Hamburg. Hamburger Virologin Prof. Nicole Fischer spricht im Interview über Infektionszahlen, Impfstoffe und Übertragbarkeit.
Prof. Nicole Fischer befasst sich seit Beginn der Pandemie mit der Genomik der Sars-CoV-2-Viren und hat dabei besonders Mutationen im Blick. Die Virologin arbeitet am Institut für Medizinische Mikrobiologie, Virologie und Hygiene am Universitätskrankenhaus Eppendorf (UKE). Zusammen mit dem Heinrich-Pette-Institut hat sie im März 2020 begonnen, eine Virus-Genom-Überwachungsplattform aufzubauen, und während der gesamten Dauer der Pandemie Viren in Hamburg sequenziert – insgesamt mehr als 1700-mal bisher.
Dabei ging es auch darum, herauszufinden, wie das Virus nach Hamburg hineingetragen wurde und wie es sich verbreitet hat. Dabei arbeitet sie eng mit den Hamburger Behörden zusammen. Regelmäßig wird dabei ein Teil der bei Infektionen auftretenden Viren in den einzelnen Hamburger Stadtteilen in repräsentativen Erhebungen sequenziert.
Hamburger Abendblatt: Ist die Ausbreitung der Virusmutanten noch aufzuhalten?
Prof. Nicole Fischer: Uns war immer klar, dass es zu Mutationen kommen kann, deshalb haben wir seit Beginn der Pandemie versucht, sie durch unsere Überwachungsplattform im Auge zu behalten – wie eine Art Frühwarnsystem. In Hamburg liegt die Quote der derzeit streng beobachteten britischen Variante gegenwärtig bei unter fünf Prozent.
Das entspricht in etwa dem Niveau, das das Robert-Koch-Institut (RKI) bundesweit durch eine PCR-Testung (Polymerase-Kettenreaktion), die für den Januar erhoben wurde, mit rund sechs Prozent angibt. Spannend ist, wie es nun in den kommenden vier Wochen weitergeht. Werden wir vermehrt die englische Mutation bei uns sehen? Zeigt sich ihre höhere Übertragbarkeit? Ich denke, wir haben gute Chancen, die Ausbreitung einzudämmen, wenn der Lockdown noch eine Weile nicht allzu sehr gelockert wird.
In Hamburg sind nach Auskunft der Gesundheitsbehörde bisher die britische Variante B.1.1.7 und seltener die südafrikanische Variante B.1.351 gefunden worden. Die brasilianische Variante B.1.1.28 wurde dagegen in der Hansestadt nicht nachgewiesen. Wie ansteckend sind die einzelnen Mutanten?
Die britische Variante ist angesichts der Vielzahl der Fälle in England am besten untersucht, mehr als 50.000 Sequenzen gibt es weltweit. In einigen Gebieten Englands hat sie sich als vorherrschende Variante durchgesetzt. Sie gilt um 50 Prozent infektiöser als die zuvor und bei uns zirkulierenden Sars-CoV-2-Varianten.
Würde sich die englische Variante bei uns weiter verbreiten, hätten wir keine sinkenden Fallzahlen mehr. Im Gegenteil: Sie würden steigen. Und wir könnten im März erleben, dass wir nicht unter eine Sieben-Tage-Inzidenz von 50 Fällen pro 100.000 Einwohner kämen, sondern ganz schnell bei einer Inzidenz von über 200 oder sogar 500 wären.
Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick
- Corona in Hamburg – die aktuelle Lage
- Die Corona-Lage für ganz Deutschland im Newsblog
- Interaktive Corona-Karte – von China bis Hamburg
- Überblick zum Fortschritt der Impfungen in Deutschland
- Interaktiver Klinik-Monitor: Wo noch Intensivbetten frei sind
- Abonnieren Sie hier kostenlos den täglichen Corona-Newsletter
- So wird in Deutschland gegen Corona geimpft
Und die südafrikanische Variante?
Diese Variante hat sich in Südafrika sehr schnell verbreitet und dort andere Varianten ersetzt. Man geht daher davon aus, dass sie ebenfalls infektiöser ist als das ursprüngliche Coronavirus. Von der brasilianischen und auch der kalifornischen Variante lässt sich das aufgrund von zu geringen Fallzahlen noch nicht sagen.
Bringen sie auch ein höheres Sterberisiko mit sich?
Es gibt keine wissenschaftlich belastbaren Hinweise dafür, dass die Varianten für den einzelnen Infizierten ein höheres Risiko mit sich bringen, einen schweren Krankheitsverlauf zu erleiden oder sogar zu sterben. Aber gesamtgesellschaftlich betrachtet bedeutet eine größere Zahl von Infizierten natürlich mehr schwere Verläufe und Todesfälle. In England ist die Mutation zunächst überwiegend bei Kindern und Jugendlichen aufgetreten. Das lag aber vermutlich daran, dass das Land zwar im Lockdown war, die Schulen aber weiter geöffnet hatten.
Gibt es auch schon Mutationen der Mutanten?
Leider ja. Der Grund, warum wir die englische Variante als bedenklich einstufen, ist ihre stärkere Übertragbarkeit. Bei den südafrikanischen und brasilianischen Varianten liegt es daran, dass der bisherige Immunschutz gegen das herkömmliche Coronavirus – sei es durch eine durchgemachte Infektion oder durch Impfung – wegen einer Mutation am Spike-Protein nicht so wirksam ist. Es besteht bei der südafrikanischen und der brasilianischen Variante also die Gefahr einer Re-Infektion.
