Hamburg. Isolation und schwer absehbares Ende der Corona-Pandemie können Ängste auslösen. Was Erwachsenen und Kindern hilft.
Die Coronakrise macht vielen Menschen Angst, die häusliche Isolation führt zu weiteren Belastungen. Wie man sich davor schützen kann und welches die besten Strategien sind, verrät Prof. Jürgen Gallinat, Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie am UKE.
Erster Rat: Fokus nicht auf die Krise legen
Wichtig sei es, den Fokus nicht zu sehr auf die Krise zu legen. „Covid-19 steht derzeit sehr im Mittelpunkt unseres Denkens und nimmt großen Raum ein, jede neue Nachricht wird verfolgt“, sagt Gallinat. Dass das Menschen Angst mache, sei normal und nachvollziehbar – der archaische Reflex ist auch ein Schutzmechanismus.
Wenn man das Ganze aber rationaler angehe, könne man sich bewusst machen, dass andere Volkskrankheiten teils zu mehr Todesfällen führten. Man sollte sich fragen, wie groß tatsächlich die Wahrscheinlichkeit für einen selbst ist, lebensbedrohlich an Covid-19 zu erkranken. „Sonst läuft man Gefahr, sich zu verrennen.“
Zweiter Rat: Positive Aspekte der Krise erkennen
Auch die positiven Aspekte in den Blick nehmen. Viele Menschen hätten beispielsweise mehr Kontakt zu ihren Nachbarn, denen sie vielleicht helfen. Man könne seine soziale Umgebung neu kennenlernen. „Anderen zu helfen, kann einem auch selbst helfen. Wer anderen etwas Gutes tut, verbessert seinen eigenen Gemütszustand“, so der Psychiater.
Dritter Rat: Aktiv Sport treiben
Dritter Rat: Regelmäßig Sport treiben. „Man sollte sich körperlich bewegen, Sport hat einen wichtigen Effekt“, sagt Gallinat. „Dies tut dem Körper und der Seele gut, reduziert depressive Stimmung und stärkt das Selbstwertgefühl.“
Vierter Rat: Dem Alltag Struktur geben
Den Alltag klar strukturieren. Wichtig ist es, morgens nicht zu spät aufzustehen, abends nicht zu früh ins Bett zu gehen, den Tag zu planen und feste Routinen zu schaffen. Nicht auf dem Sofa sitzenbleiben, sondern aktiv werden. Zu viel Schlaf und Entspannung tun nicht gut. Stattdessen Liegengebliebenes aufarbeiten: „Jeder hat eine Kiste im Kopf mit Dingen, zu denen er nie kommt. Jetzt ist ein guter Zeitpunkt, diese anzugehen.“ Außerdem sollte man den Kontakt zur Familie und Freunden halten — „am besten fest verabredet“. Das intensive Gespräch mit dem Partner, eine tiefere Unterhaltung mit Bekannten und mehr Zeit im Umgang mit Freunden könnten dabei neue positive Seiten bringen.
Fünfter Rat: Auf vertrauenswürdige Informationsquellen achten
Nicht den ganzen Tag im Internet surfen auf der Suche nach weiteren Nachrichten zur Corona-Krise. Sogenannte Fake News schürten ganz bewusst Ängste. Lieber gezielt und dosiert auf vertrauenswürdige Informationsquellen stützen. „Ein weiteres Dahintreiben durch die Informationsflut verstärkt eher Unsicherheit und Frustration.“
Kontaktsperre kann psychische Belastung verstärken
Generell könne die Kontaktsperre durch die soziale Isolation die psychische Belastung verstärken und Angst oder Depression begünstigen. „Vor allem der schwer absehbare Endpunkt der Corona-Pandemie und der Kontaktsperre werden dabei zu einem Stressfaktor“, sagt Gallinat. Politik könne dem entgegenwirken, indem sie möglichst umfassend und transparent informiert und ihre Entscheidungen gut begründet.
Er ist sich dennoch sicher: „Ein Großteil der Menschen wird durch die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen keinen psychischen Schaden davontragen.“ Es sei aber durchaus damit zu rechnen, dass einige Menschen aufgrund der belastenden Situation psychische Probleme wie Depressivität oder Ängstlichkeit entwickeln oder vorbestehende Symptome sich verstärken.
Aus Studien zur Quarantäne, auch bei einer vorhergehenden Sars-Epidemie, wisse man, dass depressive Stimmungen, Erschöpfung, Ärger und Aggressionen sowie Symptome einer posttraumatischen Stresserkrankung in einigen Fällen mehr werden könnten.
