Hamburg. Bei FDP, AfD und Linken gibt es jeweils zwei Favoriten für den ersten Listenplatz bei der Bürgerschaftswahl. CDU nimmt Auszeit.

Wenn es in der Politik einen Preis fürs Schnellsprechen gäbe, Anna von Treuenfels-Frowein und Michael Kruse hätten gute Chancen, ganz vorn dabei zu sein: Beim Herbstempfang der FDP am Mittwochabend im Großen Festsaal des Rathauses ratterten die beiden Fraktionschefs der Liberalen abwechselnd in zungenbrecherischem Tempo ihre Schwerpunkte für die Bürgerschaftswahl Anfang 2020 herunter. Ob Hafen, Wirtschaft, Verkehr, Schule, öffentliche Verwaltung oder Wohnungsbau – die beiden anwesenden Sozialdemokraten Verkehrsstaatsrat Andreas Rieckhof und Fraktionschef Dirk Kienscherf hätten kaum genug Zeit gehabt, die liberalen Forderungen und Vorschläge zu notieren, wenn sie denn gewollt hätten.

Denn eines wurde schnell klar: Die FDP will nach 14 Jahren Opposition innerhalb und außerhalb des Parlaments unbedingt wieder in die Regierungsverantwortung. Und da sind die regierenden Sozialdemokraten nach Lage der Dinge und der Umfragen nun einmal die ersten Ansprechpartner. So weit ist es bekanntlich noch lange nicht, aber die spannende Frage lautet, wer im Fall der Fälle eigentlich erster Ansprechpartner bei der FDP sein wird – oder anders ausgedrückt: Wer wird die Partei als Spitzenkandidat in den Wahlkampf führen?

Den meisten der rund 700 Zuhörer im Großen Festsaal dürfte nicht entgangen sein, dass sie gewissermaßen dem indirekten Wettstreit der beiden Fraktionschefs um Platz eins auf der Landesliste der FDP zuhörten. „Das war doch wie ein Schaulaufen“, sagte einer der Teilnehmer im Nachhinein. Treuenfels-Frowein und Kruse sind die Favoriten für den Top-Job, den Parteichefin Katja Suding mit ihrem Wechsel in den Bundestag freigemacht hat.

Suding hat nach wie vor ein hohes Standing

Den beiden Fraktionschefs wird nachgesagt, dass sie „wollen“ – Kruse, der sich weitgehend der Politik verschrieben hat, vielleicht noch etwas mehr als Treuenfels-Frowein. Partei-Insider gehen davon aus, dass sich beide derzeit auf etwa gleich große Lager stützen können. Auf einer Klausurtagung hatte der Landesvorstand beschlossen, dass die beiden und Suding der Partei einen gemeinsamen Vorschlag für die Spitzenkandidatur machen. Vereinbart ist, dass es ein Name sein wird, also entweder Treuenfels-Frowein oder Kruse.

Das ist insofern von Bedeutung, als in der FDP auch das Modell einer Doppelspitze für die Bürgerschaftswahl diskutiert wird. Diese Variante funktioniert inzwischen in der Bürgerschaftsfraktion nach einigen Zusammenstößen zu Beginn weitgehend ruckelfrei, auch wenn sich manch Liberaler fragt, warum eine neunköpfige Abgeordnetenschar gleich zwei Chefs braucht. Nach dem Weggang Sudings war die Machtfrage schlicht nicht anders zu lösen.

Unklar ist bei den Liberalen auch, wann die Entscheidung über die Spitzenkandidatur fallen soll. Die Vorsitzenden der sieben Parteibezirke drängen darauf, dass dies erst nach den Bezirkswahlen im Mai der Fall ist. Die Hamburger FDP wäre nicht die Hamburger FDP, wenn nicht noch ein dritter Kandidat seinen Hut in den Ring werfen würde. Manch einer sagt dem Wandsbeker Bundestagsabgeordneten Wieland Schinnenburg Ambitionen nach. Allerdings werden ihm eher nur Außenseiterchancen eingeräumt. Parteichefin Suding, die die FDP 2011 und 2015 erfolgreich in die Bürgerschaft führte, hat im Landesverband nach wie vor ein hohes Standing, schaut dem Wettbewerb aber einstweilen zu.

