Hamburg. Christa Lange brach zusammen, kam ins Heim, wurde gegen ihren Willen betreut. Die unglaubliche Geschichte einer mutigen Frau.

Die Frau, die früher für Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) die Schnittchen schmierte, kämpft sich in ihr Leben zurück. Das Gehen hat sie mühsam wieder erlernt, ihre Beschwerden hat sie mit neuen Medikamenten in den Griff bekommen. Und der Mut ist bei Christa Lange, 68, längst wieder da. Das ist das Erstaunlichste, denn die kleine Frau aus Niendorf hat die schlimmsten Schicksalsschläge erlitten, die man sich vorstellen kann.

Ihr Partner starb, sie brach zusammen. Intensivstation, mehrere Wochen Koma, Pflegeheim.

Endstation.

Ihr Sohn war überfordert, die Schwester lebt weit weg und konnte sich nicht kümmern. Das Amtsgericht setzte eine Betreuerin für Christa Lange ein. Sie verlor ihre Wohnung, ihren Hausrat, ihr kleines Vermögen.

Im Pflegeheim fühlte sie sich entmündigt und bevormundet

Weil niemand widersprach, niemand für sie die Stimme erhob und sie in einem Zweibettzimmer mit einer alzheimerkranken Frau in einem Pflegeheim vor sich hinwevegetierte, wurde auch Christa Lange für dement erklärt. Das hat sie schriftlich. So schnell kann das gehen in Deutschland.

Und doch stemmte sie sich zurück in ein neues Leben. Das beginnt sie in einer kargen Einzimmerwohnung, ausgestattet mit amtlich dokumentierten 148,30 Euro Restvermögen und den Erinnerungen. „Ich habe alles gehabt, und jetzt habe ich nichts mehr“, sagt sie. Von ihrem früheren Leben ist ihr nur ein Karton mit Fotos geblieben.

Das stimmt nicht ganz. Ihren materiellen Besitz hat sie verloren. Aber sie bestimmt wieder über ihr Leben. Vier Jahre hat Christa Lange dafür gekämpft, wieder ein vollwertiger Mensch zu sein, wie sie das nennt. Dafür, dass die gesetzliche Betreuung aufgehoben wird. Gekämpft, dass sie wieder allein über ihr Konto verfügen kann, den Personalausweis zurückerhält, dass sie wieder GEZ-Gebühren zahlen darf für den kleinen Fernseher am Fußende ihres Bettes.

Die Betreuer: Wir haben rechtlich korrekt gehandelt

Wer ist dafür verantwortlich, dass Christa Lange jahrelang um ihre Eigenständigkeit kämpfen musste? Sie fühlt sich betrogen und bevormundet über Jahre, weil sie zwischenzeitlich nicht in der Lage war, ihr Leben selbst zu ordnen. Ihre Betreuer sagen, sie hätten nach den Buchstaben des Gesetzes gehandelt.

Spurensuche: Christa Lange führte in den achtziger Jahren ein Restaurant in Langenhorn. „Ich habe für Loki und Helmut Schmidt kalte Büfetts gemacht, für Valery Giscard d’Estaing. Auch die Leute vom Bundeskriminalamt haben bei mir gegessen.“ Ihr Mann stirbt, sie muss das Restaurant schließen. Sie geht zur Lufthansa Technik, arbeitet dort als „Kaltmamsell“, wie sie sagt. Kalte Küche, Vorspeisen, Büfetts. Nebenbei hilft sie in einem Catering-Service aus. „Ich habe viel gearbeitet, aber immer gut verdient“, sagt Christa Lange.

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Die Ärzte sagen: Sie will nicht mehr. Von wegen!

22 Jahre bei der Lufthansa Technik, die Rente ist dementsprechend, dazu kommt eine Betriebsrente. Stolz ist Christa Lange. Einen neuen Partner hat sie, Peter. Mit ihm verbringt sie ein paar schöne Jahre. Von ihrer schnieken Dreizimmerwohnung in guter Lage zeigt sie die Bilder vor: Essgruppe aus Palisander, Rosenthal Porzellan, Küchengeräte nur vom Besten, ein großer Barockspiegel. Unter dem lag sie hilflos eine Nacht und einen halben Tag, als sie nach dem schnellen Krebstod ihres Lebensgefährten Peter zusammengebrochen war.

Christa Lange
Christa Lange © Michael Rauhe | Michael Rauhe

Sie pflegte ihn bis zur letzten Minute. Er starb im Mai 2009, und ihr flog der Boden unter den Füßen weg.

