Hamburg. Warum der Hamburger CDU-Spitzenkandidat als Schüler trotzdem fast in die SPD eingetreten wäre.

In seinem ersten Abendblatt-Interview als designierter Spitzenkandidat der CDU für die Bürgerschaftswahl 2020 bezieht Marcus Weinberg Stellung zu den größten Problemen der Stadt, den Schwerpunkten des Wahlkampfs und zu der Frage, wie er die CDU wieder in die Erfolgsspur bringen will.

Hamburger Abendblatt: Wollen Sie nicht Erster Bürgermeister werden? Sie sind nur als Spitzenkandidat, nicht als Bürgermeisterkandidat nominiert worden.

Marcus Weinberg: Doch, ich kann mir das auch vorstellen. Allerdings werde ich zuerst als Spitzenkandidat gewählt. Daraus wird dann später auch der Bürgermeisterkandidat der CDU. Ich finde aber auch Angemessenheit und Bescheidenheit wichtig. Schön wäre im Herbst eine entsprechende Wahrnehmung der Menschen als Kandidat für das Bürgermeisteramt.

Die CDU hängt seit fast einem Jahrzehnt in einem Tief von rund 15 Prozent, die letzten Bürgerschaftswahlen eingeschlossen. Was sind Ihrer Ansicht nach die Gründe?

Die Kernsubstanz unserer Stammwählerschaft hat abgenommen. Früher hatten wir in schwierigen politischen Zeiten einen Anteil von gut 20 Prozent, jetzt nur noch von 15 Prozent. Uns ist es als CDU lange Zeit nicht mehr gelungen zu zeigen, was unsere drei Strömungen konservativ, christlich-sozial und liberal für die Entwicklung der Stadt als Kraft bedeuten können. Als Spitzenkandidat der CDU muss man die eigenen Stammwähler mobilisieren, aber zugleich ein großes Gesamtbild von der Zukunft der Stadt zeichnen, das auch andere Wählerschichten anspricht. Ole von Beust ist es zuletzt gelungen, als CDU-Spitzenkandidat zugleich als Vertreter der ganzen Stadtgesellschaft zu wirken.

Ist Ole von Beust Ihr Vorbild?

In zweierlei Hinsicht ja: Als CDU-Mitglied ist man in Hamburg nicht automatisch Favorit für den Posten des Ersten Bürgermeisters. Ole von Beust ist es aber mit seiner Persönlichkeit gelungen, dass er von vielen als „unser Bürgermeister“ wahrgenommen wurde. Und die haben dann CDU gewählt. Außerdem hat mich sein kooperativer Führungsstil mit Machtanspruch überzeugt. Er suchte die großen Linien und hat sie dann gemeinsam mit anderen wie Wolfgang Peiner und Gunnar Uldall entwickelt. Stichwort: Konzept wachsende Stadt.

Gibt es weitere Vorbilder?

Ich war früher Helmut-Schmidt-Anhänger. Er hatte damals die richtige Analyse und richtige Perspektive in der sicherheitspolitischen Betrachtung mit dem Nato-Doppelbeschluss. Ein Grund, warum ich nicht in die SPD eingetreten bin, war auch die Art, wie die Partei mit Helmut Schmidt umgegangen ist.

Mussten Sie lange überlegen, ehe Sie sich entschieden haben anzutreten?

Als es sich konkretisiert hatte, ging es recht schnell. Das erste war die Unterstützung meiner Lebensgefährtin und unseres Sohnes. Das zweite war die Frage, ob ich die Macht und Kraft habe, an der einen oder anderen Stelle deutlich zu machen, wo meine Akzente liegen. Beinfreiheit muss gelegentlich bis zum Hals gehen. Ich arbeite im kooperativen Stil, bleibe aber der Typ Querdenker.

Die CDU hat Peter Tschentscher immer als dritte Wahl abqualifiziert. Dieser Logik folgend sind Sie auch dritte Wahl.

Ich habe Herrn Tschentscher nie als dritte Wahl bezeichnet. Ich halte nichts von dieser Champignon-Kategorie für Menschen allgemein und Politiker speziell. Ich bin auch keine dritte Wahl, ich bin eine andere Wahl. Das ist eine Stilfrage.

Wie wollen Sie die CDU aus der Verlierer-Ecke holen?

Erstens müssen Sie bei den eigenen Leuten Aufbruchstimmung erzeugen und ihnen eine Perspektive der Chance auf Gestaltung aufzeigen. Zweitens muss diese Dynamik von Inhalten getragen werden, die wir nun nach und nach erarbeiten. Drittens müssen im Herbst Person, Programm und Strategie zum „Big Picture“ zusammengeführt werden. Dann müssen wir mit breiter Brust rausgehen und sagen: Das ist unser Angebot für die Stadt, unser Gegenmodell zur Senatspolitik.

Was wird aus Ihrer Sicht das beherrschende Thema des Wahlkampfs sein?

Es sind natürlich Einzelthemen wie Mobilität, Sicherheit, Bildung oder Stadtentwicklung. Aber ein Thema wird für mich ein großes Überthema: die Ein­trübung der Wirtschaft und die Frage, wie wir unseren Wohlstand trotz schlechterer Konjunkturdaten sichern. Die vergangenen zehn Jahre ging es wirtschaftlich­ nur bergauf, die Steuereinnahmen stiegen. Das wird künftig nicht mehr so sein, auch wegen der Zunahme der vielen internationalen Konflikte. Möglicherweise werden wir sogar sparen müssen. Damit ist unser Wohlstand in Gefahr, und wir müssen die Frage beantworten, wie wir den in den nächsten zehn, 15 Jahren sichern wollen.