Coronakrise: Hilfe bei Depressionen gibt es am UKE
„Wer an einzelnen schlechten Tagen eine depressive Stimmung oder Bedrücktheit erlebt, hat aber noch lange Depression im psychiatrischen Sinn“, sagt Gallinat. Dazu müssten die Symptome — generell gesprochen — über zwei Wochen andauern. Hilfe gibt es unter anderem in der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des UKE sowie die angegliederten Ambulanzen. Auch Hausärzte berieten in Krisensituationen. In der Psychiatrie des UKE haben sich bisher aber noch nicht mehr Menschen gemeldet, so Gallinat.
Angewohnheiten wie Abstandhalten können sich fortsetzen
Beobachtet haben die Wissenschaftler, dass sich die Symptome auch noch Wochen bis hin zu wenigen Monaten nach Ende von Quarantäne und Isolation andauern können. „Hier handelt es sich beispielsweise um Ängstlichkeit im Umgang mit Menschen. Auch depressive Stimmung, Anspannung und Schlafstörungen kommen bei manchen Menschen noch vor“, so der Mediziner.
„Dies ist jedoch eher selten und die Symptome verschwinden im weiteren Verlauf. Wir sollten aber nach der Kontaktsperre darauf achten, unsere Verhaltensmuster aus Zeiten der Isolation wieder abzulegen.“ Angewohnheiten wie Abstandhalten oder die Sorge, wenn jemand niest, könnten sich fortsetzen.
Kinder- und Jugendpsychiater: Kindern erklären, was passiert
Zur besonderen Situation von Kindern weiß Prof. Michael Schulte-Markwort, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik am UKE, Rat.
Grundsätzlich könne man jedem Kind, das bereits sprechen kann, erklären, was derzeit passiert –„also was eine Infektion ist, wie sich Fieber oder Husten anfühlt und dass gerade ein Erreger in der Welt unterwegs ist, der etwas gefährlicher ist als andere, und den man nicht sehen kann.“ Kinder hätten nicht unbedingt mehr Angst als Erwachsene. Wenn Eltern ängstlich seien, könne sich das aber auf ihre Kinder übertragen.
Der Umgang der Kinder mit der Kontaktsperre sei sehr unterschiedlich, so Schulte-Markwort. Einige fänden es ganz gut, wenn weniger los sei. „Es entlastet sie vielleicht auch, wenn sie weniger Zeitdruck haben und anders lernen können.“ Andere Kinder vermissten ihre Freunde.“
"Noch nie waren wir so gut vernetzt wie jetzt"
Eine gewisse Zeit in Quarantäne oder eine absehbare Kontaktsperre seien nicht schädlich für Kinder, meint der Experte. „Im Gegenteil, wir lernen gerade als Gesamtgesellschaft, was Solidarität bedeutet, wie man diese lebt. Es tut Kindern gut, so etwas zu erleben. Außerdem erleben wir ja gerade kein Social Distancing, sondern eher ein Physical Distancing. Noch nie waren wir so gut vernetzt wie jetzt.“
Familien sollten ihren Tagesablauf gut planen und morgens gemeinsam besprechen. Gut sei es, gemeinsam Pausen zu machen, aber auch Zeit für sich zu haben.
Im Homeoffice eigenen Stresspegel kontrollieren
„Wichtig ist aber auch, diese Regelung nicht zu strikt zu befolgen. Wer zwischendurch eine Frage zulässt, kann auch Tränen abwenden. Das gilt vor allem auch für kleinere Kinder, die vielleicht nicht mit einer Frage ,stören`, sondern kurz ein Spielauto über den Schreibtisch fahren möchten.“
Eltern, die im Homeoffice arbeiteten, seien aber auch in der „Pflicht, ihren eigenen Stresspegel zu kontrollieren, damit sie diesen nicht an ihre Kinder übertragen“. Vor allem sollten Eltern ihren Kindern vermitteln, dass die Quarantäne kein Gefängnis ist, sondern sie alle Dinge tun können, für die man sonst vielleicht eher nicht Zeit findet.
Familien sollten mehr Zeit miteinander verbringen. „Aber Kinder dürfen in dieser Zeit auch mehr am PC spielen oder fernsehen. Das können sie verkraften und ist nicht dramatisch“, sagt Schulte-Markwort. „Auf die Mischung kommt es an.“
Coronakrise: Elterntelefon bietet Hilfe
Wer mit der Situation nicht zurechtkommt, sollte sich Hilfe holen. Die gibt es am Elterntelefon unter der Telefonnummer 0800-111 0 550 oder am Kinder- und Jugendtelefon unter 116 111 (kostenlos).