Seit ihrem 12. Lebensjahr hatte sie ihre Epilepsie unter Kontrolle. Jetzt überfiel sie ein schwerer Anfall. Nach acht Wochen im Koma sagen die Ärzte ihrer Schwester Carla: „Sie will nicht mehr.“ Da sitzt Christa Lange im Rollstuhl, vollgepumpt mit Medikamenten.

Sie will nicht mehr? Von wegen!

Im Heim kommt sie langsam wieder zu sich. Gibt den Pflegern Widerworte, ist renitent. Sie stachelt andere Bewohner auf. Sie sollen laut singen, Lieder, an die sie sich noch erinnern. Ist ja sonst nichts los im Heim. „Eine schwierige Bewohnerin“, schreibt die Pflegeleitung. Untragbar.

Keine Demenz – Christa Lange stand unter starken Medikamenten

Freunde holen sie aus dem Heim. Christa Lange wohnt bei ihnen, sie ist fast vollständig wiederhergestellt. Und die Demenz? „Frau Lange war, wie sich mittlerweile herausstellte, aufgrund einer Medikamentennebenwirkung bettlägerig und aufgrund einer vorübergehenden Hirnleistungsschwäche hilfsbedürftig geworden“, schreibt ihr Hausarzt an das Amtsgericht und die Betreuerin L. Sie sei „im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte“, und die Betreuung sollte aufgehoben werden. „Voll orientiert“, schreibt ihr Physiotherapeut, allerdings noch etwas wacklig auf den Beinen.

Betreuerin L. windet sich in einem Brief an den Richter R.: „Sehr traurig und wütend“ sei Christa Lange. Außerdem „übermotiviert“ und „nicht in der Lage, ihr Verhalten zu steuern“. Sie wolle für sich selber sorgen und lehne die Betreuerin brüsk ab. Der Richter solle prüfen, ob Christa Lange „pathogene Verhaltensmuster“ zeige und ob man die Betreuung nicht aufrechterhalten müsse. Was Christa Lange nicht alles getan habe: Eine neue Brille habe sie verlangt, zum Friseur wollte sie, und einmal habe sie für 50 Euro im Monat telefoniert. Das ist zu viel für die Betreuerin.

Heute sagt der Betreuungsverein: „Es gab eine eskalierende Situation zwischen Frau Lange und ihrer Betreuerin.“ Man habe aber sicher nicht dafür plädiert, dass Frau Lange unter Betreuung bleibt.

Das Geschacher um die Betreuung zieht sich hin

Der Richter hebt nach zwei Jahren die Betreuung auf. Ein ambulanter Pflegedienst kommt in Christa Langes zwischenzeitliche Wohnung. Zwei Jahre vergehen, dann setzt das Gericht plötzlich einen neuen Betreuer ein, angeregt vom Pflegedienst. Das Geschacher um die Selbstständigkeit einer wiedererstarkten Frau geht von vorne los und zieht sich über Monate.

Dann erleidet Christa Lange einen Herzinfarkt. Sie liegt auf der Intensivstation des Albertinen, und noch im Aufnahmebericht steht: Die Patientin leidet an Demenz.

Falsche Diagnose noch im Krankenhaus

Quatsch, schreibt kurz darauf ihre Neurologin, nachdem sich Christa Lange erholt hat. Von Demenz keine Spur. Christa Lange ist „mobil ohne Hilfsmittel, ... im Kontakt freundlich, offen“. Doch die Patientin kommt immer wieder auf die „Zwangsbetreuung“ zu sprechen, fühlt sich bevormundet von Richtern und Betreuern. Sie ist verbittert.

Ihrer großen Wohnung und dem Inventar trauert sie hinterher. Sie sagt, die ehemalige Betreuerin habe die Wohnung ratzfatz aufgelöst und die Möbel verkauft. Der Betreuungsverein und der zweite Betreuer sagen: Das war notwendig und per Richterbeschluss abgesegnet. Das Sozialamt übernehme die Einlagerung von Möbeln nicht. Und trotzdem zahlte der Betreuungsverein Christa Lange pauschal eine Entschädigung von 5000 Euro. Ein Eingeständnis, dass nicht alles korrekt lief?

Erst mithilfe der Öffentlichen Rechtsauskunft und einer Anwältin gelingt Christa Lange fast vier Jahre nach ihren ersten Anträgen und der klaren Empfehlung ihres Hausarztes das scheinbar Unmögliche. Mit Beschluss vom 9. April 2015 hebt Amtsrichter R. – Abteilung 109 – die Betreuung endgültig auf.

Christa Lange spricht offen darüber, dass alle sie abgeschrieben haben und es dafür sogar einen amtlichen Stempel gab. „Aber ich bin nur kaputt – nicht tot."

Betreuung: Was ein Experte rät