Hamburg. Sieben Prozent der Arbeitsplätze binnen eines Jahres abgebaut. Erstmals weniger als 20.000 Beschäftigte. Negativtrend dürfte anhalten.

In Hamburg gibt es im Stadtbild einige Plätze, die den Niedergang der Versicherungsbranche symbolisieren. Das ehemalige Allianz-Gebäude in der City am Großen Burstah ist fast abgerissen. Der Wegzug des Versicherers aus Hamburg konnte vor Jahren von der Politik nur knapp verhindert werden. Heute sitzt die Allianz in der City Nord, mit rund 400 Beschäftigten weniger als vor zehn Jahren. Aber dennoch gehört sie mit 1600 Mitarbeitern noch zu den größeren Arbeitgebern der Branche in Hamburg. Andere wie die Volksfürsorge sind ganz vom Markt verschwunden. An der Außenalster, wo die Versicherung einst residierte, steht inzwischen ein neues Büro- und Wohnquartier. Die letzten Überbleibsel der Volksfürsorge, eine Vertriebsgesellschaft innerhalb der Generali, welche die Volksfürsorge übernommen hatte, wurden bereits 2015 aufgelöst.

Innerhalb von zehn Jahren haben Hamburgs Versicherer rund 3000 Arbeitsplätze abgebaut. Dazu haben Allianz und Ergo mit jeweils rund 400 Stellen beigetragen, wie sich aus der jährlichen Übersicht des Abendblatts zu den 200 größten Arbeitgebern ergibt. Die Volksfürsorge mit einst 1800 Beschäftigten ist ganz verschwunden. Auch Euler Hermes und Condor haben rund 450 Stellen gestrichen. Allein im vergangenen Jahr hat sich die Zahl der Beschäftigten bei Versicherungen in Hamburg um fast 1600 Mitarbeiter verringert. Erstmals sind weniger als 20.000 Mitarbeiter im Versicherungsgewerbe in der Hansestadt beschäftigt. In Hamburg ist damit die Beschäftigung in der Branche mit 7,5 Prozent deutlich stärker zurückgegangen als in ganz Deutschland. Bundesweit hat sich die Zahl der Beschäftigten bei den Versicherungen 2017 um 1,2 Prozent auf 204.700 reduziert.

40 Prozent der Jobs fallen wohl in den nächsten zehn Jahren weg

„Hamburg bekommt den Strukturwandel in der Branche voll zu spüren“, sagt Hans-Jürgen Klempau von der Gewerkschaft Ver.di. Die Entwicklung sei der Zentralisierung der Branche geschuldet. Viele Assekuranzen haben an der Alster nicht ihren Hauptsitz und sind den Entscheidungen ihrer Zentralen ausgeliefert. „Da kann auch die Politik wenig tun“, sagt Klempau. „Es war schon eine Leistung, dass der Wegzug der Allianz aus Hamburg in das Umland verhindert wurde.“

Die Versicherungen leiden derzeit vor allem unter den niedrigen Zinsen, die das Geschäft mit der privaten Altersvorsorge erschweren. So stagniert die Sparte mit Lebens- und Rentenversicherungen. Vergleichsportale wie Check24 oder Verivox machen Prämienvergleiche transparenter. Die Branche fürchtet, von den Kunden so abgeschnitten zu werden wie die Hotels durch Buchungsportale wie HRS oder booking.com – alles würde sich dann nur noch um die Höhe der Prämie drehen. Viele Arbeitsplätze werden von der Digitalisierung bedroht. Nach einer Studie der Unternehmensberatung McKinsey dürften bundesweit 40 Prozent der heutigen Jobs in den nächsten zehn Jahren wegfallen, weil die Digitalisierung viele Arbeiten überflüssig macht. Vielfach übernehmen die Kunden Teile der Arbeit. Sie reichen in der privaten Krankenversicherung Arztrechnungen mithilfe einer App ein. Die Belege werden dann automatisch geprüft und das Geld dem Versicherten überwiesen. Die Deutsche Familienversicherung will nun zum Beispiel auch komplizierte Produkte wie eine Pflegezusatzversicherung über einen digitalen Sprachassistenten wie Amazon Echo vermitteln.

Ob das die Zukunft der Versicherungswirtschaft sein wird, bleibt abzuwarten, aber der Strukturwandel geht weiter. „Weitere Stellenstreichungen erwarten wir in Hamburg vor allem bei der Generali und der Ergo“, sagt Klempau. Allein bei der Ergo hat sich die Zahl der Beschäftigten in der Hansestadt in den ersten drei Monaten 2018 noch einmal um 220 auf 2432 Beschäftigte verringert. Bei der Generali besteht die Gefahr, dass das Geschäft mit klassischen Lebensversicherungen an einen anderen Anbieter verkauft wird. „Gerade die Lebensversicherung ist ein Schwerpunkt der Aktivitäten von Generali in Hamburg“, sagt Klempau. Ergo hat für die Verwaltung klassischer Lebensversicherungen ein Gemeinschaftsunternehmen mit IBM gegründet, das am Standort Hamburg angesiedelt sein wird. Betroffen sind knapp 800 Mitarbeiter. Das Gemeinschaftsunternehmen will auch Lebensversicherungsbestände von anderen Anbietern verwalten.

Bei der Allianz werden bis zum Jahr 2020 bundesweit 700 Vollzeitstellen bei der Vertragsverwaltung gestrichen. Die Abteilungen der Unfallversicherung sollen sich in Berlin und München befinden, dafür werden die Bereiche in Hamburg, Leipzig und Stuttgart geschlossen. „In Hamburg sind aber nur wenige Mitarbeiter betroffen“, sagt Michael Best von der Allianz in Hamburg, ohne eine konkrete Zahl zu nennen.

Zwei Versicherer schaffen gegen den Trend Stellen

Es gibt in Hamburg aber auch Versicherer, die entgegen dem Trend bei den Beschäftigten wachsen. Zwar hat auch die Signal Iduna 350 Jobs in Hamburg abgebaut, aber unter dem Strich hat sie heute 700 Beschäftigte mehr als vor zehn Jahren. „Wir haben die Krankenversicherungssparte des Deutschen Rings übernommen“, sagt Thomas Wedrich von der Signal Iduna. 2021 wird die Versicherung ein neues Quartier in der City Nord beziehen.

Aus eigener Kraft wächst die Hanse Merkur. Sie hat heute 420 Beschäftigte mehr als vor zehn Jahren. „Wir sehen Wachstumschancen in Bereichen, die für viele Wettbewerber zu klein sind und waren damit sehr erfolgreich“, sagt Unternehmenssprecher Heinz-Gerhard Wilkens. Dazu gehören Reisekranken- und Reiserücktrittsversicherungen. In Kooperation mit der Optikerkette Fielmann wurden acht Millionen Brillenversicherungen verkauft. Die privaten Policen stellen die Kunden so, als wäre die Lesehilfe noch eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung. Unter bestimmten Bedingungen gibt es nach zwei Jahren Ersatz.

Für Gewerkschafter Klempau ist die Entwicklung von Hanse Merkur und Signal Iduna nicht verwunderlich: „Als Versicherungsvereine, die den Versicherten gehören, unterliegen sie nicht dem Gewinnstreben wie eine Aktiengesellschaft.“ Doch insgesamt wird das die Entwicklung in Hamburg nicht stoppen können. Die Zahl der Beschäftigten in der Branche dürfte weiter sinken.