Hamburg. Das Opfer erlitt offenbar einen Schädelbruch – Intensivstation. Was man über den mutmaßlichen Täter Grigoriy K. weiß.

Polizei und Staatsanwaltschaft gehen von Mordversuch aus und von einem antisemitischen Hintergrund: Nach der Attacke auf einen jüdischen Studenten (26) vor der Synagoge an der Hohen Weide in Eimsbüttel hat die Diskussion um die Sicherheit der jüdischen Einrichtungen in Hamburg und andernorts begonnen. Gleichzeitig ist die Betroffenheit groß über die Tat eines 29 Jahre alten Deutschen mit kasachischen Wurzeln.

Der Mann, Grigoriy K., soll zuletzt in Berlin gemeldet gewesen sein, sich aber ohne behördliche Meldung in Langenhorn aufgehalten haben – offenbar in einer Einrichtung von "Fördern & Wohnen". Diese Hamburger Wohnung wurde noch in der Nacht zu Montag durchsucht, Datenträger gesichert. Nach Angaben der Polizei mache er einen "verwirrten Eindruck".

Nach Informationen des Hamburger Abendblatts wird der mit einem Klappspaten attackierte Student auf der Intensivstation eines Krankenhauses behandelt. Er soll bei dem Angriff einen Schädelbruch erlitten haben.

Fegebank: Gefahr ist allgegenwärtig

Hamburgs Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) kam am Montagmittag zu einem Gespräch in die Synagoge. Nach dem Treffen mit Landesrabbiner Shlomo Bistritzky und den Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde in Hamburg, Philip Stricharz und Eli Fel, sagte sie: „Ich bin zutiefst beschämt darüber, dass ein jüdischer Student genau hier attackiert wurde. Ich war genau vor einem Jahr hier nach den Anschlägen in Halle." Alle Menschen jüdischen Glaubens sollten "frei und sicher in unserer Stadt leben können". Antisemitismus sei kein Einzelfall. "Wir müssen uns noch mehr mit dem Hasse, der im Netz millionenfach verbreitet wird, auseinandersetzen und dürfen das nicht abtun als die Tat von Einzelnen, die gern als geistig Verwirrte beschrieben werden. Das ist ein gravierendes gesellschaftliches Thema, das wir haben.“

Für 17 Uhr hatte das Auschwitz-Komitee zu einer Mahnwache vor der Synagoge aufgerufen.

Auch die Türkische Gemeinde in Hamburg fand klare Worte. Der Vorsitzende Murat Kaplan erklärte: „Der Versuch eines Massenmordes an Juden an Jom Kippur in Halle ist kaum ein Jahr her. Nun müssen wir feststellen, dass der Antisemitismus auch vor Hamburg keinen Halt macht. Dieser Anschlag an einem jüdischen Feiertag macht erneut deutlich, wie wichtig funktionierende Gegenmaßnahmen sind, die bereits präventiv ihre Wirkung entfalten müssen." Man müsse jetzt prüfen, ob die Sicherheit vor der Synagoge ausreichend gewesen sei. Auch die Alevitische Gemeinde Hamburgs sprach "dem Opfer, dessen Angehörigen und der Jüdischen Gemeinde Hamburgs" ihr Mitgefühl aus und drückte ihre Solidarität aus.

Angriff vor Synagoge: Täter mit Hakenkreuz in der Hosentasche

Wie die Generalstaatsanwaltschaft Hamburg am Montag mitteilte, habe die Zentralstelle Staatsschutz die Ermittlungen an sich gezogen. Der Tatverdächtige sei in Hamburg "bislang polizeilich nicht in Erscheinung getreten". Er habe aber in der Hosentasche einen Zettel mit einem aufgemalten Hakenkreuz gehabt. Woher er die Bundeswehruniform habe, werde noch ermittelt. Von Mittätern gehen die Ermittler derzeit nicht aus. Grigoriy K. soll zudem ein Messer dabeigehabt haben.

Video: Reaktionen nach Attacke vor Synagoge

Am Montag trafen sich schon wieder Gemeindemitglieder an der Hohen Weide. Die Stimmung war getrübt. Die Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde in Hamburg und Landesrabbiner Shlomo Bistritzky waren vor Ort. „Wir sind Bürger dieser Stadt und lassen uns nicht einschüchtern“, sagt Eli Fel, der Zweite Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Hamburg. „Auch in Hamburg findet eine Verrohung statt, das wird deutlich nach den Angriffen auf den Landesrabbiner im vergangenen Jahr. Der Angriff von gestern ist eine weitere Steigerung.“

Hamburgs Jüdische Gemeinde: "Wie wird einer Einzeltäter?"

