Hamburg. Vor 90 Jahren im alten Wasserturm im Stadtpark eröffnet, hat es sich seither zum wohl fortschrittlichsten der Welt entwickelt.

Langsam versinkt die Sonne hinter dem Fernsehturm. Wolken ziehen eilig über den dunkler werdenden Himmel, einzelne Sterne blitzen auf – und über die Zuschauer senkt sich allmählich die Nacht. In der Dämmerung werden die bekannten Sternbilder immer deutlicher sichtbar: der Himmelsjäger Orion, die Große Bärin, Kassiopeia. Für einige Augenblicke meint man, draußen unter dem freien Himmel zu sitzen. Die Illusion ist perfekt. Dann fängt der Himmel an, sich zu drehen. Planeten wandern zügig, Jahre werden zu Sekunden. Und plötzlich stehen wir auf dem Mond und sehen die Erde als blaue Murmel direkt über uns, und eine Stimme beginnt zu erzählen.

Seit 90 Jahren können Besucher im Hamburger Planetarium tief in den Kosmos eintauchen. Mit seinem Kuppeldach scheint der trutzige Backsteinkoloss im Stadtpark bereits für diesen Zweck konzipiert worden zu sein. Doch tatsächlich wurde er 1912 als Wasserturm errichtet. Mit knapp 65 Metern war er nicht nur der höchste, der in Hamburg gebaut wurde, er war auch der letzte – und er diente von allen Wassertürmen die kürzeste Zeit seinem eigentlichen Zweck. In Betrieb ging er nämlich erst 1916. Und wurde schon acht Jahre später wieder vom Netz genommen.

Die Wandelhalle mit dem Sternenbildgemälde, das von der Malerin Dorothea Maetzel-Johannsen konzipiert, begonnen und nach ihrem Tod vom Künstler Heinrich Groth vollendet wurde.
Die Wandelhalle mit dem Sternenbildgemälde, das von der Malerin Dorothea Maetzel-Johannsen konzipiert, begonnen und nach ihrem Tod vom Künstler Heinrich Groth vollendet wurde. © Andreas Laible | Unbekannt

Erforderlich geworden war er, weil das stark wachsende Hamburg Anfang des 20. Jahrhunderts schnell neue Wohngebiete erschließen musste: Um die Menschen dort mit Trinkwasser zu versorgen, wurden weitere Wassertürme benötigt. Die Wasserwerke schrieben daher 1907 einen Ideenwettbewerb für drei Wassertürme aus. Einer davon sollte in Winterhude entstehen.

Der Dresdner Architekt Oscar Menzel gewann den Wettbewerb und begann 1912 unter der künstlerischen Leitung von Fritz Schumacher mit dem Bau des Turms. Der legendäre Hamburger Baudirektor plante damals schon seit zwei Jahren einen sozialen Park, der als Erholungsfläche für die mittlerweile dicht besiedelten Stadtteile Barmbek und Winterhude dienen sollte. Neben verschiedenen Gebäuden wie Restaurants, Trinkhallen und Cafés sah Schumacher dort auch einen Wasserturm mit Aussichtsplattform vor, der sich am Ende einer 1,3 Kilometer langen Hauptachse erheben sollte.

Der Projektor wurde bestellt, aber der Standort fehlte noch

Der alte Wassertank im Planetarium-Turm von unten gesehen.
Der alte Wassertank im Planetarium-Turm von unten gesehen. © Thorsten Ahlf | Unbekannt

Schumacher, der zu jener Zeit noch der Architekturtradition des 19. Jahrhunderts anhing, versuchte mit diesem Bauwerk, „die Formen wilhelminischer Baukunst mit dem modernen Art-déco-Design zu verbinden“, beschreibt es Planetariumsdirektor Thomas Kraupe in seinem Buch „Denn was innen, das ist außen“. Beim Anblick des ehemaligen Wasserturms ist Schumachers Bestreben gut zu erkennen: Die weite Kuppel und der östliche Kolossalbogen mit der vorgelagerten und großzügig angelegten Brunnenanlage erinnern an die Monumentalarchitektur des 19. Jahrhunderts. Die klare und schnörkellose Gliederung der Ostfassade und die hohen, schlanken Pilaster sowie die filigrane Fenstergalerie im Kuppelgeschoss nehmen Bezug auf das moderne Bauen in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts.

