Hamburg. Radikale Klimaschützer besetzen immer häufiger Fahrbahnen. Die Gruppe „Letzte Generation“ scheut auch Strafverfahren nicht.
Mit Sekundenkleber hatte Melanie Guttmann ihre linke Hand auf dem Asphalt festgepappt; mit der rechten Hand hielt sie ein Plakat hoch, auf dem stand: „Essen retten – Leben retten“. So kauerte die 26-Jährige am vergangenen Montagvormittag länger als eine Stunde auf dem Horner Kreisel vor der Einmündung zur Hammer Straße. „Ich wünschte, dass ich nicht zu solchen Mitteln greifen müsste“, sagt die Hamburger Aktivistin der bundesweit agierenden Gruppe „Aufstand der letzten Generation“, die mit ihren Protesten auf mögliche Gefahren infolge des globalen Klimawandels hinweisen will, etwa Lebensmittelknappheit und Hungersnöte.
Neben Guttmann hatte sich eine 19-Jährige auf der Straße festgeklebt. Drei weitere Frauen und vier Männer unterstützten die Blockade. Als sie nach Aufforderung der Polizei nicht die Straße räumten, drängten die Beamten sieben Aktivisten von der Fahrbahn – und trennten mit Lösungsmitteln und Spachteln Guttmann und ihre Mitstreiterin vom Asphalt. Gegen alle erstattete die Polizei Strafanzeigen wegen Nötigung.
Verkehr in Hamburg: Aktivisten droht Geldstrafe
Ihr Protest könnte die Aktivisten teuer zu stehen kommen: Mindestens werden sie wohl den Polizeieinsatz bezahlen müssen, bei dem 71 Beamte mehr als 100 Arbeitsstunden leisteten. Dass darüber hinaus infolge des Strafverfahrens eine Geldstrafe droht, hielt die Gruppe nicht davon ab, am Freitag die Billhorner Brückenstraße in Rothenburgsort zu blockieren – woraufhin der Verkehr sich auf fünf Kilometern staute. Auch an diesem Vormittag brauchte die Polizei etwa anderthalb Stunden, bis Autofahrer wieder freie Fahrt hatten.
Melanie Guttmann arbeitete nach eigenen Angaben bis Ende 2021 als IT-Beraterin. Seit Jahresbeginn engagiere sie sich in Vollzeit ehrenamtlich für die „Letzte Generation“ und lebe von ihren Ersparnissen, sagt die Aktivistin. „Die Bundesregierung tut nicht genug, um uns vor dem Klimakollaps zu bewahren.“ Zwar wollten SPD, Grüne und FDP laut Koalitionsvertrag etwa die Verschwendung von Lebensmitteln bekämpfen, wobei eine bedarfsgerechte Produktion den Effekt haben könnte, dass weniger Treibhausgase erzeugt werden. Doch Guttmann hat, wie sie sagt, kein Vertrauen mehr, dass die deutsche Klimapolitik so schnell vorankommt, wie es nötig wäre.
Extinction Rebellion demonstrierte schon oft in Hamburg
Es seien zwar schon Hunderttausende Menschen bei angemeldeten Demonstrationen für den Klimaschutz auf die Straße gegangen, sagt Carla Hinrichs, Sprecherin der „Letzten Generation“. „Das hat aber leider nicht gereicht. Deshalb sind wir nun bereit, so stark zu stören, dass es nicht mehr überhört werden kann.“ Natürlich sei es „nicht schön, von der Polizei geräumt zu werden und ein Strafverfahren zu erwarten.“ Aber das nehme die Gruppe, deren Mitglieder ein „Querschnitt der Gesellschaft“ seien, angesichts der dramatischen Lage beim Klimawandel hin.
Schon oft in Hamburg für ihre Belange demonstriert hat Extinction Rebellion. Nach einer Blockade der Schäferkampsallee durch Anhänger der Gruppe leitete die Polizei ein Strafverfahren gegen eine Teilnehmerin ein. Sie hatte Widerstand geleistet, als sie von Polizisten von der Straße getragen wurde. Auch bei dieser Aktion hatten sich mehrere Aktivisten auf der Fahrbahn festgeklebt.
