Hamburg. Das Corona-Jahr 2020 hat zu einem starken Anstieg geführt. In manchen Bezirken und Stadtteilen sind die Sprayer besonders aktiv.

Als die denkmalgeschützte Köhlbrandtreppe am Elbhang an der Carsten-Rehder-Straße nach mehr als einjähriger Sanierung für 1,7 Millionen Euro im Juni 2020 wieder eröffnet wurde, hatten alle Beteiligten einen großen Wunsch: „Mögen sich jetzige und zukünftige Generationen über viele Jahre an dieser historischen Treppenanlage erfreuen.“ Doch schon vor der Eröffnung gab es wieder erste Schmierereien an der 1887 eingeweihten imposanten Anlage.

Jetzt mussten erneut Graffiti beseitigt werden. Und nicht nur die Kosten von 3500 Euro schmerzen. „Durch die Farben selbst und durch das ständige Reinigen wird die historische Bausub­stanz mehr und mehr unwiderruflich zerstört“, schreibt das zuständige Bezirksamt Altona, das inzwischen vier Anzeigen gegen unbekannt erstattete.

Zahl der Graffiti um ein Fünftel gestiegen

„Graffiti und Tags an historischen Flächen oder auch an Hauswänden sind nicht akzeptabel. Die Urheber wollen damit oftmals nur auf plumpe Art zeigen, wo sie – vor anderen – schon waren“, ärgert sich Altonas Bezirksamtschefin Stefanie von Berg (Grüne).

Und es geht mitnichten um Einzelfälle. Die Zahl der Schmierereien nimmt weiter zu, gegenüber 2019 stieg sie um fast ein Fünftel. Abseits der Bahnhöfe und Bahngleise, die von der Bundespolizei überwacht werden, hat die Landespolizei 2020 in Hamburg 3959 Sachbeschädigungen durch Graffiti erfasst.

Sprayer am häufigsten in Eimsbüttel aktiv

Am häufigsten schlugen die Sprayer demnach im Bezirk Eimsbüttel zu (836 Taten), gefolgt von Mitte (748), Altona (652), Nord (628), Wandsbek (599), Harburg (288) und Bergedorf (175). In weiteren 33 Fällen blieb der Tatort unbekannt.

Gegenüber 2019 sei damit die Zahl der Graffititaten um 18,2 Prozent gestiegen, sagte Polizeisprecher Thilo Marxsen auf Abendblatt-Anfrage: „Möglicherweise ist das auf fehlende Freizeitmöglichkeiten durch die pandemischen Einschränkungen zurückzuführen.“

Schanzenviertel liegt überraschend noch hinter Altona-Altstadt

Der Stadtteil Altona-Altstadt, in dem auch die Köhlbrandtreppe liegt, zählt zu den Vierteln mit den meisten Graffiti­taten im Bezirk. 105 Fälle registrierte die Polizei dort 2020, noch schlimmer traf es Altona-Nord mit 149 Fällen. Das Szeneviertel Sternschanze folgt, etwas überraschend, mit 86 Taten erst auf Platz drei.

Von den 652 insgesamt im Bezirk Altona festgestellten Fällen seien 95 aufgeklärt und 134 Verdächtige ermittelt worden. Nach insgesamt 58 „politisch motivierten“ Sprühereien habe die Polizei neun Täter überführen können. Im Kampf gegen die Szene führe die Polizei „lageangepasst an erkannten Brennpunkten Schwerpunkteinsätze durch“, so Marxsen.

Unterführung Hammer Straße besonders anfällig für Schmierereien

In jedem Bezirk gibt es Quartiere, die die Sprayerszene besonders anziehen. In Wandsbek sind es die neue Unterführung Hammer Straße, die Marienthaler Brücke und der Bereich Eckerkoppel/Friedrich-Ebert-Damm. „Das Beschmieren des Wandsbeker Geschichtssteins war 2020 ein großes Ärgernis, ebenso haben die immer wiederkehrenden Graffiti am Ehrenmal am Kleinen Teich in Bramfeld sowie die umfangreichen Farbschmierereien am sanierten Husarendenkmal die Verwaltung beschäftigt“, schreibt das Bezirksamt auf Abendblatt-Anfrage.

In Nord sind Fußgängerunterführungen und Brücken wie die Rosenbrookbrücke, die Ratsmühlendammbrücke und die Kuhmühlenbrücke besonders betroffen. Und ähnlich wie in Altona beschmieren die Täter auch alte Brücken wie an der Saarlandstraße sowie am Mundsburger Damm und historische Wände rund um den Stadtpark.

Bezirksamt Mitte wendete 2020 13.354,54 Euro für Beseitigung der Graffiti auf

Falko Droßmann, Bezirksamtsleiter Mitte.
Falko Droßmann, Bezirksamtsleiter Mitte. © Unbekannt | Michael Rauhe/ FUNKE Foto Services

Im Bezirk Eimsbüttel sind besonders die Stadtteile Eimsbüttel, Eidelstedt und Stellingen betroffen, pro Jahr registriert der Bezirk in diesen Quartieren zwischen 50 und 100 Fälle.

