Hamburg. „Aufarbeitung gescheitert“: Zwei Jahre nach den Ausschreitungen sind alle Entscheidungsträger im Amt oder aufgestiegen.
Im Grunde muss man den Hut ziehen und sich tief verbeugen. Denn es ist ein politisch-taktisches Meisterstück, das die Hamburger SPD da abgeliefert hat. Zwei Jahre nach dem G-20-Gipfel vom 7. und 8. Juli 2017, der größten Fehleinschätzung und dem größten organisatorisches Versagen der jüngeren Hamburger Geschichte, hat keiner der politisch oder polizeilich Hauptverantwortlichen persönliche Konsequenzen ziehen müssen.
Im Gegenteil: Olaf Scholz, der den Gipfel gegen alle Warnungen aus Polizei und Politik unbedingt mitten in Hamburg abhalten wollte, ist trotz aller gebrochenen Sicherheitsversprechen zum Vizekanzler aufgestiegen. Sein Dauerbegleiter Wolfgang Schmidt, der den Gipfel organisierte und vorher gerne Journalisten rügte, sie würden nur über dessen Risiken, aber nicht über die Chancen schreiben, ist mittlerweile vom Staatsrat zum Staatssekretär im Bundesfinanzministerium aufgestiegen.
Polizeiführer wurde befördert
Der verantwortliche Polizeiführer Hartmut Dudde wurde bald nach den Tagen, in denen die Schanze brannte und Vermummte in Altona für eine gefühlte Ewigkeit ungestört plündern und Brandsätze in Kleinwagen und Häuser werfen konnten, von SPD-Innensenator Andy Grote zum Chef der Schutzpolizei befördert. Grote selbst ist ebenso unangetastet im Amt wie sein Polizeipräsident Ralf Martin Meyer.
Den Preis für das von ihnen in Hamburg angesiedelte Desaster zahlten nicht die verantwortlichen Politiker, sondern allein die Bürger, deren Autos brannten, deren Stadt für Trump, Merkel, Scholz und Co. in ein schlechtes PS4-Endzeitspiel mit Dauergedröhne von Helikoptern und MP-Trägern an jeder Ecke verwandelt worden war. Und deren Sicherheit auch Jahre nach dem Gipfel leidet, weil Hunderte Polizisten mit Fahndung nach brandstiftenden Barbaren und Aufarbeitung des Gipfels beschäftigt sind – und damit für Kriminalitätsbekämpfung oder Verkehrskontrollen ausfallen.
Elbchaussee wirkte wie ein Kriegsgebiet
In dieser Woche erinnerten zwar noch einmal ein paar Artikel an die Stunden, in denen die Elbchaussee fast wie ein Kriegsgebiet aussah. Es wurde darauf hingewiesen, dass es bis heute nicht eine Anklage gegen Polizeibeamte gibt – obwohl es bei so einem Ereignis schon statistisch völlig unwahrscheinlich ist, dass es null Übergriffe von Beamten gegeben hat. Und es wurde konstatiert, dass das Verhältnis der Stadt zur Roten Flora trotz aller Bekundungen bis heute nicht neu ausgehandelt worden sei. Auch der Farbanschlag auf das Haus der grünen Senatorin Katharina Fegebank am Jahrestag des Gipfels Anfang der Woche scheint ein spätes Idioten-Echo auf G 20 zu sein. Und doch: Für die Verantwortlichen ist das Ganze wohl ausgestanden. Sie sind trotz ihrer fatalen Fehler unbeschadet aus der ganzen Sache herausgekommen – wonach es direkt nach dem Desaster nicht ausgesehen hatte.
Das könnte auch damit zu tun haben, dass sich die Öffentlichkeit daran gewöhnt hat, dass Politiker selbst bei größten Fehlern keine persönliche Verantwortung mehr tragen. Egal, ob das politisch angeleitete Gezocke der HSH Nordbank oder die Vervielfachung der Elbphilharmoniekosten – der Steuerzahler hat den (Milliarden-)Schaden, die politische Klasse macht einfach weiter. In Zeiten, in denen der Verdruss sowieso groß ist und der Populismus überall stärker wird, ist das ein fatales Signal.
„Früher gehörte Rückzug nach Fehlern zur politischen Kultur“
„Die Übernahme persönlicher Verantwortung gehörte jahrzehntelang zur selbstverständlichen politischen Kultur in Deutschland“, sagt der prominente Hamburger Jurist und Strafverteidiger Gerhard Strate. „Ob Brandt, Scharping, Biedenkopf, Streibl, Möllemann oder zu Guttenberg: Wessen Integrität durch Skandale oder fragwürdige Affären beschädigt war, dem blieb nur der Rückzug.“ Mittlerweile aber könnten „eigentlich untragbare Amtsinhaber samt ihren Verfehlungen völlig ungestört unter dem Radar fliegen“, so Strate.
