Hamburg. Hamburg startet in Alsterdorf und Hoheluft-Ost ein Pilotprojekt für die schwächsten Verkehrsteilnehmer, den Fußverkehrs-Check.

Sind Fußgänger die vergessenen Verkehrsteilnehmer? Haben Passanten im Gegensatz zu Auto- und Radfahrern keine Lobby? „,Die Förderung des Fußverkehrs‘ mag zwar nach Realsatire klingen“, sagt Michael Werner-Boelz, Vorsitzender der Grünen Bezirksfraktion Hamburg-Nord, „aber Tatsache ist, dass der Fußverkehr trotz seiner Bedeutung seit Jahren ein Schattendasein führt, während die Förderung des Radverkehrs längst in den Fokus der Debatten gerückt ist.“

Seine Partei will dies nun gemeinsam mit der SPD ändern. Eine Expertenkommission soll moderne Fußverkehrsstrategien entwickeln. Sie hofft dabei auf rege Beteiligung der Anwohner, Gewerbetreibenden, Kitas, Schulen sowie der Mobilitäts- und Umweltverbände an diesem Pilotprojekt, das zunächst für Alsterdorf und Hoheluft-Ost vorgesehen ist. Gleichzeitig sollen 150.000 Euro aus dem Sonderetat der Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation für dringlich erforderliche Baumaßnahmen zur Förderung des „barrierefreien Bezirks Hamburg-Nord“ rasch abgerufen werden.

Hoheluft-Ost ist extrem dicht besiedelt

„Es handelt sich dabei um zwei exemplarische­ Stadtteile mit unterschied­lichen Siedlungsstrukturen“, sagte Michael Werner-Boelz bei einer Podiumsdiskussion im Bezirksamt: „Während Alsterdorf durch vergleichsweise längere Wege zwischen dem Zuhause und wichtigen Einrichtungen, Geschäften sowie Haltestellen für den öffentlichen Nahverkehr geprägt ist, gilt Hoheluft-Ost deutschlandweit als eines der dichtest besiedelten Quartiere.“

An dieser Veranstaltung nahmen auch die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne), die Sprecherin des Fachverbands Fußverkehr FUSS, Viktoria Wesslowski, sowie Helmut Krumm vom Seniorenbeirat Hamburg-Nord teil. Dass aus der vorgesehenen Diskussion jedoch sofort ein In­formationsabend inklusive einer Bürgerfragestunde wurde, lag daran, dass sich alle Anwesenden – auf dem Podium wie auch im Zuhörerraum – darüber einig waren, dass der Fußverkehr gefördert werden muss.

 Fußverkehr-Checks sollen helfen

Katharina Fegebank verwies auf das von den Grünen regierte Baden-Württemberg. Dort gibt es bereits seit knapp zwei Jahren in einigen ausgewählten Kommunen sogenannte Fußverkehr-Checks. Bürgerinnen und Bürger, Verwaltung und Politik erfassen dabei die Stärken und Schwächen im Fußverkehr und erarbeiten einen Plan, um die Fußwege attraktiver und sicherer zu machen. Dabei geht es auch um eine Renaissance des Zebrastreifens. In Baden-Württemberg wird derzeit jeder vierte Weg zu Fuß zurückgelegt, 2030 soll es jeder dritte sein.

Genau das soll jetzt auch in den beiden Hamburger Stadtteilen angepackt werden. Insgesamt, so die Zweite Bürgermeisterin, gehe es um eine gerechtere Umverteilung des knapper werdenden Verkehrsraums.

Viele Stolperfallen

Viktoria Wesslowski verwies darauf, dass der Fußverkehr beileibe nicht auf Fußgänger beschränkt sei: „Kinder mit Rollern und Fahrrädern, Rollstuhlfahrer, Sehbehinderte und natürlich auch Radfahrer nutzen ja ebenfalls die häufig viel zu schmalen und zugeparkten Fußwege. Da werden dann Kinderwagen, Hunde oder bloß größere Einkaufstaschen zum Hindernis. Hinzu kommen die vielen Stolperfallen wie unebene Gehwegplatten sowie die höchst lückenhafte Barrierefreiheit.“

Allgemeine Einigkeit herrscht darüber, was die Bedeutung des Fußver- kehrs­ betrifft: Das Zufußgehen sei die natürlichste und selbstverständlichste Art der Fortbewegung, es sei umweltverträglich, gesundheitsfördernd und kostengünstig.

Fußgänger leben gefährlich

Allerdings leben Fußgänger auch gefährlich, 537 Passanten starben 2015 bei Verkehrsunfällen in Deutschland. Helmut Krumm vom Seniorenbeirat Hamburg-Nord sagte: „Bei 52 Prozent der tödlich verunglückten Fußgänger handelt es sich um Menschen ab 65 Jahren, während Kinder und Jugend­liche zwischen sechs und 14 Jahren die unbestritten größte Gruppe unter den Schwerverletzten bilden.“

Auch wenn die Expertenkommission erst in den kommenden Wochen ihre Arbeit aufnehmen wird, kristallisierten sich auf dieser Veranstaltung die ersten Hauptforderungen der Fußgängerlobby heraus: Sie reichen von der strikten Trennung von Fuß- und Radwegen, der Verbreiterung von Fußwegen in Wohngebieten sowie Tempo 30 auf allen Straßen über flächendeckendes Anwohnerparken, die Schaffung von Querverbindungen mit Mauerdurchbrüchen in Hinterhöfen, mehr Sitzbänken sowie dem Absenken von Bord­steinen bis hin zum Vorschlag, „Bettelampeln für Autofahrer einzuführen, die für Fußgänger und Radfahrer auf Dauergrün geschaltet sind“.

Alle Verkehrsteilnehmer mitnehmen

Die Vermutung liegt nahe, dass der Weg für die Fußverkehrsstrategen bis zum angestrebten Konsens steinig werden dürfte: Denn was für Rollstuhlfahrer, aber auch Kinderwagen sinnvoll ist – etwa abgesenkte Bordsteinkanten –, erschwert wiederum die Fortbewegung für Sehbehinderte mit Langstock, die einen erhöhten Bordstein als Orientierungshilfe benötigen. „Und Tempo 30 senkt zwar einerseits den Lärm, aber Tempo 40 produziert weitaus weniger giftigen Feinstaub“, sagte Fegebank. Ganz wichtig sei es, alle Verkehrsteilnehmer mitzunehmen. Dem Wunsch nach einer „Bettelampel“ für Autofahrer erteilte sie dezent eine Absage.