Hamburg. Bei einem Besuch in Eimsbüttel gibt sich der SPD-Kanzlerkandidat volksnah – das kommt bei vielen Bürgern gut an.

„Ist ja irre“, sagt die Dame mit den blonden Haaren im Vorbeigehen. Drei junge Frauen drücken sich die Nasen am Schaufenster platt und stammeln nur noch Kraftausdrücke: „Sch…“ Sie alle haben gemeinsam, dass sie zu Edeka Niemerszein an der Osterstraße wollen, aber nicht reinkommen – weil Olaf Scholz schon drin ist. Und seine Bodyguards die Tür versperren. „Der soll Merkels Nachfolger werden“, klärt ein junger Mann seine Begleiterinnen auf. Staunen. „Echt jetzt?“

Ja, genau darum geht es: Olaf Scholz will Kanzler werden. Und darum tourt der frühere Bürgermeister und Noch-Vizekanzler an diesem Donnerstagmittag durch seine alte Heimat Hamburg. Morgens durch den Norden der Stadt, nachmittags ist er in Altona, und mittags in Eimsbüttel. „Schön, dass Ihr alle hier seid – das hebt mein Herz“, begrüßt er um 12.58 Uhr ein paar Dutzend Genossen, die am Fanny-Mendelssohn-Platz schon fleißig SPD-Flyer verteilen.

Olaf Scholz zieht bei seinem Besuch in Hamburg eine Schaar an Mitarbeitern hinter sich her

Das Programm sieht vor, dass er zusammen mit Niels Annen, Bundestagsabgeordneter aus Eimsbüttel und Staatssekretär im Außen-Ministerium, einige Geschäfte im Stadtteil besucht. Das bleibt natürlich nicht unbeobachtet. Obwohl der Termin nicht groß beworben wurde, zieht Scholz eine ganze Schaar an Mitarbeitern, Parteifreunden, Journalisten und Kameraleuten hinter sich her. Sogar der US-Sender Bloomberg-TV hat ein Team geschickt.

Die Reaktionen auf den Auflauf könnten unterschiedlicher nicht sein. „Finanzminister, Finanzminister“, blafft ein Mann mit roter Baseballmütze in etwas gebrochenem Deutsch aus einem Straßencafé: „Warum wird alles teurer?“ Scholz ignoriert ihn – ebenso wie den jungen Fusselbartträger, der ihm an einer Kreuzung unflätig hinterherbrüllt: „Sie sollten sich schämen, was sie den Menschen antun.“ Was er damit meint, bleibt offen – aber eine Einladung zu einer differenzierten Debatte soll das wohl ohnehin nicht sein.

 Immer wieder wird Olaf Scholz um ein Foto oder ein Autogramm gebeten

Viele Passanten reagieren dagegen äußerst freundlich. Immer wieder wird Scholz um ein Foto oder ein Autogramm gebeten. „Meine Stimme haben Sie“, ruft eine maskierte Frau auf dem Weg und reckt den Daumen in die Höhe. Jörg Dembeck verwickelt den Kanzlerkandidaten auf dem Fußweg spontan in ein Fachgespräch über Wohnungsbau auf Eimsbütteler Grünflächen.

 Es beginnt mit Kritik am damaligen Bürgermeister Scholz („Sie haben sich über den Tisch ziehen lassen“), der sich dann aber als erstaunlich sattelfest bei diesem Thema aus grauer Vorzeit erweist, und endet damit, dass Dembeck bekennt, er würde Scholz eigentlich ja gern wählen. Im Übrigen habe man ja fast die gleiche Frisur. Scholz grient. Könnte schlechter laufen.

„Schaut mich an: Ich bin kein Alien geworden“

Man hätte auch gern erfahren, was der Kanzlerkandidat bei Edeka Niemerszein, bei „Betten Sievers“, „Die Pampi“, „Spiel Platz!“ und „Pur Pur – Wolle und Naturtextilien“ so mit den Inhabern und Mitarbeitern besprochen hat. Aber anders als Fotografen und Kameraleute müssen die Berichterstatter jeweils vor der Tür warten. Ein Schelm, wer daraus schließt, dass es Scholz nur um Volksnähe dokumentierende Fotos geht.

Immerhin kramt er später auf Nachfrage bereitwillig in seinen Erinnerungen: „Was ich aus den Gesprächen gelernt habe, ist, dass viele sehr zuversichtlich sind und dass sie das, was alle diskutieren, richtig finden.“ Eine geschickte Überleitung zu seiner eigentlichen, dreiteiligen Botschaft: Erstens sollten sich möglichst viele Menschen impfen lassen. Er sei zwar gegen eine Impfpflicht, wolle aber andere überzeugen, sagt Scholz und wiederholt seinen derzeitigen Lieblingssatz: „Schaut mich an: Ich bin kein Alien geworden.“ Auch die Geschäftsinhaber, mit denen er gesprochen habe, hätten sich alle zweimal impfen lassen.

Bloß nicht noch ein Lockdown

Zweitens müssten gewisse Vorsichtsregeln wie die Maskenpflicht in Bussen, Bahnen und Innenräumen beibehalten werden, denn: „Wir wollen, dass der Herbst und Winter anders wird als der letzte.“ Bloß nicht noch ein Lockdown – das sei auch die wichtigste Hoffnung der Gewerbetreibenden, sagt Scholz und betont auf Nachfrage, dass er „sehr zuversichtlich“ sei, dass es nicht wieder dazu komme.

Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick

Drittens werde es irgendwann so sein, dass nur noch Geimpfte, Genesene und Getestete Zugang zu bestimmten Einrichtungen und Veranstaltungen haben werden. Und „klar“ sei auch, dass die Tests dann nicht mehr von den Steuerzahlern bezahlt werden – mit dieser Forderung hatte Scholz jüngst die bundesweite Debatte bestimmt.

Um kritische Fragen kommt Olaf Scholz in Eimsbüttel herum

Um kritische Fragen kommt der Kanzlerkandidat in Eimsbüttel herum. Die Bloomberg-Reporterin will von Scholz wissen, ob seine steigenden Umfragewerte und die sinkenden von CDU-Kandidat Armin Laschet für die SPD wohl zum Wahlsieg reichen werden. Er sei zuversichtlich, dass die Sozialdemokraten erfolgreich sein werden, nimmt der 63-Jährige die Steilvorlage in fließendem Englisch auf. Und wenn man ihn als Kanzler wolle, sei es der „einfachste und sicherste Weg“, die SPD zu wählen.

Angesprochen auf die Diskrepanz zwischen seinen Zustimmungswerten und denen seiner Partei, benutzt Scholz seine übliche Formulierung. „Ich bin sehr berührt darüber, dass so viele Bürgerinnen und Bürger mir zutrauen, das Amt des Regierungschefs in Deutschland auszuüben – das ist das größte Land in Europa.“ So richtig „berührt“ sieht der Vizekanzler in solchen Momente zwar nicht aus. Aber das kennen die Hamburger von ihrem Ex-Bürgermeister ja.

Zum Abschluss setzt er sich noch mit seinen Begleitern auf ein paar Tapas in die Bar „Estoril“. Fotografen und Kameraleute werden gebeten, ihre Arbeit einzustellen, sonst müsse man leider reingehen. Wäre doch schade bei dem schönen Wetter.