht, soll nun von der Stadt an die Billebogen Entwicklungsgesellschaft übertragen werden. Im selben Zuge ist geplant, den Verein umzusiedeln, der letztes Jahr seinen 125. Geburtstag feierte.

Doch einer ist damit nicht einverstanden: die RV Bille selbst, deren Pachtvertrag noch bis 2037 gültig ist. Trotzdem wurde am 4. Mai das Bebauungsplanverfahren für das Billebecken offiziell eingeleitet. Eine von der Stadt in Auftrag gegebene Machbarkeitsstudie zur Ermittlung des besten Alternativstandorts soll nun eine Lösung für den Verein bringen. Kürzlich wurde erstmals ein Zwischenstand der Ergebnisse präsentiert.

Traditions-Ruderverein soll für Gewerbegebiet weichen

Das Vereinshaus des Traditionsclubs liegt leicht versteckt. Um es zu erreichen, folgt man einer Kopfsteinpflasterstraße hinab und findet sich direkt am Wasser wieder. Die Bille plätschert hier ruhig und friedlich dahin und sorgt für eine idyllische Atmosphäre: kaum Autos, kaum Boote – ein Ort, an dem die Seele baumeln kann.

Im Inneren finden sich einige Tischtennisplatten, ein Fitnessstudio, der Gemeinschaftsraum, wo ab und zu Partys stattfinden, und eine kleine Bar. Die Einrichtung ist ein wenig baufällig und marode – aber noch intakt. „Es ist sehr charmant, aber eben etwas in die Jahre gekommen. Ich denke, dass dieser Zustand auch viele neue Mitglieder irritiert, aber aufgrund der fehlenden Perspektive wird hier nicht weiter investiert.“ erklärt Alice B., ein langjähriges Vereinsmitglied.

Jeder, der rudern lernen will, ist willkommen

Draußen: der direkte Wasserzugang, zwei Bootshallen mit Kanus, Einer- und Mannschaftsbooten und einem Zelt für das Drachenboot. Für Fortgeschrittene sowie Anfänger werden hier Kurse angeboten. Daneben nutzen der Sportverein „Vorwärts“, ein Segelbootverein und seit Neuestem der Naje e. V. das Gelände. Auch mit der Schule Marckmannstraße, einer Schule mit Förderschwerpunkt geistige Entwicklung aus Rothenburgsort, arbeitet der Verein eng zusammen.

1896, als es Arbeitern noch untersagt war, elitären Ruderclubs beizutreten, wurde die RV Bille als Arbeiterverein gegründet. „Jeder, der das Rudern erlernen möchte, ist willkommen. Egal, wie die Person aussieht, wo sie herkommt oder was sie kann. Dies wird auch ermöglicht durch den niedrigen Mitgliedsbeitrag. Dadurch sind wir ein sehr bunter und vielseitiger Verein“, erklärt Vereinsmitglied Melanie Steffens. Eigentlich war geplant, das Vereinshaus weiter auszubauen, damit beispielsweise auch Rudersportler mit körperlichen Einschränkungen hier besser trainieren können. Doch Vorhaben wie diese liegen inzwischen auf Eis.

Versprochene Finanzspritze kam wegen der neuen Pläne niemals an

Im Jahr 2017 wurden der RV Bille 450.000 Euro von der Stadt zugesagt, um das Vereinshaus zu renovieren und zu erweitern. Doch die Finanzspritze kam nie an. Stattdessen wurde der Verein von der Stadt informiert, dass er an ihrem langjährigen Standort keine Zukunft hat.

