Wirtschaftssenator Michael Westhagemann passt voll ins Anforderungsprofil. Mit einem Senator hat er sich einst juristisch gekabbelt.

Manchmal geht es selbst im altehrwürdigen Plenarsaal der Bürgerschaft zu wie auf dem Fußballplatz. Da wird gejubelt, applaudiert, Kusshand ins Publikum geworfen und gefühlte Gewinner fallen sich in die Arme. Zum Beispiel am Donnerstag um kurz nach 14 Uhr: Michael Westhagemann war soeben vom Parlament als neuer Wirtschaftsenator bestätigt worden und hatte seinen Eid auf die Verfassung abgelegt, als das große Busseln einsetzte.

Nachdem die Fraktionschefs gratuliert und Blumen überbracht hatten, warf Westhagemann seiner Frau und seiner Tochter oben in der Loge ein imaginäres Küsschen zu, ging erstmals hoch zur Senatsbank und umarmte dort Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD), die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne), die weiteren Senatsmitglieder, seine beiden Staatsräte und manch anderen, der sich dort gerade aufhielt. Keiner entkam dem fröhlichen gebürtigen Münsterländer.

Erstmals musste Tschentscher einen Posten neu besetzen

Die Freude über die Wahl war aber nicht nur bei Westhagemann groß, sondern ebenso bei jemandem, der das in diesem Moment weniger zeigte: dem Bürgermeister. Denn die Neubesetzung des Wirtschaftsressorts war Tschen­tschers personalpolitisches Gesellenstück – und das ist ihm geglückt.

Erstmals in seiner sieben Monate währenden Amtszeit musste der Nachfolger von Olaf Scholz einen Posten im Senat neu besetzen, und dann gleich einen der wichtigsten. Denn mit der Berufung des damaligen Handelskammer-Präses Horch als Wirtschaftsenator war Scholz noch vor seiner Wahl 2011 ein echter Coup geglückt: Die Hamburger Wirtschaft lief seinerzeit mit fliegenden Fahnen vom scheidenden CDU-Senat zum mutmaßlich neuen SPD-Bürgermeister über, was nicht unerheblich mit dazu beigetragen haben dürfte, dass Scholz die absolute Mehrheit holte.

Horchs Nachfolger musste dessen Anforderungsprofil erfüllen

Und weil er sich auch fortan äußerst wirtschaftsfreundlich gab, blieb dieses Band lange unerschüttert. Vor der Wahl 2015 rief der Vorsitzende des Industrieverbands Hamburg sogar dazu auf, die Mehrheitsverhältnisse bloß nicht zu verändern: Die Industrie sei „für eine absolute Mehrheit für Olaf Scholz und gegen konfliktträchtige Koalitionen“. Jener Vorsitzende war ein gewisser Michael Westhagemann ...

Bekanntlich kam es etwas anders, die SPD regiert seit 2015 zusammen mit den Grünen. Doch an der Notwendigkeit, sich als die Partei der Wirtschaft zu positionieren, hat sich für die Sozialdemokraten nichts geändert. Die Ansicht, dass dieser Schulterschluss zwischen Arbeiter- und Unternehmerschaft ein Schlüssel dafür ist, warum die Hamburger SPD viel besser dasteht als die Bundespartei, ist weit verbreitet.

Stolz über „Horch 2.0“ ist Tschentscher anzusehen

Als der inzwischen 70 Jahre alte Horch Anfang September seinen Rücktritt ankündigte, um sich stärker um seine kranke Ehefrau kümmern zu können, war für Tschentscher daher klar: Der Nachfolger muss das gleiche Anforderungsprofil erfüllen. „Im Prinzip suchen wir einen Horch 2.0“, sagte schon damals ein führender Sozialdemokrat.

Zwar dauerte es noch einige Wochen, bis diese Person auch präsentiert werden konnte. Aber der Stolz darüber, eben jenen „Horch 2.0“ gewonnen zu haben, war sogar dem sonst so zurückhaltenden Bürgermeister bei der Vorstellung des neuen Senators am Montagabend anzusehen. „Auch Michael Westhagemann ist parteilos, ist ein Mann der Wirtschaft, ein Manager, der Hamburg bestens kennt“, zählte Tschentscher die Parallelen zu Horch auf – der an dem Abend ebenfalls anwesend war. Der äußerst beliebte scheidende Senator hatte zuvor im SPD-Landesvorstand und in der Fraktion großen Applaus erhalten. Ebenso freundlich wurde Westhagemann empfangen: Der 61-Jährige sei „eine richtig gute Lösung“, befanden mehrere Abgeordnete.