In der AfD schwelt eine ungelöste Machtfrage

Wie Treuenfels-Frowein und Kruse sind auch die beiden Spitzenleute der AfD – Parteichef und Fraktionsvize Dirk Nockemann und Fraktionschef und Parteivize Alexander Wolf – nicht die allerbesten Freunde. Nach dem Parteiaustritt von Ex-Fraktionschef Jörn Kruse (Parteispott: „Krexit“), der 2015 AfD-Spitzenkandidat war, und dem Wechsel des früheren Fraktionsvorsitzenden Bernd Baumann in den Bundestag sind Nockemann und Wolf die Favoriten für die Spitzenkandidatur.

Beide würden wohl antreten, halten sich aber derzeit mit Ankündigungen zurück. Zusätzlich kompliziert wird die Lage dadurch, dass Nockemann und Wolf für unterschiedliche Strömungen in der AfD stehen, die sich zudem gegenseitig misstrauisch belauern. Wolf ist eher nationalkonservativ orientiert, während sich Nockemann mit starkem landespolitischem Blick ganz auf die Themen der inneren Sicherheit und der Zuwanderung konzentriert.

So schwelt zwischen beiden eine ungelöste Machtfrage, was die Ausrichtung der Partei angeht und auch daran abzulesen ist, dass die Fraktion bislang keinen Nachfolger für Kruse auf den Posten des Fraktionsvorsitzenden gewählt hat. Denn eigentlich wird auch die AfD-Fraktion von einer Doppelspitze geleitet. Derzeit ist Wolf alleiniger ­Fraktionschef. Eine Kandidatur Nockemanns für den Posten könnte das sorgsam austarierte innerparteiliche Gleichgewicht stören. Mindestens von Nockemann ist bekannt, dass er mit dem Modell einer Doppelspitze bei der Bürgerschaftswahl leben könnte.

Trepoll muss vielleicht doch antreten

Ähnlich und doch ganz anders ist die Situation auf der anderen Seite des Hohen Hauses und des politischen Spektrums: bei der Linken. Seit dem abrupten Fraktionsaustritt der enttäuschten Spitzenkandidatin Dora Heyenn unmittelbar nach der Bürgerschaftswahl 2015 führen Sabine Boeddinghaus und Cansu Özdemir die Fraktion gemeinsam. Und diese Doppelspitze funktioniert seitdem geräuschlos. Deswegen gilt es auch als nicht unwahrscheinlich, dass die beiden als Doppelspitze in die Bürgerschaftswahl ziehen. Allerdings hat der Linke-Landesverband den Ruf, ausgesprochen unberechenbar zu sein, sodass mit anderen Bewerbungen zu rechnen ist. In einem sind sich die Protagonisten von FDP, AfD und Linken weitgehend einig: Sie wollen die Entscheidung über die Frage, wer Spitzenkandidat wird, möglichst hinausschieben, am besten bis Mitte 2019.

Bei den beiden Senatsparteien sind die Würfel bereits gefallen: Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) tritt selbstverständlich als Spitzenkandidat 2020 an. Und die Grünen haben die hochschwangere Wissenschaftssenatorin und Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank bereits Ende Oktober zur Spitzenkandidatin gekürt, bevor sie in den Mutterschutz ging.

Bleibt die CDU. Die Christdemokraten haben sich erst einmal eine Auszeit bei der Kandidatensuche verordnet. Das ist nach dem doppelten Schlag der krankheitsbedingten Absagen der früheren niedersächsischen Sozialministerin Aygül Özkan und von Ex-Staatsrat Nikolas Hill sehr verständlich. Parteichef Roland Heintze und Fraktionschef An­dré Trepoll wollen „im Frühjahr“ einen neuen Vorschlag vorlegen. Bei der CDU herrscht durchaus Ratlosigkeit angesichts der schwierigen Lage.

Viele Parteimitglieder wünschen sich nach wie vor, dass Trepoll die Spitzenkandidatur übernimmt. Er hat das zwar bislang kategorisch ausgeschlossen, aber vielleicht bleibt ihm nichts anderes als dieser Dienst an der Partei.