Durch den Ersten Weltkrieg kam es beim Bau des Wasserturms immer wieder zu Unterbrechungen, sodass er erst 1916 in Betrieb genommen werden konnte. Mehr als 100 Jahre, bis zum Umbau 2017, blieb das Backsteingebäude, das auf einem Kalksteinpodest thront, äußerlich unverändert: eine fast 30 Meter breite Vorderfront mit Kaskaden, die ein Wasserbecken speisen, das Erdgeschoss von einer Galerie umgeben, die vom Osten her über zwei Treppen zu erreichen war.

Die eindrucksvolle Höhe des Turmes wurde durch seine Funktion bestimmt. Der gigantische Kessel, ein schmiedeeiserner Kugelbodenbehälter mit einem Durchmesser von 23 Metern und einem Fassungsvermögen von 3000 Kubikmetern, lag rund 63 Meter über dem Meeresspiegel – dadurch sollte der notwendige Wasserdruck erzeugt werden. Doch schon 1924 reichte der Druck nicht mehr aus, um den Wasserbehälter wieder aufzufüllen, denn Hochdruck- und Niederdrucknetz waren in Hamburg zusammengeschaltet worden. Der Wasserturm wurde 1924 vom Netz genommen, blieb dank neuer Pumpentechnik aber als Wasserspeicher nutzbar.

Treppenaufgang zum Sternensaal und den Ausstellungen.
Treppenaufgang zum Sternensaal und den Ausstellungen. © Thorsten Ahlf | Unbekannt

1926, also kurz nach der Stilllegung des Turms, wurde in Jena das Zeiss-Planetarium eröffnet. Der Hamburger Lehrer und Astronomie-Enthusiast Hans Hagge war davon vorab derart beeindruckt, dass er die Behörden der Hansestadt überredete, ein vergleichbares Projekt umzusetzen. Am 5. August 1925 unterzeichneten Vertreter Hamburgs in Jena einen Vertrag über die Lieferung eines Projektionsapparates. 150.000 Reichsmark waren für den Zeiss-Projektor „Modell II“ bewilligt worden.

Die Idee für ein Gerät, das die Bewegungen von Sonne, Mond, Planeten und Sternen zeigen konnte, war damals erst 17 Jahre alt, das erste Planetarium erst sieben Jahre zuvor in München eröffnet worden. Das für Hamburg bestimmte „Modell II“ war ein hantelförmiges Gerät auf gekrümmten Stelzenbeinen, durch dessen Neigung der gesamte Sternenhimmel auf der Erde darstellbar war.

Vier Monate später war „Modell II“ zur Auslieferung bereit – in Hamburg aber war mittlerweile vielen der Bau eines Planetariums zu teuer geworden. Die Baubehörde rechnete mit 390.000 Mark für einen Kuppelbau. Außerdem fand man keinen geeigneten Platz. Fünf Jahre sollte die Suche dauern, bis die Hamburger Wasserwerke den aufgegebenen Wasserturm im Stadtpark anboten. Doch auch an diesem Standort hatten einige etwas auszusetzen: Sie fürchteten, das teure Projekt im verkehrsungünstig gelegenen Stadtpark könne sich als unrentabel erweisen.