Allerdings hat im Fall von G 20 auch die Opposition keine gute Arbeit abgeliefert. „Die Ereignisse sind weder politisch noch juristisch aufgearbeitet worden“, räumt Linken-Innenpolitikerin Christiane Schneider ein. „Das ist in erster Linie ein Versagen der Bürgerschaft.“ Der Sonderausschuss, der anstelle eines echten Untersuchungsausschusses eingerichtet worden war, sei kein geeignetes Instrument für eine echte Aufklärung gewesen. „Von Herrn Scholz erinnere ich aus dem Ausschuss nur noch die Aussage, er habe keine Fehler gemacht“, so Schneider – die allerdings auch vom eigenen Lager eine genauere Aufarbeitung der Gewaltexzesse fordert. „Auch diejenigen, die an der Elbchaussee Kleinwagen angesteckt haben, verstehen sich als links“, so Schneider. „Es hilft der Linken nichts, einfach nur zu sagen: Das sind keine Linken. Da ist vielmehr ein größerer Klärungsprozess nötig.“
FDP: Sonderausschuss kein Erfolg
Auch FDP-Innenpolitiker Carl-Edgar Jarchow ist unzufrieden. „Der G-20-Sonderausschuss war eindeutig kein Erfolg“, sagt er. „Rot-Grün hat die Verschleppungstaktik des Senats voll mitgetragen und sich mit geschwärzten Akten und gestanzten Antworten abspeisen lassen.“ Die CDU habe mit Rücksicht auf die Bundesregierung „Beißhemmung“ gehabt, so Jarchow. „Ein echter Untersuchungsausschuss hätte mehr Klarheit über das rot-grüne Sicherheitsversagen gebracht.“
Für CDU-Innenpolitiker Dennis Gladiator hat der Ausschuss immerhin gezeigt, „dass der Gipfel nicht in Hamburg hätte stattfinden dürfen“. Die Sicherheitsbehörden hätten früh vor den Gefahren gewarnt, das sei vom Senat ignoriert worden. Eine Schwäche der Aufarbeitung ist für Gladiator auch, dass „die linksextremistischen Gruppierungen verschont bleiben, der Polizei aber vom Senat das Misstrauen ausgesprochen“ worden sei. Der Senat dürfe „nicht länger auf dem linken Auge blind sein“, so Gladiator. AfD-Chef Dirk Nockemann forderte zum Zweijahrestag des Gipfels die Schließung der Roten Flora.
Grünen-Innenpolitikerin Antje Möller sagte: „Auch zwei Jahre nach dem G-20-Gipfel bleibe ich bei meiner Haltung, dass Hamburg als Austragungsort grundfalsch war.“ Die Arbeit im Sonderausschuss sei „aufgrund der Beweislage, aber auch der Koalitionslage, oft schwierig“ gewesen. SPD-Innenpolitiker Sören Schumacher verweist auf Lehren wie die Stärkung der „Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit“ bei der Polizei.
Womöglich bekommt die SPD 2020 noch eine G-20-Quittung
Andere in der SPD versuchen sich immer noch mit der alten Verteidigungsstrategie, wonach ja nicht die Politik für die Krawalle verantwortlich sei, sondern die Randalierer. Aber diese Linie ist vielen mittlerweile doch zu platt. Denn schließlich war Polizei und Politik klar, dass G 20 ein Magnet für Krawalltouristen und ein Feuerfest für heimische Brandstifter sein würde. Trotzdem hat die SPD den Hamburgern diesen Gipfel aufgezwungen, ihnen dabei nicht haltbare Sicherheitsversprechen gemacht - um sie dann mit brennenden Autos und Straßenzügen allein zu lassen. Bezahlt haben die Genossen dafür nicht – weder die persönlich Verantwortlichen noch die Partei. Es sei denn, man führt die miserablen SPD-Ergebnisse bei den Bezirkswahlen 2019 auch auf G 20 zurück. Dann könnte eine weitere Quittung bei der Bürgerschaftswahl im Februar folgen.
Innensenator Grote betonte jetzt, dass man immerhin nach G 20 „mit der Soko Schwarzer Block neue Maßstäbe in der Strafverfolgung gesetzt“ habe, „was die radikale linke Szene nachhaltig verunsichert hat“. Zudem werde die konzeptionelle Polizeiarbeit überprüft, und eine Forschungsstelle an der Polizeiakademie befasse sich mit der „gesellschaftlichen Konflikt- und Gewaltentstehung“ und den Folgen für die Polizeiarbeit.
„Mit dem Wissen von heute würde man vieles anders machen“, sagte Grote dem Abendblatt. „Die Belastungen für die Bevölkerung waren zu hoch. Für uns als Stadt war es eine schmerzliche Erfahrung. Der größte Verlierer dieser Tage war der friedliche Protest.“