„Grundsätzlich treibt uns die Klimakrise an"
„Grundsätzlich treibt uns die Klimakrise an, auf die in keiner Weise angemessen reagiert wird, daher ist viel Druck von der Straße nötig“, sagt Katja Schreiner, Sprecherin der Gruppe Extinction Rebellion Hamburg. Jan Gerber, ein Aktivist der Gruppe, sagt: „Durch Straßenblockaden zwingen wir die Leute dazu, sich damit auseinanderzusetzen.“ Die Aktivisten gingen davon aus, dass sie mit Repressionen rechnen müssten. „Das nehmen wir in Kauf, denn der Schaden für die Gesellschaft ist unendlich viel größer als das, was uns individuell droht.“ Auch 2022, sagt Katja Schreiner, werde „ein Jahr des zivilen Ungehorsams für die Klimagerechtigkeit sein“.
Um zur Politik durchzudringen, brauche es Aktionen von verschiedenen Akteuren, mitunter auch Formen des zivilen Ungehorsams, sagt Malte Siegert, Vorsitzender des Naturschutzbunds (Nabu) in Hamburg. „Es ist jedoch wichtig, dass keine Menschen zu Schaden kommen und nicht gegen geltendes Recht verstoßen wird.“
Verkehr in Hamburg: Politiker kritisieren die Proteste
Allerdings gebe es „gewisse Grauzonen“, sagt Siegert. „Wenn durch den Straßenprotest ein Stau ausgelöst wird, aber keine Unfallgefahr gegeben ist, dann ist es auch mal okay und zumutbar.“ Die Form des Protests von Gruppen wie Extinction Rebellion entspreche zwar „weder uns als Nabu noch unserer Klientel, er unterstützt aber gleichzeitig Themen und öffentliche Wahrnehmung und spricht andere Zielgruppen an“, sagt Siegert.
Hamburger Politiker äußern Kritik an der Form des Klimaprotests. „Ich habe Verständnis dafür, dass Menschen bei Demonstrationen auf die Dramatik der Lage hinweisen – es ist das Zukunftsthema schlechthin“, sagt SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf. „Aber eine Radikalisierung ist nicht adäquat.“ Das könne eher dazu führen, dass die Akzeptanz für Klimaschutz in der Bevölkerung leide. Die Bundesregierung und der Hamburger Senat setzten sich für Klimaschutz ein, sagt Kienscherf und verweist etwa auf den Ausbau von erneuerbaren Energien.
Aktivisten: Es gibt auch positive Zusammentreffen
Ähnlich sieht das Grünen-Fraktionschef Dominik Lorenzen. „Es gibt weitreichende Demonstrationsrechte“, sagt er. „Straßenblockaden sind nicht der geeignete Rahmen, um dieses wichtige Anliegen voranzubringen.“ Mit Blick auf die Vereinbarungen zum Klimaschutz im Koalitionsvertrag sagt Lorenzen allerdings: „Ich hätte mir mehr gewünscht.“
Der CDU-Abgeordnete Götz Wiese sagt, es brauche natürlich den Dialog über die Vereinbarkeit von Wirtschaft und Umwelt. Aber: „Dass dann einige wenige meinen, sie dürften den Verkehr lahmlegen und andere drangsalieren, ist ein Unding.“ Dagegen müssten Polizei und Justiz unmissverständlich vorgehen. Wiese weiß jedoch auch von einem positiven Zusammentreffen zu berichten. „Vor einiger Zeit hatte ich eine Veranstaltung, da kamen 20 junge Leute von Extinction Rebellion, sie wollten wohl erst die Veranstaltung sprengen. Dann haben wir drei Stunden gut diskutiert“, erzählt Wiese. „So stelle ich mir den demokratischen Diskurs vor.“