Hamburg. Oberlandesgericht verurteilt 41-Jährige zu beinahe sechs Jahren Haft. Strafmaß liegt über der Forderung der Bundesanwaltschaft.
Songül G. hat dem Gericht erzählt, dass sie nicht mehr dem Islamischen Staat (IS) anhänge. Dass sie über alles nachgedacht habe. Dass sie die Lügen der Terroristen nicht mehr glaube. In dem Verfahren vor dem Oberlandesgericht gab sich Songül G., gebürtige Bremerin, durch und durch geläutert. Allein: Das Gericht glaubte ihr kein Wort. „Hat sie Abstand von ihrer radikal-islamistischen Haltung genommen? Diese Frage ist klar mit Nein zu beantworten“, sagt Richterin Petra Wende-Spors.
Um das zu belegen, berichtet die Vorsitzende des Staatsschutzsenates am Montag während der Urteilsverkündung unter anderem von einer Episode, die ein Zeuge im Prozess so geschildert hatte: Der Hamburger Fahrlehrer erklärte, dass Songül G. im Dezember 2017 am Steuer eines Lkw saß. Sie war seine Schülerin, das Amt hatte ihr eine Umschulung zur Fahrschullehrerin bewilligt. Es war ein Jahr nach dem Anschlag mit einem Lkw auf einen Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz. Als sie beim Training einen unvorhergesehenen Schlenker mit dem Laster machte, fragten sie umstehende Mitschüler, wohin sie denn bloß fahren wolle. Da habe Songül G. geantwortet: „Ich fahre jetzt über den Weihnachtsmarkt.“
Songül G. sitzt im Hijab vor der Richterin
Am Montag sitzt sie im Hijab vor der Richterin: eine zarte Frau, die viel Hass im Herzen trug – und offenbar noch immer trägt. Weil sie zur Tarnung einen nach Deutschland geschleusten IS-Terroristen heiraten wollte und damit ein auf deutschem Boden geplantes Attentat der Terror-Miliz unterstützte, hat das Gericht die 41-Jährige am Montag zu fünf Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Die Strafe liegt sogar drei Monate über dem, was die ansonsten nicht zimperliche Bundesanwaltschaft gefordert hatte. Die Verteidigung hatte Freispruch beantragt.
Songül G., Mutter von drei Kindern im Alter zwischen zwei und 16 Jahren, konvertierte 1999 zum Islam. Ihren Glauben legt sie auf strengste Art aus: Was sie aß, wie sie sich kleidete, wann sie betete. Sie radikalisierte sich, als der IS 2014 das„Kalifat“ ausrief und verschaffte sich „zum Teil brutalste Hinrichtungsvideos“, in denen Kinder im Beisein von IS-Schergen Gefangenen die Köpfe abschnitten oder ihnen ins Gesicht schossen. Kontakt zu Gleichgesinnten fand sie in dschihadistischen Facebook-Gruppen, deren Mitglieder Aufrufe zur „Schlachtung von Ungläubigen“ austauschten. In einem dieser Foren lernte sie Marcia M. kennen, Elektronikerin aus Salzgitter und glühende IS-Anhängerin wie sie selbst. Zwischen den Frauen entwickelte sich rasch ein enges Vertrauensverhältnis. Der Kontakt riss auch nicht ab, als Marcia M. mit ihrem Ehemann Oguz G. ins IS-Kriegsgebiet nach Syrien reiste. Und zum IS zog es auch Songül G. Ob der deutsche Staat, so fragte sie Marcia M. einmal, das Kindergeld weiterzahle, wenn sie sich im IS-Gebiet aufhalte?
Doch der IS hatte andere Pläne mit Songül G.
Etwa im August 2016 sei Marcia M. vom IS damit beauftragt worden, in Deutschland ein Netzwerk von Glaubensschwestern aufzubauen. Der Auftrag: Die „Schwestern“ sollten IS-Terroristen, die über die üblichen Flüchtlingsrouten nach Deutschland geschleust werden sollten, Unterschlupf gewähren und sie zum Schein heiraten. Sodann sollten die im Umgang mit Sprengstoff geschulten Männern, von den Behörden unbedrängt, auf weitere Instruktionen warten – um schließlich einen verheerenden Anschlag auf ein Musikfestival in der Nähe von Hildesheim zu begehen.
