Hamburg. Selbst bei neuer Variante offenbar keine volle Kontaktverfolgung mehr. Inzidenz auf neuem Rekordniveau. Bundeswehr soll wieder helfen.
Die hoch ansteckende Omikron-Variante des Coronavirus ist in Hamburg weiter auf dem Vormarsch. Bis Donnerstag lagen nach Auskunft der Sozialbehörde 40 bestätigte Fälle vor. Das klingt angesichts von täglich mehr als 1000 Neuinfektionen zunächst nicht dramatisch, doch nachdem es vergangene Woche erst fünf und am Dienstag 28 Fälle waren, ist die Entwicklung eindeutig – zumal es noch „mehrere hundert Verdachtsfälle, mit stark steigender Tendenz“ gibt, so Behörden-Sprecher Martin Helfrich.
Selbst wenn sich nur jeder zweite Fall bestätige, müsse im Laufe der kommenden Woche mit mehreren hundert zusätzlichen, bestätigten Fällen gerechnet werden. Damit scheint es nur noch eine Frage der Zeit, bis Omikron wie in Großbritannien oder Dänemark zur dominanten Variante wird.
Corona Hamburg: Omikron-Ausbruch im Waagenbau
Das könnte allerdings einen positiven Nebeneffekt haben: Denn es mehren sich die Studien, wonach diese Mutation zwar noch ansteckender als die bislang vorherrschende Delta-Variante ist, aber für etwas weniger schwere Krankheitsverläufe sorgt.
Ob das auch für die in Hamburg betroffenen Personen gilt, konnte die Sozialbehörde nicht sagen. „Welche gesundheitlichen Folgen eine Omikron-Infektion hat, ist derzeit noch nicht verlässlich abzuschätzen“, so Helfrich. „Zwar bestehen Anhaltspunkte für einen veränderten Verlauf, umfassende Erkenntnisse über das klinische Bild gibt es aber aus Deutschland bislang nicht.“
Dass sich die neue Variante wohl auch bei Einhaltung von Schutzmaßnahmen kaum aufhalten lässt, zeigt ein Omikron-Ausbruch im beliebten Musikclub Waagenbau an der Max-Brauer-Allee. Bei einer 2G-plus-Veranstaltung Mitte Dezember hätten sich dort mindestens sechs Besucher infiziert, vermutlich auch drei weitere, teilte das Bezirksamt Altona dem Abendblatt auf Nachfrage mit. Achtmal sei die Omikron-Variante nachgewiesen worden, ein Fall werde noch untersucht.
Omikron Hamburg: Offenbar keine schnelle Kontaktnachverfolgung
Omikron verbreitet sich also nicht nur munter unter Geimpften oder Genesenen. Auch Antigentests bringen offenbar keine volle Sicherheit. Schon im November hatten Virologen betont, dass Corona-Schnelltests bei Geimpften mutmaßlich weniger zuverlässig sind.
Nach dem aktuellen Kenntnisstand seien 2G-Veranstaltungen diejenigen mit dem höchsten Schutzniveau, sagte Sozialbehördensprecher Martin Helfrich. „Das heißt jedoch nicht, dass alle Vorsicht fahren gelassen werden sollte. Wer auf Nummer sicher gehen möchte, meidet Veranstaltungen mit vielen Menschen in Innenräumen.“ Auch das Tragen einer FFP2-Maske erhöhe den Sicherheitsstandard.
Obwohl es sich im Waagenbau um die hoch ansteckende neue Variante handelte, gab es offenbar keine umfassende und schnelle Kontaktnachverfolgung durch die Behörden. So berichtete die Mutter einer betroffenen jungen Frau dem Abendblatt, dass ihre Tochter nach dem Omikronnachweis zwar eine Liste ihrer jüngsten Kontakte an das Gesundheitsamt gegeben habe. Diese seien aber gar nicht oder nur vereinzelt mit großer Verspätung kontaktiert worden.
Kontaktverfolgung mit der Luca-App
Mike Schlink, Sprecher des Bezirksamtes Altona, sagte: „Die Kontaktnachverfolgung sollte – wie vorgesehen - per Luca-App erfolgen, da es sich nicht um eine vulnerable Einrichtung bzw. Personengruppe handelte. Die Gesundheitsämter konzentrieren sich derweil auf Indexpersonen.“ Mithin: Auch bei Omikronfällen sind die Ämter offenbar nicht mehr in der Lage, alle Kontakte der Infizierten ausfindig zu machen und zu warnen oder Quarantäne anzuordnen.
Bereits seit mehreren Monaten nutzen Gesundheitsämter die Luca-App, um über ein konkretes Infektionsrisiko zu informieren. Das ist jedoch auch vielen Hamburgern nicht bekannt und zudem nicht ohne Tücken. In einem Fall entdeckte ein Betroffener aus Barmbek-Süd einen Warnhinweis am Donnerstag zufällig und zwei Wochen nach einem Restaurantbesuch, bei dem eine später positiv getestete Person in der Nähe war.
Darin rief das sogenannte „Luca.Studio“ des Gesundheitsamtes den Nutzer zu großer Vorsicht auf und empfahl ebenfalls einen Corona-Test. Nach einmaligem Lesen war die Nachricht nicht mehr abrufbar. Die Corona-Warn-App, die seit Pandemiebeginn als Mittel der Wahl zur Benachrichtigung über Risikokontakte galt, zeigte unterdessen keine Warnung.
