Hamburg. Alkohol, Drogen, exzessiver Medienkonsum: lange Wartelisten für Therapieplätze – und schlechte Prognose danach.
Mit der Corona-Pandemie und den fehlenden Strukturen im Alltag haben es vor allem Kinder und Jugendliche mit Suchtproblemen derzeit noch schwerer als ohnehin schon. Hamburger Beratungsstellen und Suchtambulanzen verzeichnen einen Anstieg an jungen Menschen mit Suchtverhalten – sei es exzessiver Medienkonsum oder Drogenmissbrauch. Die Wartelisten auf einen Therapieplatz sind lang, der Ausweg aus der Sucht ist schwerer denn je.
Sucht: Wartelisten auf einen Therapieplatz im UKE so lang wie noch nie
„Unsere Wartelisten für die stationäre Behandlung und für die Tagesklinik werden länger“, sagt Dr. Anneke Aden-Johannssen, stellvertretende Leiterin des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Seit der Eröffnung des Zentrums vor neun Jahren habe es noch nie so lange Wartelisten für einen Therapieplatz gegeben. Die Wartezeit für ein stationäres oder tagesklinisches Angebot liegt üblicherweise bei zwei bis vier Wochen, momentan sind auch Wartezeiten von drei Monaten möglich. Sind es normalerweise zehn bis 15 Patienten, die auf eine stationäre Behandlung warten, hat sich die Zahl derjenigen, die dringenden stationären Therapiebedarf haben, in der Pandemie verdoppelt. 450 neue junge Patienten melden sich jedes Quartal.
Und selbst wenn die Kinder und Jugendlichen einen der begehrten Therapieplätze bekommen, ist die Gefahr, in den Drogenmissbrauch zurückzufallen, höher als vor Corona. Die Termine für die ambulante Nachsorge seien knapp. Und: „Im zweiten Lockdown greifen alternative Kompensationsmechanismen weniger. Bereits durch Behandlung stabilisierte Jugendliche werden erneut instabil und häufiger rückfällig“ so Aden-Johannssen. „Bestehende psychische Erkrankungen wie Depressionen und Ängste verstärken sich zudem, was das Rückfallrisiko steigen lässt.“
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Zahl der Beratungen nimmt zu
Milan Perkusic von der Fachklinik Come in! sagt: „Unseren Jugendlichen fehlt derzeit die Anpassung an die Realität, an das Leben außerhalb der Reha.“ Sonst gibt es Ausflüge, Ausfahrten und Expositionstrainings, also Konfrontationstherapien. „Vieles ist coronabedingt nicht möglich.“ Die Einrichtung in Moorfleet wendet sich mit ihrem Therapieangebot an zwölf- bis 18-jährige Konsumenten von Alkohol, Cannabis, Crack, XTC, Heroin, Kokain. Die Patienten kommen aus ganz Deutschland. Auch die städtische Beratungsstelle für konsumierende Jugendliche und junge Erwachsene meldet einen Anstieg an Hilfesuchenden.
In der Jugenddrogenberatung Kö ist die Zahl an Klienten im Jahresvergleich 2019/2020 von 771 auf 1044 gestiegen, 2019 wurden 633 konsumierende junge Menschen und 138 Angehörige beraten. 2020 wurden bereits 847 konsumierende jungen Menschen und 197 Angehörige beraten, sagt eine Sprecherin der Gesundheitsbehörde. Diese Zunahme liegt teilweise an der Pandemie, aber auch daran, dass die Polizei zuletzt aufmerksamer war und Drogen konsumierende Jugendliche in der Öffentlichkeit in die Beratungsstellen vermittelt hat. Allein dort gab es einen Anstieg von 258 im Jahr 2019 auf 432 im vergangenen Jahr. Weil die Zahl der Hilfesuchenden zunimmt, müssen die Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Schnitt bis zu vier Wochen auf einen Beratungstermin warten.
Auffällig ist der exzessive Medienkonsum
Hamburgs Jugendliche konsumieren dabei hauptsächlich Cannabis (69 Prozent), Alkohol (17 Prozent), Partydrogen (zwölf Prozent). Auffällig ist der exzessive Medienkonsum mit einem Anteil von 18 Prozent. „Drogen und Alkohol spielen eine große Rolle. Ein Riesenthema ist aber der Medienkonsum“, so Aden-Johannssen. Die Nutzungszeiten erhöhen sich stetig, und derzeit scheint das sozial auch noch erwünscht, so häufig auch die Argumentation der Patienten. Alternativen zur Freizeitgestaltung erschließen sich kaum noch, gerade für Jugendliche, die bereits vor dem Lockdown sozial zurückgezogen waren.
Zahlen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) für das Jahr 2019 zeigen: Jugendliche und junge Erwachsene verbringen rund 24 Stunden ihrer Freizeit pro Woche im Internet oder mit Computerspielen. Die digitale Zeit ist damit im Vergleich zum Jahr 2015 um vier Stunden gestiegen.
Konsum wird noch mehr vertuscht
Die Verführung, auch nach einer Therapie zu Drogen zu greifen, ist derzeit extrem hoch, weil die Tagesstruktur fehlt, der Schulalltag, das soziale Miteinander mit Gleichaltrigen. „Die Jugendlichen gehen derzeit hoffentlich nicht oder weniger auf Partys. Die, die ohnehin schon belastet sind, konsumieren dann Drogen allein auf dem Balkon oder heimlich im Garten. Auch wird Konsum noch mehr vertuscht beziehungsweise geleugnet, da ja ,Treffen‘ mit Konsumenten und Partys auch coronabedingt eigentlich nicht stattfinden dürften“, sagt Aden-Johannssen.
Die Ärztin fordert, auf allen Ebenen, in allen Entscheidungen auch die Interessen von Jugendlichen mit einzubeziehen. „Die langfristigen Konsequenzen sind für unsere jugendlichen Patienten und mit präventivem Blick für die Kinder ganz enorm.“
Hier gibt es Hilfe für Betroffene und ihre Eltern: Deutsches Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters am UKE, E-Mail: sekretariat.dzskj@uke.de, www.uke.de
Jugenddrogenberatung Kö, telefonische Hotline: 42811-2666, E-Mail: koe@soziales.hamburg.de.
Die Boje, Suchtzentrum und -beratung, www.dieboje.de, E-mail: beratung@dieboje.de, Tel. 44 40 91 oder 731 4949