Hamburg. Die Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße schafft Platz für drei Siedlungen auf zusammen knapp 100 Hektar. Baubeginn ist ab 2022.

Der Blick aus dem obersten Stock des Bürogebäudes an der Jaffestraße fällt auf viel Grün. Die alte Trasse der Wilhelmsburger Reichsstraße ist nur schemenhaft zu erkennen. Hier brausten noch Anfang Oktober Tag für Tag Tausende Autos und Lkw. Der Verkehr tost nun 400 Meter östlich auf der neuen Trasse, erbaut für knapp 300 Millionen Euro unmittelbar an der Bahnlinie.

„Dies ist ein Meilenstein für Wilhelmsburg“, sagte Dorothee Stapelfeldt (SPD) bei der Präsentation der Pläne für den Wohnungsbau am Freitag. Dank der Verlagerung sei eine Straße endlich Geschichte, die den Stadtteil Jahrzehnte durchschnitten habe: „Hier werden nun urbane gemischte Quartiere entstehen. Nachbarschaften werden miteinander verbunden und innenstadtnah entsteht bezahlbarer Wohnraum.“

Allerdings denken Stadtentwickler langfristig, das ist in Wilhelmsburg nicht anders. Gebaut wird voraussichtlich ab 2022, die Entwicklungszeit wird mit mindesten zehn Jahren kalkuliert.

Gebaut wird auf einer Fläche von 99 Hektar

Drei große Quartiere sollen entstehen: Im Spreehafenviertel im Norden werden auf 20 Hektar Fläche 1100 Wohnungen, reichlich Gewerbe sowie Grünflächen realisiert. Profitieren soll das Quartier von den Grünräumen entlang des Ernst-August-Kanals. Drei Kitas, eine Sportanlage mit drei Fußballfeldern und fünf Tennisplätzen werden Teil des Quartiers.

Im Elbinselquartier (47 Hektar, 2100 Wohnungen) wird als gemischtes Quartier für Wohnen und Arbeiten sowie einem großen Schul- und Bildungscampus mit einer Grundschule und einer Stadtteilschule geplant. Mittelpunkt wird der Quartierspark am Aßmannkanal. Hier gibt es bereits Sport- und Kleingartenanlagen, einen Biergarten mit Bootsverleih und einen Ruderclub.

Das Wilhelmsburger Rathausviertel bildet den südlichen Abschluss des neuen Stadtkerns. Hier sind 1600 Wohnungen auf 32 Hektar geplant. Der größte Profiteur der Verlagerung wird indes ein Park werden, den es schon gibt. Denn noch durchschneidet die alte Trasse den Inselpark, nur ein paar Gehminuten von der S-Bahn-Station Wilhelmsburg entfernt. Der Park, dank der Sporthalle auch Heimstätte des Bundesliga-Basketballclubs Towers, wird noch einmal um fünf Hektar wachsen. Und niemand wird mehr sein Kanu über die Straße tragen müssen. Im äußersten Südwesten des Parks soll noch das Inselparkquartier mit Potenzial für 650 Wohnungen auf 13 Hektar entstehen. Hochbaureife wird hier erst 2026 erwartet.

Ein Drittel der Wohnung sind öffentlich gefördert

Wilhelmsburg
Wilhelmsburg © Frank Hasse | Unbekannt

„Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört“, sagt Karen Pein, Geschäftsführerin der IBA Hamburg, die die Quartiere im Auftrag des Senats entwickelt. Gebaut wird im Hamburger Drittelmix: ein Drittel geförderter Wohnungsbau, ein Drittel Mietwohnungen, ein Drittel Eigentumswohnungen. Auch Baugemeinschaften sollen zum Zuge kommen.

Allerdings ist die Begeisterung über die neuen Quartiere keineswegs ungeteilt. „Die Vorgabe, 5400 Wohneinheiten in der Wilhelmsburger Mitte zu konzen­trieren, statt auch in peripheren Lagen der Elbinsel Stadtentwicklung und Wohnungsbau zu ermöglichen, lässt wenig Spielraum für intelligente Infrastruktur und innovative Verkehrsprojekte“, kritisiert Manuel Humburg, Mitglied des Vereins Zukunft Elbinsel Wilhelmsburg.

Mit den Plänen seien Träume von „einer barrierefreien Veloroute, einer oberirdischen Stadtbahn/U-Bahn in den Hamburger Süden oder auch einer Kombination von beidem vom Tisch.“ Die Initiative hält das gesamte Projekt für einen Fehler, die neue Trasse mit Autobahn-Charakter passe nicht mehr in die Zeit und werde zu noch mehr Verkehr im Viertel führen.

Dichterer S-Bahn-Takt und längere Züge sind geplant

Das Thema Mobilität beschäftigt auch die Befürworter der neuen Quartiere. Schon jetzt fahren die S-Bahnen aus dem Süden in Richtung Innenstadt zu den Stoßzeiten häufig überfüllt. Und das Problem wird sich noch verschärfen, da Hamburg am südlichen Stadtrand mit den Quartieren Vogelkamp Neugraben, Fischbeker Heidbrook und Fischbeker Rethen weiterwachsen wird. Hier wird in den nächsten Jahren Wohnraum für 15.000 neue Bürger entstehen.

„Dies ist eine Herausforderung“, sagt IBA-Geschäftsführerin Karen Pein. Für Abhilfe sollen ein dichterer S-Bahn-Takt sowie längere Züge sorgen. Der Senat treibt zwar auch die Planung der Verlängerung der U-Bahn-Linie 4 von der neuen Station Elbbrücken bis auf den Kleinen Grasbrook voran – auch hier entsteht ein neues Quartier –, die immer wieder diskutierte Verlängerung bis nach Harburg wird jedoch auch auf lange Sicht nur eine Vision bleiben. „Dann bin ich wahrscheinlich längst in Pension“, sagt Karen Prein. Immerhin wird bei der Planung großer Wert auf den Ausbau des Radweg- und Fußwegnetzes gelegt, gerade an den Kanälen.