Trotz des Angriffs auf den Studenten gehen die Feierlichkeiten zum Laubhüttenfest Sukkot wie vorgesehen weiter. Philipp Stricharz, Erster Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Hamburg, sagte, er habe den verletzten Studenten im Krankenhaus besucht. „Er wird noch intensiv beobachtet, ist aber auf dem Weg der Besserung.“

Trotz der seit Jahren bestehenden Schutzmaßnahmen vor der Synagoge und der Straßensperrungen hat es der Täter geschafft, den Studenten anzugreifen. „Das darf nicht sein“, so Stricharz. „Unsere Besucher müssen zu 100 Prozent sicher sein, unverletzt und unbehelligt unsere Einrichtungen besuchen und wieder verlassen zu können. Wir sind fassungslos und schockiert, dass das immer noch nicht möglich ist. Leider passieren solche Anschläge auch in Hamburg, mitten in einem Wohngebiet.“

Die Planungen zu einem Antisemitismus-Beauftragten müssten nun stärker in den Fokus rücken. „Es muss jetzt zu Entscheidungen kommen, und dann muss es jemand werden, der die Schlagkraft hat, auch solche Täter, die fern von Bildung und Ansprache sind, zu erreichen.“

 Landesrabbiner Shlomo Bistritzky sagte: „Wir haben heute früh das Leben weitergeführt wie geplant. Wir  müssen abwarten, was die Polizei über den Täter berichtet und dann überlegen, ob und was wir machen können.“ Er hofft, dass sich das Leben in der Jüdischen Gemeinde nicht verändern wird. Es wird von einem Einzeltäter gesprochen: „Aber wie wird ein solcher ein Einzeltäter? Einzeltäter sind nicht so einzeln.“ Auch die Hamburger Aleviten kritisieren die Theorie eines Einzeltäters: Hinter einer solchen Tat stünden "rassistische und antisemitische Ideologien und Meinungen".

"Hass wie in der AfD hat Angriffen den Boden bereitet"

Die frühere Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, sagte: „Dieser furchtbare Angriff fast auf den Tag genau ein Jahr nach dem Anschlag von Halle weckt die düstersten Erinnerungen in der jüdischen Gemeinschaft – weit über Hamburg hinaus." Knobloch sagte, in die juristische Aufarbeitung müsse auch "das judenfeindliche Grundrauschen" einbezogen werden, das die Tat möglich gemacht habe. "Hass und Intoleranz in allen gesellschaftlichen Sphären bis hinein in politische Parteien wie der AfD haben für solche Angriffe den Boden bereitet."

Die CDU-Bürgerschaftsfraktion forderte, die Maßnahmen für alle jüdischen Einrichtungen der Hansestadt zu überprüfen. Der innenpolitische Sprecher Dennis Gladiator erklärte: "Mitten in Hamburg wurde ein jüdischer Student angegriffen und brutal niedergeschlagen. Diese widerliche Tat macht wütend, und sie ist eine Schande für unsere Stadt. Antisemitismus und antisemitische Angriffe richten sich nicht nur gegen Juden, sondern ebenso gegen unsere freie Gesellschaft."

Gladiator forderte: "Die Sicherheit der jüdischen Gemeinschaft liegt in der Verantwortung der Stadt. Es ist daher leider erneut dringend geboten, die Sicherheitsstandards aller jüdischen Einrichtungen in Hamburg zu überprüfen."

Bürgermeister Peter Tschentscher hatte die Tat am Sonntag verurteilt und gesagt: „Ich bin bestürzt über den Angriff vor einer Synagoge in Hamburg. Die Polizei hat den Täter festgenommen und klärt die Hintergründe der Tat auf. Ich wünsche dem Opfer viel Kraft und baldige Genesung. Hamburg steht fest an der Seite unserer jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger.“

Polizeisprecherin Sandra Levgrün über die Tat

Für die Grünen-Bürgerschaftsfraktion erklärte Michael Gwosdz: "Für uns Grüne ist klar: Wir stehen an der Seite der Jüdischen Gemeinde, wir alle dürfen im Kampf gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus keinen Augenblick nachlassen. Es gilt, die Strukturen dieses menschenverachtenden Rechtsextremismus noch besser zu durchdringen und ihm entschieden entgegenzutreten."

Die FDP-Abgeordnete Anna von Treuenfels-Frowein sprach von "Attentat": Es mache deutlicher denn je, dass man wachsam sein müsse gegenüber antisemitischen Tendenzen und Taten. "Das gilt nicht nur gegenüber dem rechtsradikalen Milieu der Ewiggestrigen. Das gilt auch gegenüber Menschen, die aus ihren Herkunftsländern antisemitische Haltungen nach Deutschland mitbringen."

Außenminister Heiko Maas (SPD) sprach davon, dass es kein Einzelfall sei. Vor fast genau einem Jahr hatte ein Attentäter versucht, in die Synagoge in Halle einzudringen – offenbar in Mordabsicht. Der bewaffnete Rechtsextremist Stephan B. erschoss eine Passantin und den Gast eines Imbisses. Auf der Flucht verletzte er mehrere Menschen zum Teil schwer. Gegen den Mann läuft am Oberlandesgericht Naumburg der Prozess.