Eine dieser willfährigen „IS-Bräute“ sollte Songül G. werden. Dass sich die Angeklagte sofort dazu bereit erklärt habe, daran bestehe für das Gericht nach Würdigung der Chat-Protokolle und weiterer belastender Indizien kein Zweifel, so Wende-Spors. Nach Überzeugung des Gerichts steht auch fest, dass Songül G. für Marcia M. mehrere Accounts eingerichtet und ihr unter anderem Zugang zum verschlüsselten Nachrichtendienst Telegram verschafft hat. Marcia M. sei dies von Syrien aus nicht möglich gewesen. Die weitere Tatplanung sollte über diese Accounts laufen. Am 22. November 2016 erhielt Songül G. die Nachricht: „Countdown läuft.“ Es war der Startschuss für die Terror-Operation.
Uraltes Motorola-Handy ohne Ortungsfunktion
Genau an diesem Tag aktivierte sie ein uraltes Motorola-Handy ohne Ortungsfunktion. Mit dem Gerät sollte sie Kontakt zu dem ihr zugewiesenen Attentäter halten, vermutlich der deutsche IS-Mann Dominik W. Doch zur Einreise der Terroristen kam es nicht, weil ein Grenzübergang geschlossen worden war. Dass die Aktion abgeblasen sei, teilte ihr Marcia M. kurz darauf mit. „Das Paket ist zurückgekommen“, hieß es. Und in einer weiteren Nachricht: „Das Paket ist gerade am Ballern.“ Gemeint war offenbar ein Kampfeinsatz für den IS.
Die Nachrichtendienste waren dem Netzwerk bereits auf der Spur, denn Marcia M. hatte einen folgenschweren Fehler begangen, indem sie eine vermeintliche IS-Sympathisantin rekrutieren wollte. Tatsächlich arbeitete die „Schwester“ als verdeckte Ermittlerin für den Verfassungsschutz. Am 10. Dezember 2018, kurz nach der Festnahme von Oguz G. in Syrien, zogen die Behörden den Stecker: Bundeskriminalbeamte verhafteten Songül G., von Bremen nach Hamburg gezogen, in ihrer karg eingerichteten Wohnung an der Kieler Straße.
Mehrfach beteuerte die Angeklagte, ein gutgläubiger Mensch zu sein
Im Prozess hatte Songül G. die Tat bestritten und behauptet, sie habe ins IS-Gebiet reisen wollen, um der „Islam-Hetze“ hierzulande zu entgehen – dabei handele es sich um „unwahre Schutzbehauptungen“, so Wende-Spors. Songül G. hatte zwar eingeräumt, dass Marcia M. sie gebeten habe, einen Attentäter aufzunehmen – sie habe das aber nicht ernst genommen. Auch das kaufte ihr das Gericht nicht ab. Zudem habe Songül G. versucht, ihre Kinder zu einer Falschaussage zu verleiten. Sie sollten erzählen, dass Songül G. ihnen das Motorola-Handy zum „Spielen“ besorgt habe.
Mehrfach beteuerte die Angeklagte zudem, sie sei ein gutgläubiger Mensch. Und sei der perfiden Meinungsmache des IS aufgesessen – auch das glaubte ihr das Gericht nicht. Bei der Angeklagten handele es sich um eine „berechnende, hoch konspirative und manipulative Person“, so Wende-Spors. Jemand, der den „Terror nach Deutschland“ holen wollte. Eine Abkehr von der „radikal-islamistischen Einstellung“ habe es nicht gegeben, gegenteilige Äußerungen seien nur „inhaltsleere Floskeln. Dass sie nun von ihren Kindern getrennt sei, habe allein sie selbst zu verantworten. Ohnehin habe sie ihren „fanatischen Glauben“ über deren Wohl gestellt. Wende-Spors: „Es ist wirklich unfassbar und unbegreiflich, wie man als Mutter unter solch widerwärtigen Umständen in ein von Terroristen beherrschtes Gebiet ausreisen will.“