Das Haus der Rudervereinigung Bille ist in die Jahre gekommen.
Das Haus der Rudervereinigung Bille ist in die Jahre gekommen. © Michael Rauhe / FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Denn im Rahmen der Stadterweiterung sollen nun auch Teile Rothenburgsorts für Gewerbezwecke besser genutzt werden. Ungefähr 190.000 Quadratmeter Bruttogeschäftsfläche könnten laut der Billebogen Entwicklungsgesellschaft (BBEG) dort erschlossen werden – das entspräche etwa 3000 Arbeitsplätzen. Die BBEG, eine Tochterfirma der HafenCity GmbH, hat Pläne: „Wir sprechen im Billebogen über eine gewerbliche Nutzung, die auch mit anderen urbanen Produktionen kompatibel ist.“ Die Entwicklungsgesellschaft erkennt in der Halbinsel viel Potenzial: „Das Gebiet ist dafür prädestiniert, als moderner gewerblicher Standort weiterentwickelt zu werden“, erklärt Henrike Thomsen, Pressesprecherin von HafenCity und BBEG. Ein Gewerbegebiet sei hier ideal, um den Wirtschaftsstandort Hamburg voranzubringen.

Hier soll laut Stadt eine grüne Uferpromenade entstehen

„Flexible und moderne Gebäude“ sollen entstehen, ein Schwerpunkt könnten Bio- und Medizintechnik sein. Laut der BBEG ist auch schon ein Anker-Nutzer angedacht: Das Institut für Hygiene und Umwelt, „ein Landesbetrieb der Stadt Hamburg, der jetzt schon in Rothenburgs­ort ansässig ist und einen neuen Standort braucht“. Zum Plan gehöre auch, Wasserflächen besser zu erschließen: „Konkret geht es darum, eine Uferpromenade zu etablieren, die am Wasser entlangführt – eine grüne Promenade“, so die Pressesprecherin.

Die Mitglieder der RV Bille fühlen sich nicht ausreichend in diesem Planungsprozess berücksichtigt. Schließlich nennt der Verein das Grundstück seit mehr als 60 Jahren sein Zuhause. Besonders an der Kommunikation hapert es laut der Wassersportvereinigung.

Laut dem Ruderverein wurde nie nach richtiger Lösung gesucht

Die BBEG ist offen für dieses Thema, bestreitet aber, dass es Mängel in der Kommunikation gab. „Kommunikationsangebote waren immer vorhanden.“ Zum Beispiel ist die RV Bille Teil einer Begleitgruppe der BBEG. „Diese Begleitgruppe hat allen Beteiligten immer Fragen beantwortet und die neuesten Stände vorgestellt. Zudem gab es 2021 eine Online-Beteiligung und einen Workshop zum Funktionsplan Billebecken“, heißt es von der BBEG.

Doch für die RV Bille reicht das Vorhandensein einer Begleitgruppe kaum aus. Die Motivation, eine echte Lösung zu finden, sei nie wirklich da gewesen. „Generell wurde der vermeintliche Beteiligungsprozess ,Begleitgruppe Billebogen‘ eher als eine Art Informationsveranstaltung ausgelegt.“ Vereinsmitglieder sprechen von einem „sehr ungünstigen Format“.

Ergebnis erster Machbarkeitsstudie wurde nie bekannt gegeben

Anfang 2019 veranlasste die BBEG eine Studie, um einen Alternativstandort für den Traditionsverein zu suchen. Doch bevor eine Lösung gefunden werden konnte, herrschte plötzlich Funkstille. Vereinsmitglieder kritisieren den plötzlichen Kontaktabbruch. „Eigentlich wissen wir bis heute nicht, was aus dieser ersten Machbarkeitsstudie geworden ist.“

Aus diesem Grund versuchte der Verein im August 2021, sich durch einen offenen Brief Gehör zu verschaffen. Daraufhin sicherte man eine neue Machbarkeitsstudie zu, die feststellen soll, ob und an welchem Standort die Verwirklichung eines Wassersportzentrums möglich wäre – eine Idee, die der Vereinsvorstand seit vielen Jahren selbst hegt. Laut Alice B. verbesserte sich der Begleitprozess von diesem Zeitpunkt an deutlich. „Was es allerdings wirklich bringt, bleibt abzuwarten.“

Ein Umzug würde Kooperation mit Schule gefährden

Von der Stadt aus gab es bald fünf Vorschläge für Alternativstandorte – davon wurden jedoch nicht alle untersucht. „Dass zwei von diesen drei ausgeschlossenen Arealen für uns total interessant gewesen wären, fand keine Berücksichtigung. Das Bezirksamt hat sicherlich seine Gründe für diesen Ausschluss – nur kommuniziert wurden diese nicht“, erklärt Alice B.