Was ist Ihre Antwort?

Wir sind teilweise verliebt in uns selbst, in eitler Selbstbetrachtung versunken. Wir müssen schnellstens umsteuern und die Themen der Zukunft identifizieren. Das ist beispielhaft dann nicht mehr nur Digitalisierung, sondern schon künstliche Intelligenz. Nur ein wirklich tolles Science Center in Bahrenfeld zu bekommen reicht nicht, wir brauchen eine Idee, welchen Nutzen für die Stadt wir davon ziehen wollen. Bei der Wahl müssen wir den Bürgern erklären, wie und wovon wir auch 2030 gut leben wollen.

Bürgermeister Peter Tschentscher setzt auf Mobilität, Wohnen, Klimaschutz und Wissenschaft. Was setzen Sie dem entgegen?

Mobilität wird sicher ein Topthema, weil die Verkehrssituation dramatisch schlecht ist. Zweitens Stadtentwicklung: Grün weg, Beton drauf, eine Straße dazugewürfelt – das reicht den Menschen nicht. Wir müssen zwar mehr Wohnungen bauen, aber wir wollen auch Hamburg als lebenswerte Stadt auch für die hier bereits Wohnenden erhalten. Daher dürfen wir die Infrastruktur nicht überlasten und müssen soziale Spannungen zwischen den hier Lebenden und den Zuziehenden vermeiden.

Also weniger Wohnungsbau?

Nein. An einigen Stellen muss man zwar auch die Dimension hinterfragen, aber in erster Linie geht es darum, durchdachter, grüner und nachhaltiger zu bauen. Ein Vorschlag der CDU ist ja seit Langem, die ganze Metropolregion zu betrachten. Auch ich rate dringend dazu, mal mit den Gemeinden rund um Hamburg zu sprechen, wo dort Wohnraum entstehen könnte. Ich finde auch den Wiener Ansatz spannend: Um dort eine Sozialwohnung zu bekommen, muss man einige Jahre in der Stadt gelebt haben. Drittens das Thema Erbpacht: Die Genossenschaften, die in Hamburg Zehntausende bezahlbare Wohnungen anbieten, wollen keine Erbpacht-Grundstücke, wie der rot-grüne Senat es plant.

Wo sehen Sie Schwächen des Senats?

Der Senat ist nicht in der Lage, eine neue gemeinsame Geschichte für die Stadt zu erzählen. Ich hingegen suche diese und will die Hamburger für eine Debatte zusammenholen. Im Jahr 2011 hat die SPD die Wahl mit dem Versprechen, ordentlich zu regieren, gewonnen. Heute müssen wir gemeinschaftlich darüber nachdenken, wie die nächste Stadtentwicklungsstufe aussehen kann. Was verstehen wir in Hamburg unter dem Begriff Stadt, unter Lebenswelten? Lassen Sie uns über unseren Tellerrand hinausschauen und sagen: Wir wollen ein Magnet der Moderne werden, wir messen uns auch mit Madrid und Barcelona. Dafür hat der Senat kein Konzept, er regiert herum, aber ein großer Gedanke fehlt.

Sie selbst suchen allerdings auch noch nach einem solchen Leitbild, oder?

Ja. Aber das ist doch gerade die spannende Aufgabe, dieses Leitbild für der Stadt zu suchen. Ich habe dazu schon viele Gespräche geführt mit Vertretern aus Wirtschaft und Wissenschaft und mit Familien. Ein solches Leitbild muss von den Menschen getragen werden. Die junge Generation müssen wir fragen: Was erwartet ihr von Hamburg, was ist eigentlich identitätsstiftend für euch? Die jungen Leute sind selbstbewusst, klug, sie fordern Beteiligung. Eines wollen sie nicht: Politiker, die alles besser wissen.

„Opposition muss ich mir nicht antun“, sagen Sie. Ist Grün-Schwarz die erste Option?

Ich habe 14 Jahre in Berlin in der Regierungsfraktion gearbeitet. Es macht Spaß zu gestalten. Gestalten möchte ich auch in Hamburg. Aber: Ob die CDU nun konservativ oder liberal ist, ein schwarz-grünes Bündnis besser wäre oder eine Große Koalition, das ist heute eine überflüssige Diskussion. Ich habe im CDU-Landesvorstand deutlich darum gebeten, diese Debatte zu beenden. Ich empfehle, dass wir als CDU sehr klar auf uns schauen und unser eigenes Profil stärken. Wir sind stark! Alles weitere findet sich.

Wenn es nicht für eine Regierungsbeteiligung reicht: Werden Sie in jedem Fall Ihr Bürgerschaftsmandat annehmen und würden Sie auch Oppositionsführer werden?

Ich komme nach Hamburg zurück, das steht fest. Ich möchte in die Bürgerschaft gehen und dort auch in einer führenden Position arbeiten. Ich regiere zwar lieber – ich würde aber auch Verantwortung als Oppositionsführer übernehmen.