Gesundheitsamt baute Vollzeitstellen ab
Auch ein weiterer Fall veranschaulicht die aktuelle Überforderung der Behörden. So gab es nach einem Bericht des NDR-Hamburg-Journals in einer Kita in Kirchwerde vier Omikronfälle. Das zuständige Gesundheitsamt sei für die Betroffenen aber lange nicht erreichbar gewesen, heißt es in dem Bericht.
Wie die Kontaktnachverfolgung in den vergangenen Monaten lief, lässt sich am Bezirk Nord ablesen. Von dort hat sich der Bezirksabgeordnete Wieland Schinnenburg (FDP) in einer Anfrage die Stellenbesetzung im Gesundheitsamt berichten lassen. Was Bezirksamtsleiter Michael Werner-Boelz (Grüne) ihm darlegte, beunruhigte den Liberalen.
Das Bezirksamt Nord hatte aufgeschlüsselt, dass die Sieben-Tage-Inzidenz der Neuinfizierten von Juni bis November von 8,9 auf 232,3 hochgeschnellt ist. Gleichzeitig sank die Zahl der Vollzeitstellen im Gesundheitsamt von 153 auf 132 – und die der mit Kontaktnachverfolgung Beschäftigten von 89 auf 67. Obwohl die Zahl der neu Erkrankten steil anstieg, ging die der Verantwortlichen im Gesundheitsamt zurück.
Bundeswehr soll bei Kontaktnachverfolgung helfen
„Die Hamburger Kontaktnachverfolgung ist eine Katastrophe“, sagte Schinnenburg dem Abendblatt. „Das Testen und Impfen sollte die Stadt der Privatwirtschaft überlassen, die können das besser. Sie sollte sich lieber um eine gute Kontaktnachverfolgung der möglichen Infizierten kümmern und nicht ausgerechnet dort Personal einsparen. Der Bürgermeister muss dringend handeln!“
Im November hatte die Bundeswehr in Nord kein Personal mehr als Hilfe zur Verfügung gestellt. Bis dato waren es zum Teil noch zehn Helfer. In diesen Tagen soll beschlossen werden, dass die Bundeswehr erneut in die Bezirksämter ausrückt, um bei der Kontaktnachverfolgung zu helfen. Die Leitung der Truppe hatte das bereits angeboten.
Polizei Hamburg merkt Infektionsgeschehen
Mit der Verbreitung der Omikron-Variante wächst auch die Sorge, dass die sogenannte kritische Infrastruktur beeinträchtigt werden könnte. Zuletzt gab es bei der Polizei 90 bestätige Corona-Fälle, weitere 60 Beamte mussten in Quarantäne. Unter anderem ist deshalb ein ganz ein ganzer Zug der Bereitschaftspolizei ausgefallen.
Das Infektionsgeschehen steige auch in den eigenen Reihen spürbar, sagt Polizeisprecher Holger Vehren dazu. Er betont aber auch: „Die Einsatzfähigkeit ist voll gewährleistet“. Mit einer freiwilligen Erhebung hatte die Polizei Ende August eine Impfquote von etwas mehr als 80 Prozent der Beamten festgestellt.
Nachdem auch in Präsidium und Revieren die 3G-Regel gilt, erfolgen die Erhebungen nicht mehr zentral für die gesamte Polizei. „Unsere Schätzung ist, dass die Quote deutlich höher liegt“, so Vehren. Zu der Frage, wie viele Beamte auch bereits eine Booster-Impfung erhalten haben, könne man keine Einschätzung treffen.
Corona-Inzidenz in Hamburg auf Höchststand
Am Donnerstag wurden in Hamburg insgesamt 1106 neue Corona-Fälle registriert. Das waren weniger als in den beiden Vortagen, aber 105 mehr als vor einer Woche. Damit stieg die 7-Tage-Inzidenz von 355,4 auf den neuen Höchststand von 360,9.
Anlass zu Sorgen gibt auch die Entwicklung in den Kliniken: Die Zahl der Covid-Patienten auf den Intensivstationen stieg von 61 auf 66 – ist damit aber noch weit vom Höchststand vor einem Jahr entfernt, als gut 120 Intensivpatienten betreut werden mussten.
Die Zahl der Covid-Patienten ging von 240 auf 228 zurück – was auch damit zusammenhängen dürfte, dass es erneut sieben Todesfälle gab. Damit sind nun 1963 Hamburgerinnen und Hamburger an oder mit Corona verstorben.
Die Schulen mit den meisten Infektionen
Auch an den Schulen gab es in den zehn Tagen vor Ferienbeginn zahlreiche Infektionen. Laut Schulbehörde wurden an 251 Schulen insgesamt 1207 Fälle registriert. Betroffen waren 1118 Schüler und 88 Lehrer oder andere Schulbeschäftigte.
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Die Schulen mit den meisten Infektionen waren zuletzt die Stadtteilschule Süderelbe mit 15 Infektionen, die Schule Iserbarg (12), die Schule Redder (12), die Nelson-Mandela-Schule im Stadtteil Kirchdorf (8) und das Luisen-Gymnasium Bergedorf (5). Die Gesundheitsämter hatten zuletzt 18 ganze Klassen an 13 Schulen in Quarantäne versetzt. Insgesamt sind laut Behörde 1625 Schüler in Quarantäne. Der Schulbehörde seien keine bestätigten Omikron-Fälle bekannt, so Sprecher Peter Albrecht.