Hamburg. ... springt der Staat ein. Hamburg bleibt aber auf 90 Prozent der Kosten sitzen, weil der „Rückgriff“ nicht gelingt. Was läuft schief?

Dieses Thema ist im Prinzip ein einziges Ärgernis: Trennen sich Eltern, kümmert sich meist ein Elternteil allein oder zumindest vorrangig um das Kind oder die Kinder – was für alle Beteiligten oft schon Herausforderung genug ist. Noch schwieriger wird es, wenn der andere Elternteil (in der Regel der Vater) seiner Verpflichtung, Unterhalt zu zahlen, nicht nachkommt. Dann springt der Staat ein und zahlt einen Unterhaltsvorschuss – den er sich vom säumigen Zahler zurückholen kann. Spätestens an dieser Stelle wird die Sache zu einem Ärgernis für die Allgemeinheit: Denn dieser „Rückgriff“ gelingt in Hamburg nur selten, die Ausgaben tragen dann die Steuerzahler.

Unterhalt in Hamburg: Wenn nicht gezahlt wird, springt der Staat ein

Und das ist nicht wenig. In der Hansestadt wurden 2020 rund 70,4 Millionen Euro an Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG) ausgezahlt. 60 Prozent oder gut 40 Millionen davon trug die Stadt, den Rest der Bund. Ganze 6,7 Millionen Euro konnten bei den Unterhaltspflichtigen eingetrieben werden, die Rückgriffsquote betrug 9,5 Prozent. Nur in Bremen (9,0 Prozent) war dieser Wert noch schlechter – die beiden Stadtstaaten haben seit vielen Jahren die rote Laterne beim Thema Rückgriff. Dass es auch anders geht, beweisen Länder wie Baden-Württemberg (Rückgriffsquote: 24 Prozent) oder Bayern (22). Auch Niedersachsen und Schleswig-Holstein sind mit je 18 Prozent Rückgriff deutlich erfolgreicher.

In der CDU-Bürgerschaftsfraktion sieht man das kritisch: „Wer seine Strafzettel nicht bezahlt, bei dem klingelt irgendwann der Gerichtsvollzieher. Wer seine Eltern im Alter unterstützen muss, weil deren Einkünfte und Ersparnisse nicht ausreichen, muss damit rechnen, dass das Sozialamt auf Zahlung klagt“, sagt ihr Sprecher für Verfassung und Bezirke, André Trepoll. „Warum also ist dies bei denjenigen, die die Unterstützung ihrer Kinder dem Staat aufbürden, nicht so?“ Seine Forderung: „Hamburg muss die Rückgriffsquote bei säumigen unterhaltspflichtigen Elternteilen endlich verbessern.“

„Das Ziel, die Rückgriffsquote auf 15 Prozent zu erhöhen, wurde nicht erreicht"

Die CDU-Fraktion hat daher einen Antrag mit sieben Forderungen gestellt, in dem sie sich weitgehend auf den Rechnungshof beruft. Die unabhängigen Prüfer hatten sich das Thema Unterhalt in ihrem jüngsten Jahresbericht ausführlich vorgenommen, und das aus gutem Grund: Denn schon 2019 hatte die Finanzbehörde eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die den dezidierten Auftrag hatte, die Rückgriffsquote auf 15 Prozent zu erhöhen. Tatsächlich ist es seitdem immerhin gelungen, den Wert von 7,2 auf rund 9,5 Prozent zu steigern – relativ gesehen ein beachtlicher Zuwachs um 30 Prozent. Dennoch stellt der Rechnungshof nüchtern fest: „Das Ziel, die Rückgriffsquote auf 15 Prozent zu erhöhen, wurde weder in der Pilotdienststelle noch durch den Einsatz der Taskforce in den Bezirksämtern insgesamt erreicht.“

Die „Pilotdienstelle“ war das Bezirksamt Mitte, das sich von 7,8 im Fe­bruar 2019 auf 10,3 Prozent im Mai 2020 gesteigert hat. Im Bezirk Altona konnte die Rückgriffsquote hingegen nur von 5,0 auf 7,0 Prozent erhöht werden – was auch kein Wunder ist, da hier die Beschäftigten mit 492 Fällen pro Mitarbeiter mit Abstand am meisten Arbeit haben. Hamburgweit liegt der Wert bei 371 Fällen pro Mitarbeiter.

Was läuft schief in Hamburg?

