Hamburg. Gründer des Unternehmens, das den ersten Impfstoff gegen das Coronavirus auf den Markt brachte, machen Hoffnung auf “neue Normalität“.

Bisher wirkt der Biontech-Impfstoff auch gut gegen Corona-Mutanten wie die aktuell vorherrschende Delta-Variante. Sollte sich das ändern, ist das Unternehmen vorbereitet: „Dann können wir den Impfstoff anpassen“, sagte Firmenchef Uğur Şahin im Rahmen einer Preisverleihung am Hamburger Forschungszentrum Desy. „Wir sehen zwar jetzt schon, dass Varianten die Antikörper-Antwort leichter überwinden können als das originäre Virus. Aber wir sehen auch, dass die Impfung selbst nach Monaten noch so gut schützt, dass schwere Krankheitsverläufe mit neuen Varianten unwahrscheinlich sind“, erklärte der Mediziner. Es bleibe zwar eine Unsicherheit. „Aber wir glauben nicht, dass sich plötzlich eine Corona-Variante entwickelt, die jegliche Immunantwort überwindet.“

Şahin geht davon aus, dass im Frühjahr 2022 die meisten Deutschen gegen Corona geimpft sein werden und viele Nicht-Geimpfte eine Corona-Infektionen durchgemacht haben. „Dadurch könnten wir in eine Situation hineinkommen, in der dieses Virus seinen Schrecken für die allermeisten Menschen verlieren wird“, sagte Şahin dem Abendblatt. Eine „neue Normalität“ könnte dann so aussehen: „Das Virus wird bestehen bleiben, aber wir werden vermutlich nicht mehr hohe Inzidenzen von Covid-19-Erkrankten auf Intensivstationen oder im Krankenhaus beobachten.“

Corona News: Ehrungen für Biontech und Curevac in Hamburg

Şahin hatte die Mainzer Biotechnologie-Firma Biontech mit der Medizinerin Özlem Türeci gegründet. Die beiden haben bereits mehrere Preise bekommen. Am Montag kam eine weitere Auszeichnung hinzu: Bei einem Festakt am Desy in Bahrenfeld würdigte die Karl-Heinz-Beckurts-Stiftung das Forscherpaar und den Gründer der Tübinger Impfstofffirma Curevac, Ingmar Hoerr, mit Ehrenmedaillen für ihre „Pionierleistungen auf dem Gebiet der mRNA-Impfstoffe“.

Die Stiftung war von der außeruniversitären Helmholtz-Gemeinschaft und der Siemens AG gegründet worden. Eines der 18 Helmholtz-Zentren, zu denen auch das Desy zählt, übernimmt jeweils mit Siemens den Stiftungsvorsitz. Aktuell hat Desy-Forscher Christian Stegmann den Vorsitz inne. „Es ist fantastisch, was sich allein in Deutschland in der mRNA-Impfstoff-Forschung getan hat“, sagte er bei der Preisverleihung. An Şahin, Türeci und Hoerr gerichtet, erklärte Stegmann: „Welchen Einfluss Ihre Arbeiten für die Menschheit haben, werden wir in seiner ganzen Dimension wohl erst in Zukunft beurteilen können. Aber schon heute wissen wir, dass Sie der Welt einen Weg aus der Pandemie gewiesen haben. Dafür danken wir sehr.“

Türeci und Sahin live zugeschaltet: "Haben viele geschätzte Kollegen in Hamburg"

Die Biontech-Gründer waren live zugeschaltet. „Diese Auszeichnung ist für uns eine ganz besondere. Da wir tief in der Grundlagenforschung verhaftet sind, fühlen wir uns sehr verbunden mit der Helmholtz-Gemeinschaft“, sagte Türeci. Als Ärzte und Wissenschaftler verfolgten sie das Ziel, neue Anwendungen zum Patienten zu bringen. Die dafür nötigen Kooperationen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft unterstütze dankenswerterweise die Karl-Heinz-Beckurts-Stiftung als eine von wenigen Stiftungen in Deutschland, sagte Türeci.

Auch mit Hamburg als Forschungsstandort sei Biontech eng verbunden. „Wir haben viele Kollegen aus der Immunologie in Hamburg, die wir sehr schätzen“, sagte Türeci dem Abendblatt. Biontech führe in Kooperation mit dem UKE mehrere klinische Studien zur Krebs-Immuntherapie durch. Gemeinsam mit dem Desy habe Biontech untersucht, ob und wie Nanopartikel in Therapien zum Einsatz kommen könnten.

Impfstoff enthält genetischen Bauplan für ein Virusprotein

Der von Biontech zusammen mit Pfizer entwickelte Impfstoff gegen das Coronavirus Sars-CoV-2 ist seit Ende Dezember 2020 in Deutschland zugelassen. Er enthält die genetische Anleitung für einen kleinen Baustein des Erregers: das Spikeprotein. Dieser Bauplan ist auf mRNA gespeichert (messenger Ribonukleinsäure). mRNA ist die Bauanleitung für die Proteine im Körper, nicht zu verwechseln mit der menschlichen Erbinformation (DNA). Nach dem Eintritt in die Zellen wird die mRNA „abgelesen“. Anschließend stellt der Körper das Virusprotein für kurze Zeit selbst her. Das Immunsystem erkennt die Moleküle als Fremdeiweiße – und bildet Antikörper und Abwehrzellen.

Um in ihrer Branche erfolgreich zu sein, brauche es „Neugierde und den Mut, auch abseits der konventionellen Karrierewege in unbekanntes Terrain hineinzugehen“, sagte Özlem Türeci. Die medizinische Vorständin von Biontech und Uğur Şahin hatten hauptsächlich als Immunologen und Forscher in der Krebsmedizin gearbeitet, bis sie 2008 Biontech­ gründeten.

Derzeit bereitet Biontech einen Antrag auf Zulassung seines Impfstoffs für Fünf- bis Elfjährige bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur vor. Nun, wo der mit Pfizer entwickelte und hergestellte Impfstoff für Europa in ausreichender Menge verfügbar sei, sei die Herausforderung, die Vakzine bis Mitte nächsten Jahres weltweit verfügbar zu machen, sagte Uğur Şahin. Bis Ende dieses Jahres wolle Biontech 1,3 Milliarden Dosen in Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen liefern.