Hamburg. Wenig Menschen mit ausländischen Wurzeln im Impfzentrum in den Messehallen. Flüchtlinge erhalten Impfstoff von Johnson & Johnson.

Gut vier Monate nach dem Start des Corona-Impfzentrums in den Hamburger Messehallen wundern sich viele dort tätige Menschen darüber, dass offensichtlich der Anteil der Impfkandidaten mit Migrationshintergrund sehr niedrig ist. Auch wenn es darüber keine gesicherten Zahlen gibt, bestätigte der Sprecher der medizinischen Leitung, Dr. Dirk Heinrich, dem Abendblatt: „Diesen Eindruck habe ich auch. Wir vermuten verschiedene Gründe. Zum einen könnten sich viele aus der Altersgruppe der über 70-Jährigen im Winter, als wir zu impfen begonnen haben, in ihren Heimatländern oder denen ihrer Verwandten aufgehalten haben, zum Beispiel in der Türkei. Eine andere Erklärung könnte sein, dass der Informationsfluss in den Bevölkerungsgruppen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, beim Thema Coronavirus und Impfen im Ergebnis nicht so gut läuft wie sonst.“

Heinrich, selbst HNO-Arzt mit Praxen in Horn und Rahlstedt, kennt die Thematik aus jahrzehntelanger Versorgung von Migranten. In seinen Behandlungszimmern geht es oft mehrsprachig zu. „Nach meiner Erfahrung und nach verschiedenen Erhebungen gibt es in Stadtteilen mit hohem Anteil an Migranten auch eine andere Wahrnehmung und Inanspruchnahme von Gesundheitseinrichtungen. Gerade im Rahmen des Projekts Gesundheitskiosk in Billstedt können wir darauf hinweisen, wie wichtig eine Impfung ist.“ Der Gesundheitskiosk hat drei Standorte und bereits Tausende Menschen beraten, die mit gesundheitlichen Problemen überfordert sind.

Hamburger Impfzentrum: Zahl der Migranten gering

Zuletzt hatte nach Medienberichten auch Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) von möglichen Schwierigkeiten bei der Impfung von Menschen mit Migrationshintergrund gesprochen. „Es ist eine große Herausforderung, bei Migranten für die Impfungen zu werben“, sagte Spahn demnach in einer Schaltkonferenz der CDU-Spitze.

Auf Anfrage des Abendblattes warnte der Sprecher der Sozialbehörde, Martin Helfrich, am Mittwoch jedoch eindringlich vor übereilten Einschätzungen: „Es ist eindeutig zu früh, hier von einer mangelnden Impfbereitschaft zu sprechen.“

Die aktuellen Corona-Fallzahlen aus ganz Norddeutschland:

  • Hamburg: 2311 neue Corona-Fälle (gesamt seit Pandemie-Beginn: 430.228), 465 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (davon auf Intensivstationen: 44), 2373 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1435,3 (Stand: Sonntag).
  • Schleswig-Holstein: 1362 Corona-Fälle (477.682), 623 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 39). 2263 Todesfälle (+5). Sieben-Tage-Wert: 1453,0; Hospitalisierungsinzidenz: 7,32 (Stand: Sonntag).
  • Niedersachsen: 12.208 neue Corona-Fälle (1.594.135), 168 Covid-19-Patienten auf Intensivstationen, 7952 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1977,6; Hospitalisierungsinzidenz: 16,3 (Stand: Sonntag).
  • Mecklenburg-Vorpommern: 700 neue Corona-Fälle (381.843), 768 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 76), 1957 Todesfälle (+2), Sieben-Tage-Wert: 2366,5; Hospitalisierungsinzidenz: 11,9 (Stand: Sonntag).
  • Bremen: 1107 neue Corona-Fälle (145.481), 172 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 14), 704 Todesfälle (+0). Sieben-Tage-Wert Stadt Bremen: 1422,6; Bremerhaven: 2146,1; Hospitalisierungsinzidenz (wegen Corona) Bremen: 3,88; Bremerhaven: 7,04 (Stand: Sonntag; Bremen gibt die Inzidenzen getrennt nach beiden Städten an).

Die Impfung stehe dem Großteil der Bevölkerung noch gar nicht zur Verfügung. „Daher verbietet es sich, bereits Schlüsse über einzelne Bevölkerungsgruppen zu ziehen.“

Flüchtlinge und Obdachlose werden mit Johnson & Johnson geimpft

In den vergangenen Wochen war auch in Hamburg darüber diskutiert worden, dass Stadtteile mit hohem Migrationsanteil häufig eine hohe Corona-Inzidenz aufwiesen – insbesondere in den Bezirken Mitte und Harburg. Zuletzt waren die Zahlen dort deutlich zurückgegangen, bleiben aber auf hohem Niveau.

Der Leiter des Bezirksamts Mitte, Falko Droßmann (SPD), zog vor allem eine Verbindung von einer höheren Verbreitung des Virus zum Wohlstandsniveau einzelner Viertel. „Der Zusammenhang zwischen Armut und Gesundheit ist doch eine Binse“, so Droßmann.

Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick

Gezielt will die Stadt mit der Impfung von Geflüchteten in der Zentralen Erstaufnahme beginnen, wie die Sozialbehörde auf Anfrage bestätigte. Hierbei soll der Impfstoff von Johnson & Johnson zum Einsatz kommen, der zuerst auch Obdachlosen verabreicht wird. In der Verwaltung heißt es, dass man mit Vorbehalten rechne.

So kursierten in Unterkünften bereits Gerüchte, dass Asylbewerber nach einer Impfung abgeschoben werden könnten. „Das stimmt natürlich nicht – aber hier wird noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten sein“, heißt es aus der Behörde.