Die Frage, was in Hamburg schiefläuft, wird vom Rechnungshof relativ unverblümt beantwortet: Man habe „festgestellt, dass es in allen Bezirksämtern im Zeitraum 2014 bis 2020 nahezu jährlich Überlastungsanzeigen im UV-Bereich gab. Daraufhin wurde die Bearbeitung der Rückgriffe (Heranziehungsbearbeitung) zurückgestellt.“ Weiter heißt es: „Eine nachhaltige Auseinandersetzung mit den Gründen erfolgte nicht. Zudem zeigte sich in einigen Bezirksämtern eine hohe Fluktuation unter den eingesetzten Fachkräften.“ Hinzu komme, dass für neue Beschäftigte die Einarbeitung und Fortbildung nicht ausreichend sichergestellt worden sei: „Eine ordnungsgemäße und effiziente Aufgabenwahrnehmung ist dadurch nicht gesichert“, so der Rechnungshof.

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Er bemängelt zudem, dass in den 18 Prozent der Fälle, in denen der Vater oder der Aufenthalt des Vaters unbekannt ist, die Behörden sich zu wenig Mühe geben, diesen zu ermitteln: Die Unterhaltspflichtigen würden zu ihren Angaben lediglich befragt: „Die Aussagen werden nicht überprüft. Ein Außendienst für unangekündigte Hausbesuche zur Überprüfung der Angaben ist derzeit nicht vorgesehen.“

In Hamburg leben mehr als 70.000 Alleinerziehende

Aus Trepolls Sicht hat sich „der rot-grüne Senat eine Ohrfeige vom Rechnungshof abgeholt“. Der CDU-Politiker verweist zudem darauf, dass allein die Arbeitsgruppe bislang Kosten in Höhe von mehr als 900.000 Euro verursacht habe. Seine Fraktion fordert nun eine quantitative und qualitative Personal­bedarfsermittlung in den Bezirksämtern. Außerdem müsse den Gründen für die Überlastungsanzeigen nachgegangen werden. Auch ein bezirksübergreifendes Controlling mit Berichtswesen müsse entwickelt werden.

In Hamburg leben mehr als 70.000 Alleinerziehende, gut 60.000 von ihnen sind Frauen. In rund 25.000 Fällen übernimmt die Stadt den Unterhalt für Kinder. Die Sozialbehörde erklärt auf Abendblatt-Anfrage, dass eine unterhaltspflichtige Person, die selbst weniger zur Verfügung hat als dem gesetzlich festgelegten Existenz-Minimum entspreche, nicht zahlen könne. „Beispielsweise ist dies regelhaft der Fall bei Menschen, die Sozialleistungen beziehen. Das kann aber auch der Fall sein, wenn das Einkommen gering ist.“ Der „Schonbetrag“ sei in Hamburg angesichts der höheren Mietkosten oft höher als in anderen Kommunen. Das erklärt zum Teil, warum die Rückgriffsquoten in Hamburg, Bremen und Berlin am niedrigsten sind – in den Stadtstaaten ist der Anteil ärmerer Menschen, bei denen nichts zu holen ist, höher als in Flächenländern.

Mit einer Kinder-Grundsicherung könnten verschiedene Leistungen zusammengefasst werden

Der Sozialbehörde zufolge gibt es aber Anstrengungen, um die Rückgriffsquote zu erhöhen. Unter anderem sollen Forderungen zentralisiert bearbeitet und dadurch bessere und schnellere Ergebnisse erreicht werden. Auch ein Fortbildungsprogramm sei geplant.

„Es darf nicht sein, dass ein Kind im Regen stehen gelassen wird, wenn ein Elternteil nicht den Unterhalt zahlt, den es zahlen müsste“, sagte Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) dem Abendblatt. „Kinder können schließlich nichts dafür, wenn sich die Eltern trennen, und sollen nicht die Konsequenzen ausbaden müssen.“ Daher sei es richtig, dass der Staat einspringt und die Kosten dafür bei den Zahlungsfähigen einzutreiben versucht. Die gesetzliche Regelung erweise sich aber „in der Praxis aber als nicht gut“, so Melanie Leonhard. Ihr Plädoyer: „Mit einer Kinder-Grundsicherung könnten verschiedene Leistungen, darunter auch diese, zusammengefasst werden.“ Die einzuführen, ist allerdings Sache der Bundesregierung. Laut Ampel-Koalitionsvertrag ist das vorgesehen.