In etwa 16 Fällen in England hat man nun festgestellt, dass die südafrikanische Mutation in die britische Variante hineinmutiert ist. Diese Mutation der Mutante trägt den Namen E484K. Das sehen wir mit Sorge. Denn auf diese Weise verbindet sich eine schnellere Verbreitungsmöglichkeit der englischen Variante mit dem geringeren Immunschutz südafrikanischer und brasilianischer Varianten. Bisher sind das aber wie gesagt erst einzelne Fälle.
Das berührt die wohl entscheidende Frage: Helfen die bisher entwickelten Impfstoffe gegen die Mutanten?
Untersuchungen im Labor zeigen, dass der Biontech-Impfstoff gut gegen die britische Variante zu schützen scheint, da wurde nur ein geringfügig niedrigerer Immunschutz festgestellt. Jedoch zeigt sich in ersten kleineren Studien, die in sogenannten Preprints, also noch nicht final begutachteten Berichten, vorab erschienen sind, dass es zu einem geringen Immunschutz gegen die 484-Mutation kommt. Der Moderna-Impfstoff schützt gegen die britische ebenso gut wie gegen die herkömmliche Variante. Gegen die südafrikanische Variante scheint auch der Moderna-mRNA-Impfstoff einen etwas geringeren Immunschutz zu verursachen.
Diese Ergebnisse müssen jedoch final begutachtet und auch auf größere Studien ausgeweitet werden. Der Impfstoff von AstraZeneca scheint zwar gegen die englische Mutation wirksam zu sein. Im Hinblick auf die südafrikanische Variante gab es aber eine Studie mit 2000 Probanden in Südafrika. Die eine Hälfte bekam den AstraZeneca-Impfstoff, die andere ein Placebo.
In beiden Gruppen trat eine milde bis mittelschwere Covid-19-Infektion gleich häufig auf. Dieser Wirkstoff scheint vor der südafrikanischen Mutation nicht zu schützen. Bisher gibt es dazu allerdings nur wenige Daten, selbst auf diese wenigen Daten warten wir auf eine Veröffentlichung als Preprint.
Lässt sich Impfstoff an bisherige und zu erwartende neue Mutationen einfach so anpassen? Oder müsste der völlig neu entwickelt werden?
Meiner Meinung nach wird man die Impfstoffe zukünftig anpassen. Das geht bei den mRNA-basierten Wirkstoffen von Biontech und Moderna leichter und schneller als bei dem Vektor-Impfstoff von AstraZeneca. Neu entwickelt werden müssen sie aber nicht. Wenn die Impfstoffe angepasst werden, müssen sie allerdings sicherlich auch noch einmal geprüft werden.
Lesen Sie hier den aktuellen Corona-Newsblog
In welchem Tempo mutiert Corona?
RNA-Viren mutieren schneller als DNA-Viren. Aber Coronaviren mutieren zehnfach weniger als Influenzaviren und hundertfach weniger als HIV-Viren. Wegen der Vielzahl der Fälle von Corona in der Pandemie weltweit beobachten wir jedoch viele Mutationen. Über das vergangene Jahr gesehen haben wir im August/September bei der Anzahl der einzeln auftretenden Mutationen ein Plateau erreicht. Vielleicht haben wir schon alles gesehen, was das Virus kann – das wäre eine gute Nachricht.
Können wir es schaffen, die Bevölkerung schnell genug zu impfen, um die Ausbreitung der Mutante zu stoppen?
Bisher haben wir in Deutschland erst einen verschwindend kleinen Anteil der Bevölkerung geimpft. Unser Ziel muss es sein, bis zum Sommer einen Großteil der Bevölkerung immunisiert zu haben oder möglichst alle, die zu einer Impfung bereit sind.
Können wir die Bevölkerung schnell genug mit dem bereits entwickelten Impfstoff schützen, bevor gegen die Impfstoffe resistente Mutanten sich ausgebreitet haben?
Wir brauchen uns keine Sorgen zu machen, dass der Impfstoff, den wir derzeit verwenden, gegen die bisherige und die englische Variante unwirksam wäre. Ich kann nicht in die Glaskugel schauen und voraussehen, ob und wie schnell sich die südafrikanische Variante oder die mutierte Mutante E484K bei uns ausbreitet.
Kann die zunehmende Impfung der Bevölkerung sogar dazu führen, dass das Virus im Bestreben, sich weiter zu verbreiten, stärker mutiert?
Tatsächlich fällt auf, dass viele der uns jetzt Sorge bereitenden Mutationen in der 40. bis 42. Kalenderwoche 2020 aufgetreten sind, in Regionen mit sehr hohen Fallzahlen. Eine Hypothese ist, dass sie durch den Immundruck entstanden sind, der durch durchgemachte Infektionen entstanden ist. Darum schauen wir Virologen derzeit besonders aufmerksam auf sogenannte Impfdurchbrecher – also Personen, die sich trotz Impfung infizieren. Bei ihnen könnte es genau diese Mutationen geben, die durch den Impfdruck entstanden sind.