Erst im Juni 1929 stimmte die Bürgerschaft für den Vorschlag, das Planetarium im Winterhuder Wasserturm zu errichten. Dann ging alles ganz schnell. Schon wenig später begann der Umbau unter der Leitung des Architekten Hans Loop. Unter dem Wasserbehälter wurde ein 23 Meter hoher Raum eingerichtet, der durch eine Zwischendecke in zwei Etagen geteilt wurde. Die obere Etage erhielt eine Kuppel, auf die ein Sternenhimmel projiziert werden konnte, und diente als Planetariumssaal. Die untere Etage wurde zu einer Wandelhalle mit Kassenraum, außerdem entstanden dort Büros und Ausstellungsräume – unter anderem für die Bildersammlung zur Geschichte von Sternenglaube und Sternenkunde von Aby Warburg, die dort gezeigt wurde.


Die Wandelhalle wurde von der Malerin Dorothea Maetzel-Johannsen im Geschmack der Zeit ausgestattet. Sie sollte auch das Sternenbildgemälde malen, das sich heute noch an der Decke des Foyers befindet. Da sie jedoch während ihrer Arbeit an dem Gemälde verstarb, wurde das Bild vom Künstler Heinrich Groth vollendet. Am 22. April 1930, also nur knapp ein Jahr nachdem er dem Umbau zugestimmt hatte, lud der Hamburger Senat ausgewählte Gäste zu einer ersten Vorführung ein.

Ein Projektor wirft ein Bild der Galaxis unter die Kuppel des Planetariums in Hamburg
Ein Projektor wirft ein Bild der Galaxis unter die Kuppel des Planetariums in Hamburg © picture alliance / dpa | Malte Christians

Eine Woche später, am 30. April, öffnete das Planetarium für die Öffentlichkeit. Die war äußerst interessiert. In den ersten Jahren strömten rund 3000 Menschen pro Monat in den umfunktionierten Wasserturm. Sogar während des Zweiten Weltkrieges ging der Betrieb weiter – obwohl das Gebäude 1939 auch als Flakbeobachtungsstation genutzt wurde, Soldaten in den Ausstellungsräumen einquartiert waren und 1944 eine Bombe dicht neben dem Gebäude einschlug.

Das Angebot des Hamburger Planetariums war stets eng verknüpft mit der Entwicklungsgeschichte der Astronomie. Wurden zunächst vor allem die Sterne über Hamburg, der Lauf der Gestirne und Mondphasen präsentiert, bescherten in der Folge die Fortschritte in der Raumfahrt, der Astrophysik und der Kosmologie dem Planetarium neuen Schwung. Der überraschende Start des russischen Satelliten „Sputnik“ 1957 und die erste Mondlandung 1969 machten es zum Weltraumtheater.

Im Jahr 2018 kamen nach dem Umbau 390.000 Besucher

Die 32 Sternfeldprojektoren im Zeiss-„Starball“ werfen den gesamten Sternenhimmel­ naturgetreu an die Decke.
Die 32 Sternfeldprojektoren im Zeiss-„Starball“ werfen den gesamten Sternenhimmel­ naturgetreu an die Decke. © Frank-Michael Arndt | Unbekannt

Die Planetariumstechnik musste mit diesen Entwicklungen Schritt halten: 1956 wurde der Zeiss-Projektor „Modell II“ ausgebaut und nach Johannesburg verschifft, wo er noch heute im Einsatz ist. Das nachfolgende „Modell IV“ wurde wiederum 1983 durch einen Zeiss-Projektor der Baureihe VI ersetzt.

Bis zum Umbau 2002/ 2003 blieben die Reisemöglichkeiten der Planetariumsbesucher auf die Umgebung unserer Erde beschränkt. Erst dann konnte man dank neuer Technik spektakuläre Reisen in die entlegensten Winkel des Universums unternehmen – durch den Einsatz des kugelförmigen Glasfaserprojektors „Zeiss Universarium IX“, der den irdischen Himmel darstellte, und des digitalen Kosmossimulators „Digistar 3“, der auch den Himmel für alle anderen Standorte im Weltall berechnen und darstellen konnte. Seit 2017 wird das digitale Fulldome-System „Digistar 6“ verwendet, ein interaktives Echtzeit-3-D-Computergrafik-System.
 