Reaktionen aus der Wirtschaft sehr wichtig

Noch wichtiger als der Rückhalt aus der Partei waren aus Tschentschers Sicht aber die öffentlichen Reaktionen, und hier vor allem die aus der Wirtschaft. So lobte etwa Gunther Bonz, Präsident des Unternehmensverbandes Hafen Hamburg und zu CDU-Regierungszeiten selbst Staatsrat der Wirtschaftsbehörde, wie vertraut Westhagemann mit den wichtigen Themen sei: „Dies ist für die Stadt und den Hafen von unschätzbarem Wert, da bei einigen Themen ein erheblicher Handlungsbedarf besteht.“

Sogar der CDU-nahe Wirtschaftsrat war voll des Lobes: „Der Erste Bürgermeister hat eine gute Wahl getroffen. Fachliche Kompetenz hat sich gegen das Parteibuch durchgesetzt“, sagte der Landesvorsitzende Henneke Lütgerath und fügte hinzu: „Für die Hamburger Unternehmen ist es wichtig, einen der ihren in der Wirtschaftsbehörde zu wissen.“ Diese Worte dürften vor allem bei CDU und FDP wie eine kalte Dusche gewirkt haben. Westhagemann biete leider kaum Angriffsfläche, räumte ein Christdemokrat frustriert ein. Mehr als dass es relativ lange dauerte, bis der Horch-Nachfolger gefunden war, könne man kaum kritisieren. Dass CDU-Fraktionschef André Trepoll früher selbst unter Westhagemann als Jurist beim Industrieverband gearbeitet hat, macht es nicht einfacher.

Mit einem Senatsmitglied hat sich der Neue schon gezofft

Dass zwischen Horchs Rücktritts-Ankündigung und der Präsentation seines Nachfolgers zwei Monate lagen, hatte zwei einfache Gründe: Nachdem Westhagemann frühzeitig aus Senatskreisen mit dem Jobangebot konfrontiert worden war und via Abendblatt durchblicken lassen hatte, dass er wegen seiner noch frischen Selbstständigkeit nicht zur Verfügung stehe, hatte sich Tschentscher etwas Zeit gelassen, bis er seinen Wunschkandidaten persönlich anrief. Und nachdem der Bürgermeister ihn im Auto erreicht hatte, war Westhagemann schwach geworden – auch weil seine Frau ihm gut zuredete: „Das kannst Du nicht ablehnen.“

Mitte Oktober stand die Lösung im Prinzip, doch sie wurde zunächst geheim gehalten, da Horch noch die Verkehrsministerkonferenz in Hamburg leiten und sein Herzensprojekt vorstellen wollte: die Elbvertiefung. Das tat er am vergangenen Freitag – vier Tage später ging er in den Ruhestand.

Westhagemann trifft im Senat übrigens auf einige alte Bekannte. Mit dem damaligen SPD-Fraktionschef und heutigen Finanzsenator Andreas Dressel hatte er als Chef des Industrieverbands gegen die Verstaatlichung der Energienetze gekämpft. Und mit dem damaligen Grünen-Fraktionschef und heutigen Umweltsenator Jens Kerstan – einem Befürworter des Rückkaufs – hatte er sich deswegen schwer gezofft. Westhagemann zog dabei den Kürzeren und musste von seinem Anwalt Walter Scheuerl – seinerzeit parteiloser Bürgerschaftsabgeordneter auf CDU-Ticket – erklären lassen, dass er bestimmte Äußerungen über Kerstan nicht wiederholen werde.

Man habe sich aber schon damals ausgesprochen, sagte Westhagemann am Montag. „Deshalb habe ich ein ganz gutes Verhältnis zu Herrn Kerstan.“ Und damit niemand etwas anderes behauptet, gab’s in der Bürgerschaft eine besonders innige Umarmung.