Hamburg. Jürgen May leitet nun die größte Einrichtung für globale Infektionen in Deutschland. Unter anderem ist ein Forschungsneubau geplant.
In der Forschung ist oft ein langer Atem nötig; zunächst „exotisch“ wirkende Themen können erst später bedeutend werden. Auch das Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin hat sich ab und an für die Relevanz seiner Arbeit rechtfertigen müssen. Heute gilt das nicht mehr, denn in Folge des internationalen Waren- und Reiseverkehrs und begünstigt durch den Klimawandel sind einige Gefahren nah an unseren Alltag herangerückt.
Seit Jahren kommt hierzulande etwa die Tigermücke vor, die Dengue- und Chikungunya-Viren übertragen kann. 2019 wurde erstmals eine bei uns durch Mücken übertragene Infektion mit dem West-Nil-Virus bekannt. Und durch Sars-CoV-2 ist einmal mehr deutlich geworden, dass Erreger nicht an Grenzen haltmachen – weshalb das Tropeninstitut längst als eine Forschungseinrichtung für globale Infektionen agiert.
May kennt das Bernhard-Nocht-Institut seit 1994
„Die Corona-Pandemie zeigt, wie wichtig es ist, sich auf Epidemien vorzubereiten und neu auftretende Erreger frühzeitig zu bekämpfen“, sagt der neue Chef des BNITM, Jürgen May. Er kennt das Haus auf St. Pauli, seit er hier 1994 mit seiner Doktorarbeit begann. Als Forschungsgruppenleiter und Professor hat May sich viele Jahre lang mit den Ursachen und der Ausbreitung (Epidemiologie) von Infektionskrankheiten beschäftigt. Nun kommen auf den 56-Jährigen als Nachfolger des bisherigen Vorstandsvorsitzenden Egbert Tannich vor allem administrative Führungsaufgaben zu – und etliche Herausforderungen.
Denn die Infektionsforschung ist vielerorts ausgebaut worden. Das Tropeninstitut hat mehr Konkurrenz als früher im Wettbewerb um Drittmittel und Aufmerksamkeit. Abheben kann sich die Hamburger Einrichtung etwa mit ihrer Hightech-Ausstattung. So verfügt sie über ein 150 Quadratmeter großes Hochsicherheitslabor, in dem Forschende tropentypische Viren der höchsten biologischen Risikogruppe 4 wie Ebola, Krim-Kongo und Marburg auch gentechnisch untersuchen dürfen. Hinzukommt ein Sicherheitsinsektarium, in dem die Forschenden etwa ergründen, ob einheimische Mücken bestimmte eingeschleppte Krankheitserreger übertragen können.
BNITM feierte erfolgreichsten Förderjahr seit 120 Jahren
Stolz sind die BNITM-Mitarbeitenden um ihren neuen Chef Jürgen May zudem auf internationale Kooperationen, von denen einige schon seit vielen Jahren bestehen. So betreibt das Institut mit dem Gesundheitsministerium Ghanas und der Universität in der zweitgrößten ghanaischen Stadt Kumasi ein modernes Forschungs- und Ausbildungszentrum im westafrikanischen Regenwald.
Diese Arbeiten, von der der Analyse gefährlicher Erreger auf Molekülebene bis hin zur Feldforschung in Subsahara-Afrika, Asien und Südamerika, haben dem Institut zuletzt das erfolgreichste Förderjahr in seiner 120-jährigen Geschichte beschert: Mehr als 13 Millionen Euro an Drittmitteln erhielt das BNITM 2020 – zusätzliches Geld fast in der Höhe seines Grundbudgets von 15 Millionen Euro, das Bund und Länder tragen.
Jürgen May betont Relevanz von Neubau
Jürgen May möchte dieses Niveau möglichst halten – und seinen Forschenden für neue Projekte mehr Platz verschaffen. Denn die Zahl der fest angestellten Mitarbeitenden des Instituts dürfte von etwa 280 auf etwa 350 bis Ende 2022 steigen, erwartet er. Deshalb soll zwischen dem alten Hauptgebäude am Hafen und dem Sitz des Wetterdienstes nebenan ein Forschungsneubau entstehen. Noch fehlen dafür allerdings Beschlüsse des Senats und der Bürgerschaft.
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In einer Senatsmitteilung zum Amtsantritt von Jürgen May hieß es, „mit Unterstützung durch die Politik“ könne „das modernisierte BNITM am historischen Ort“ weiterhin einen wichtigen Beitrag zur Forschung leisten. „Es wird dringend Zeit – der Neubau zählt zu unseren wichtigsten Zukunftsvorhaben“, sagt Jürgen May. Auf einen immerhin „zeitgemäßen Stand“ soll das sanierungsbedürftige Hauptgebäude gebracht werden. Dort kam es im Winter 2019 zu einem Ausfall der Heizung.
Implementationsforschung am Bernhard-Nocht-Institut
Ein weiteres Zukunftsthema ist die Etablierung eines neuen wissenschaftlichen Schwerpunkts: Drei Professuren und sechs Arbeitsgruppen werden am Tropeninstitut für Implementationsforschung eingerichtet. Hier geht es darum, wie sich Ergebnisse aus Forschung und Entwicklung an die Menschen bringen lassen.
Ein Beispiel: Wirksame Impfstoffe werden längst nicht von allen Menschen genutzt. Auch bei der Anwendung anderer Schutzmaßnahmen und Therapien hapert es mitunter, was etwa mit Kommunikation zu tun haben kann oder mit landestypischen Besonderheiten. Solche Hindernisse zu überwinden, dazu wolle das Bernhard-Nocht-Institut stärker beitragen, sagt Jürgen May.