Nur wenige Planetarien auf der Welt bieten eine derartige Kombination aus optischer Sternenprojektion und digitaler Ganzkuppelprojektion. Die 32 Sternfeldprojektoren im Zeiss-„Starball“ werfen den gesamten Sternenhimmel naturgetreu an die Kuppel, und zwar von jedem beliebigen Standort der Erde aus. Aber das ist noch nicht alles, was die neue Himmelsmaschine kann. Dutzende weitere Spezialprojektoren im Starball zeigen Sternbilder. Darüber hinaus ermöglicht „Digistar 6“ authentische 3-D-Darstellungen des Kosmos.

Raumflüge können durch die Milchstraße und noch weiter simuliert werden, sogar bis zum kosmischen Horizont in mehr als 13 Milliarden Lichtjahren Entfernung. Auch beliebige dreidimensionale Räume können abgebildet werden – sei es in den Weiten des Weltalls, im Inneren eines Sterns oder beispielsweise in den Grabkammern der ägyptischen Pyramiden. Neben den digitalen und analogen Projektoren, den Beamern und dem 3-D-Spatial-Soundsystem gehören auch ein mehrfarbiges Beleuchtungssystem aus Tausenden von Leuchtdioden und 16 beweglichen Effektscheinwerfern sowie das weltgrößte Lasersystem in einem Planetarium zur multimedialen Präsentationsmöglichkeit des heutigen Hamburger Sternentheaters.

In Liegesesseln und mit 3-D-Brillen unternehmen Besucher spektakuläre Reisen­ in die entferntesten Regionen des Universums.
In Liegesesseln und mit 3-D-Brillen unternehmen Besucher spektakuläre Reisen­ in die entferntesten Regionen des Universums. © Frank-Michael Arndt | Unbekannt

Während man in schwindelerregender Geschwindigkeit durchs Weltall zu rasen vermeint, sitzt man in Wahrheit in bequemen Liegesesseln, vielleicht noch mit einer 3-D-Brille auf der Nase. Die Sessel wurden beim vorletzten Umbau in den Jahren 2002 und 2003 eingebaut und ersetzten die alten Kunststoffstühle aus den 1970er-Jahren. Das war aber eher eine der kleineren Maßnahmen im Zuge dieser Modernisierung, bei der das alte Sternentheater im Wasserturm mitsamt seiner Kuppel komplett abgerissen und die gesamte Technik erneuert wurde. Außerdem entstand unter dem historischen Wasserbehälter eine neue Zwischenebene, die seitdem als Dach des darunter entstandenen neuen Sternensaals mit seiner Projektionskuppel dient.

Blick in den alten Wassertank mit dem riesigen Schwimmer.
Blick in den alten Wassertank mit dem riesigen Schwimmer. © Thorsten Ahlf | Unbekannt

Beim bislang letzten Umbau in der 90-jährigen Geschichte des Planetariums, der zwischen 2015 und 2017 erfolgte, wurde das Gebäude im Sockelbereich freigelegt und konnte dadurch um ein neues Erdgeschoss und einen ringförmigen Anbau erweitert werden. Zum ersten Mal in seiner Geschichte verfügt das Planetarium jetzt über barrierefreie Zugänge und eine Gastronomie. Außerdem erhielt es ein neues Logo: ein sonnengelber Tropfen mit einem schwarzen Punkt, der an einen stilisierten Kometen erinnert, sowie Piktogramme, die als Leitsystem die Besucher durch das Gebäude führen. 2018, im Jahr nach der Wiedereröffnung, kamen 380.000 Besucher ins Hamburger Sternentheater, das mit seiner technischen Ausrüstung und seinem facettenreichen Spielplan als das wohl fortschrittlichste der Welt gilt.