Hamburg. UKE-Klinikdirektor über Organspenden und die belastenden Gespräche mit Eltern, die ihr Kind verloren haben.
Zur Begrüßung hält Prof. Rainer Kozlik-Feldmann einen alten Silberlöffel in die Kamera (das Interview findet Corona-bedingt über eine Video-Plattform statt). „Den hat uns eine Familie aus Bayern als Glücksbringer für Lilly geschickt. Den muss ich ihr unbedingt bei ihrem nächsten Termin geben“, sagt Prof. Rainer Kozlik-Feldmann, UKE-Direktor der Kinderkardiologie.
Hamburger Abendblatt: Herr Prof. Kozlik-Feldmann, wie ist die Situation im fast abgelaufenen Jahr für Kinder, die seit Monaten auf ein Spenderherz warten.
Kozlik-Feldmann: Nicht gut, leider. Laut Stiftung Deutsche Organspende wurden 2019 44 Herzen bei Kindern im Alter von null bis 15 Jahren transplantiert. In diesem fast abgelaufenen Jahr gab es bis November nur 20 Herz-Übertragungen. 33 Kinder sind auf der Warteliste registriert, zehn mehr als Ende 2019.
Hamburger Abendblatt: Vor knapp einem Jahr entschied sich der Bundestag gegen die Widerspruchslösung, bei der jeder Bürger aktiv hätte widersprechen müssen, wenn er nicht spenden möchte.
Kozlik-Feldmann: Man muss die Entscheidung leider so akzeptieren, wie sie gefallen ist. Im Gegenzug sollte ja eine breite Informationskampagne über Organspenden starten.
Hamburger Abendblatt: Von der allerdings bislang wenig bis nichts zu sehen ist.
Kozlik-Feldmann: Corona überlagert derzeit alles. Aber wir müssen weiter an dieser Aufklärung arbeiten. Dazu gehört auch, die Eltern zu bitten, sich aktiv Gedanken zu machen, ob ihre Kinder Organspender sein könnten.
Hamburger Abendblatt: Warum ist die Wartezeit für Kinder besonders lang?
Kozlik-Feldmann: Dies ist zum einen dem glücklichen Umstand geschuldet, dass wenige Kinder sterben. Zum anderen legen wir bei Kindern einen besonders hohen Anspruch an die Qualität des Organs. Da muss alles passen, Kinder haben ihr ganzes Leben noch vor sich.
Hamburger Abendblatt: Hängt der große Mangel an Spenderorgane auch damit zusammen, dass viele Ärzte das Gespräch über eine Organspende mit Eltern scheuen, deren Kind gerade stirbt?
Kozlik-Feldmann: Ja, diese Gespräche sind auch extrem belastend. Inzwischen bieten wir im UKE „Breaking-bad-news“-Seminare an. Da trainieren wir in Rollenspielen, wie man Angehörigen die schlechte Nachricht vom Versterben eines nahen Verwandten überbringt. Zu diesen Gesprächssituationen kann auch gehören, wie man fragt, ob Organe gespendet werden dürfen.
Hamburger Abendblatt: Sind solche Gespräche nach einem tödlichen Unfall oder nach einer tödlichen Krankheit des Kindes schwieriger?
Kozlik-Feldmann: Hart sind sie immer. Aber wenn etwa bei einer Hirnhautentzündung absehbar ist, dass das nicht gut enden wird, kann man mit den Eltern über mehrere Tage das Gespräch suchen und am Ende einflechten, ob sie sich eine Organspende vorstellen können. Nach einem schweren Unfall ist dies noch schwerer. Denn dann muss man die Todesnachricht überbringen und zugleich fragen, ob wir Organe entnehmen dürfen.
Hamburger Abendblatt: Es grassieren immer noch Gerüchte, dass lebenserhaltende Maschinen schneller abgestellt werden könnten, wenn jemand dringend auf ein Organ wartet. Oder dass es einen illegalen Markt für Organe in Deutschland gibt.
Kozlik-Feldmann: Die Diagnose des unumkehrbaren Hirnfunktionsausfalls müssen zwei erfahrene und besonders qualifizierte Ärzte unabhängig voneinander stellen. Beide Ärzte dürfen weder an einer eventuellen Transplantation beteiligt sein noch Weisungen von Kollegen entgegennehmen, die transplantieren wollen. Bei der Vergabe der Organe haben wir aus der Vergangenheit gelernt. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit können heutzutage keine Organe mehr illegal verschoben werden. Aber auch für den Kampf gegen solche Mythen brauchen wir gute Aufklärungskampagnen.