Der für die Stadt im Fokus stehende Standort befindet sich nicht in Rothenburgsort. „Durch einen Umzug wäre auch die Kooperation mit der Schule Marckmannstraße gefährdet, was für die Schüler ein schlimmer Verlust wäre“, sagt Melanie Steffens. Auch sei die Fläche zu klein. „Zu unserem Vereinsleben gehört die Matjesregatta, zu der uns jedes Jahr im Oktober viele Rudervereine mit ihren Booten besuchen. Hierfür ist ausreichend Platz notwendig.“ Aus Sicht der Ruderer spricht viel dafür, das Vereinshaus auf der Halbinsel zu erhalten. „Rund um unseren Standort gibt es eine über Jahrzehnte gewachsene Kultur und Gemeinschaft. Eine neue Nachbarschaft vom Reißbrett könnte dies nicht ersetzen“, sagt Steffens.

Verein möchte sich zu einem Wassersportzentrum entwickeln

Den neuen Plänen der BBEG stehen sie teils skeptisch gegenüber: „Ausschließlich Gewerbenutzung tötet Orte häufig ab“, sagt Alice B. Auch wären geplante gastronomische Angebote wohl eher am Tage und unter der Woche geöffnet. Was sich die Mitglieder der RV Bille eigentlich wünschen, ist, dass ihr Verein seinen Standort behalten kann. „Wir Mitglieder der RV Bille setzen uns dafür ein, dass unser seit vielen Jahren genutztes Vereinsgelände mit einer Erweiterung als multifunktional genutztes Wassersportzen­trum am Standort Bei der Grünen Brücke 3 verbleibt und ausgebaut wird. Es wäre für alle Beteiligten sowie für die Bürgerinnen und Bürger eine Win-win-Situation.“

Aus Sicht der BBEG ist das angeblich nicht ausgeschlossen, liegt aber nicht in der alleinigen Verantwortung der Entwicklungsgesellschaft: „Wir haben im Vorfeld nie etwas kategorisch abgelehnt“, erklärt Henrike Thomsen. „Die BBEG kann im Moment nur sagen: Wir prüfen alle Optionen. In jedem Fall ist der gemeinsame Wille mit dem Bezirk Hamburg Mitte da, die Wassersportvereine entlang der Bille zu erhalten.“

Traditions-Ruderverein soll umziehen – Stadt führt eigene Studien durch

Der Vorstand der RV Bille und sein Team beauftragten eigeninitiativ Studenten der HafenCity-Universität damit, herauszufinden, wie der Ruderclub in die neuen Pläne integriert werden könnte. Im April wurden die Ergebnisse vorgestellt. Die Ausarbeitungen der Studierenden stießen auf positive Reaktionen, nur spielten sie für die Neubaupläne nie eine Rolle, denn die Stadt führt ihre eigene Studie durch, und diese sieht nicht vor, dass der Verein auf seinem Grundstück bleibt. „Dabei schließen sich Sportstätte und Gewerbe nicht aus“, findet Alice B. „Mit etwas Fantasie kann das auch zusammengedacht werden. Das Hauptargument – soweit ich es verstehe – lautet Geld und Investoren“, kritisiert die Hobbyruderin.

Kürzlich stellte die Stadt dem Verein erstmals vor, was die Machbarkeitsstudie bisher ergeben hat. Doch die Mitglieder der RV Bille sind nicht überzeugt. Was die Pläne der Politik betrifft, bleiben sie aus Erfahrung eher skeptisch. „Wie bereits betont, wünschen wir uns eine Fortsetzung des neu begonnenen Dialogs – aber auf Augenhöhe und aufrichtig muss er sein.“