Doch was tun? Jede Schmiererei sofort zu beseitigen sei unmöglich, heißt es aus allen Bezirken. „Es gibt dafür keine Sondermittel“, sagt Falko Droßmann, Chef des Bezirksamts Mitte. 2020 wendete seine Verwaltung 13.354,54 Euro für die Beseitigung auf, im Jahr davor waren es 8875 Euro. Der Bezirk Nord nennt Kosten von rund 40.000 Euro, Wandsbek 20.000 Euro.

„Es gibt sehr wohl auch gute Graffiti mit politischen und gesellschaftlichen Botschaften"

Rassistische, diskriminierende oder sexistische Schmierereien werden so schnell wie möglich beseitigt. Stefanie von Berg sagt, dass man differenzieren müsse: „Es gibt sehr wohl auch gute Graffiti mit politischen und gesellschaftlichen Botschaften, die Teil der Stadt- und Subkultur sind.“

Sie zieht Parallelen zu Banksy, der mit seinen Schablonengraffiti zunächst in Bristol und London für Aufsehen sorgte und inzwischen als angesagtester Straßenkünstler der Welt gilt: „Solche Graffiti können sogar als Besetzung des öffentlichen Raums mit einer Kunstform verstanden werden. Das muss man nicht gut finden – es hat aber in jedem Fall mehr Niveau als diese Tag-Schmierereien.“

Spezielle Schutzanstriche sind teuer

Manche bezahlen ihren Hang zum Sich-Verewigen auf Bauwerken mit ihrem Leben. Walter Josef Fischer (Künstlername Oz) starb im September 2014, als ihn beim Sprühen an Bahnanlagen zwischen den Stationen Hauptbahnhof und Berliner Tor eine S-Bahn erfasste.

Inzwischen gibt es zwar Substanzen wie ein spezielles Wachs oder eine imprägnierende Flüssigkeit, die das Eindringen der Farbe in die Steinsubstanz von Denkmälern oder Mauern weitgehend verhindern. Doch diese Schutzanstriche sind teuer, müssen zudem nach mehreren Reinigungen erneuert werden.

Schutzschicht für Köhlbrandtreppe ungeeignet

Und sie sind nicht überall geeignet. Bei einem historischen Mauerwerk wie der Köhlbrandtreppe würde die Schicht dafür sorgen, dass Feuchtigkeit nicht mehr ausreichend aus den Steinen heraustrocknen kann. „Das kann zu Frostschäden und somit Abplatzungen an den Steinen führen. Deshalb muss immer wieder gereinigt werden, sobald Graffiti gesprüht wurden“, heißt es beim Bezirk.

Der Bezirk Wandsbek setzte ein besonderes Pilotprojekt auf: In den von Graffiti stark betroffenen Bereichen Saseler Park sowie Appelhoffweiher beseitigten Fachleute jedes Graffito besonders zügig. Doch das Fazit klingt ernüchternd: „Hier konnte man zwar beobachten, dass dadurch die Phase der Sauberkeit verlängert wurde, da sich jedoch im Umfeld viele nicht öffentliche Einbauten befinden, blieb als Gesamteindruck immer noch ein Verschmutzungsgefühl.“

Corona-Krise begünstigt Schmierereien

Mit diesem Gefühl sind die Bahn und ihre Kunden seit Jahren vertraut. Die Bundespolizei, zuständig für die 60 Hamburger S-Bahn-Haltepunkte und Bahnhöfe, hat im Vorjahr 733 Graffitistraftaten erfasst – 71 weniger als 2019, aber immer noch 159 mehr als 2018. Wie die Landespolizei sieht auch die Bundespolizei einen Zusammenhang mit der Corona-Krise.

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„Mit Beginn der Osterferienzeit und insbesondere mit der Schließung der Schulen, mit Homeoffice und Kurzarbeit haben sich die Feststellungen bis Mai gegenüber dem Vorjahreszeitraum wesentlich erhöht“, sagt Rüdiger Carstens, Sprecher der Bundespolizeiinspektion Hamburg.

Anbieten von legalen Flächen soll illegale Sprühungen verhindern

Doch reichen allein Strafandrohungen? Das Bezirksamt Eimsbüttel will einen neuen Weg testen: „Wir identifizieren Flächen, die künftig in Kooperation mit ortsansässigen Vereinen oder Jugendclubs als kostenfreie Graffitisprayflächen genutzt werden können. Hier handelt es sich also um eine Maßnahme, die durch das Anbieten von legalen Flächen verhindern soll, dass zu viel illegal gesprüht wird.“

Der Hamburger Grundeigentümerverband unterstützt seit vielen Jahren die Paint-Bus-Aktion, in deren Rahmen mittlerweile nicht nur Busse, sondern auch Toreinfahrten bemalt werden. Manche Eigentümer, sagt der Vorsitzende Torsten Flomm, würden Sprayer engagieren, die die gefährdeten Stellen mit gewollten Graffiti bemalen, um damit die ungewollten Graffitisprayer abzuhalten. Viele hätten sich indes inzwischen damit abgefunden, dass ihre Häuser regelmäßig beschmiert werden.