Hamburg. CDU warnt vor einer “Einheitsschule durch die Hintertür“. Senator Ties Rabe (SPD) verweist auf zwei beliebte Modelleinrichtungen.

Drei Wochen nach der überparteilichen Einigung auf eine Verlängerung des Schulfriedens muss sich Schulsenator Ties Rabe (SPD) mit einer neuen Debatte über die Schulstruktur beschäftigen. Anlass: Der von ihm präsentierte Entwurf für den neuen Schulentwicklungsplan beinhaltet, dass in Hamburg etwa zehn weiterführende „Campusschulen“ entstehen könnten.

Dieser Vorschlag sorgt für Unruhe. Von der „Einführung einer neuen Schulform“, die Stadtteilschulen und Gymnasien unter einem Dach vereine, sprach der Verband Gemeinnützige Gesellschaft Gesamtschule (GGG) und fragte, ob das Modell darauf hinauslaufe, dass es zu einer „Verschärfung der Differenzierung nach Bildungsgängen“ komme?

Alarmiert zeigt sich auch die CDU-Fraktion. „Die Campusschule darf keine Einheitsschule durch die Hintertür werden“, warnten Abgeordnete der Partei um die schulpolitische Sprecherin Birgit Stöver in einem Bürgerschaftsantrag – und forderten den Senat auf, mehr Informationen zu liefern und einheitliches Konzept für die geplanten Schulen zu entwickeln. Die rot-grünen Regierungsfraktionen lehnten den Antrag am vergangenen Mittwoch allerdings ab.

In acht Jahren zum Abitur

Konkrete Angaben fordern auch etliche Kreiselternräte. „Der derzeitige Stand ist problematisch“, sagt etwa An­dreas Aleksander vom Kreiselternrat 22 in Altona. „Dies behindert die Stadtteilschulen in ihrer weiteren Entwicklung und konterkariert den Schulfrieden.“

Schulsenator Ties Rabe bemüht sich darum, die Wogen zu glätten. „Wir nehmen diese Rückmeldungen sehr ernst und werden den Schulentwicklungsplan an vielen Stellen anpassen“, sagt er auf Abendblatt-Anfrage. Klarstellen wolle er allerdings: „Die Campusschule ist keine neue Schulform, sie ist eine Stadtteilschule. Die einzige Besonderheit besteht darin, dass die Campus-Stadtteilschule nicht nur einen neunjährigen Bildungsgang zum Abitur anbietet, sondern auch einen achtjährigen Bildungsgang.“

Es gebe in Hamburg bereits zwei „Campus-Stadtteilschulen“: die Heinrich-Hertz-Schule in Winterhude und die Gyula-Trebitsch-Schule in Tonndorf. Dort lernen die Kinder gemeinsam in Klasse 5 und 6. Ab Klasse 7 werden sie getrennt, wobei die Mittelstufe für die Schüler im Gymnasialzweig vier Jahre dauert. Für die Schüler im Stadtteilschulzweig sind es fünf Jahre – durch das zusätzliche Jahr sollen sie den Leistungsvorsprung der Schüler im Gymnasialzweig aufholen können. Wer von ihnen es in die Oberstufe schafft, kommt dort wieder mit den anderen Schülern zusammen.

Campusschulen in Neugraben und HafenCity geplant

Beide Schulen seien „außerordentlich beliebt“, sagt Rabe. Das zeige die Akzeptanz des Modells. Gleichwohl gelte: „Durch die Organisation beider Bildungsgänge unter einem Dach wird das Zweisäulenmodell in Hamburg nicht angetastet.“ Dem Schulsenator zufolge bietet das Modell mehrere Vorteile. Erstens wird Schülern mehr Zeit gelassen, bis eine Aufteilung stattfindet. Zweitens: Die „Abschulung“ vom Gymnasium auf eine Stadtteilschule, wenn die Leistung für das Gymnasium nicht ausreiche, bleibe an einer Campusschule betroffenen Schülern erspart – sie müssten „nur“ die Klasse wechseln. Drittens könne die Stadt mit Campusschulen flexibel auf den Bedarf reagieren und je nach Region etwa mehr Stadtteilschul- oder mehr Gymnasialzweige anbieten.

Zwar deute sich an, dass künftig in gleichem Maße Kinder auf Stadtteilschulen und Gymnasien angemeldet werden. „Das Anmeldeverhalten ist allerdings regional sehr unterschiedlich und in einigen Stadtteilen derart dynamisch, dass nicht in allen Fällen präzise vorhergesagt werden kann, welche weiterführende Schulform in fünf bis zehn Jahren notwendig wird.“ Bei allen Neugründungen werde es Beteiligungsverfahren geben.

Schon konkret geplant sind Campusschulen in Neugraben und in der HafenCity. Weitere Standorte könnten etwa in Altona, Lokstedt, Schnelsen und Bergedorf entstehen. „Dabei kann sich eine neue Campus-Stadtteilschule an der Organisation der schon bestehenden Campus-Stadtteilschulen orientieren, sie muss das aber nicht“, sagt Rabe.

CDU: Alleinstellungsmerkmal der Gymnasien aufgebrochen

Der CDU-Abgeordneten Birgit Stöver sind diese Angaben zu vage. „Es macht einen Unterschied, wie der Stadtteilschul- und Gymnasial-Zweig sich unterscheiden und wie sie ausgestaltet sind“, sagt Stöver. „Außerdem meine ich, dass sowohl die herkömmlichen Stadtteilschulen als auch die Gymnasien in Nachbarschaft zu den neuen Campusschulen diese als Konkurrenz betrachten werden. Denn hier wird unstrittig das Alleinstellungsmerkmal der Gymnasien – in acht Jahren zum Abitur – aufgebrochen.“ Campusschulen seien „mit Sicherheit für viele Familien viel attraktiver als herkömmliche Stadtteilschulen, die dann vielleicht nur noch für Haupt- und Realschüler attraktiv“ seien. „Da muss man gegensteuern“, sagt Stöver.

Die Linken lehnen das Konzept ganz ab. „Diese Schulform kann nur als Konkurrenz zu den bestehenden Stadtteilschulen gewertet werden“, sagt Fraktionschefin Sabine Boeddinghaus. „Die Argumentation der Behörde würdigt nicht die großartige Arbeit der Stadtteilschulen, die explizit alle Schüler willkommen heißen. Und genau hier liegt ja der bedeutende Unterschied zum Campus-Stadtteilschulmodell: Hier wird es im Stadtteilschulzweig keine Klassen mit allen geben, weil die vermeintlich Besten ja im Gymnasialzweig zu finden sind.“