Hamburg. Kaum jemand kennt die Menschen auf St. Pauli so gut wie die bürgernahe Beamtin Margot Pfeiffer. Nach 40 Jahren geht sie in Pension.
Zwei mittelalte Männer, die nicht nur aussehen, als wären sie Boxer oder Gangster-Rapper, sondern es auch tatsächlich sind, ziehen gerade über den Hans-Albers-Platz, als sie dort die Polizistin Margot Pfeiffer entdecken. „Wie lange machst du noch“, ruft Rapper Kareem zu ihr rüber. „Noch zwei Wochen“, sagt Pfeiffer. Kareem deutet eine Verneigung an und sagt: „So viel ist klar: Ihren Platz kann keiner einnehmen. Wir müssen Ihnen jetzt eigentlich ein Denkmal bauen.“
Margot Pfeiffer lacht durchdringend und mit dem ganzen Körper und bedankt sich für die netten Worte. Als die Männer hinter der nächsten Ecke verschwunden sind, sagt sie: „Die haben mich sogar schon mal in einem Rapsong verewigt.“ Auch die Zeile weiß sie noch: „Hab die Gegend hier im Blick wie ein Sniper, bin auf dem Kiez ’ne Legende wie Frau Pfeiffer.“
Polizistin Margot Pfeiffer wird in Raptexten geehrt
Das allein ist schon bemerkenswert. Es dürfte schließlich eher selten vorkommen, dass Polizisten in Raptexten geehrt, ja sogar als „Legende“ bezeichnet werden. Aber wer mit Margot Pfeiffer zwischen Reeperbahn, Spielbudenplatz und Herbertstraße unterwegs ist, der spürt nach wenigen Minuten, dass „Legende“ wohl eine ziemlich treffende Bezeichnung ist.
Alle paar Meter ruft jemand „Moin, Frau Pfeiffer“. Die Obdachlosen, die Flaschensammler, die Barbetreiber, die Prostituierten. Nur die Schwarzafrikaner, die hier und da an den Straßenecken stehen, rufen sie bei einem anderen Namen. Sie sagen einfach „Mama“.
Margot Pfeiffer ist seit 40 Jahren auf dem Kiez unterwegs
Seit rund 40 Jahren ist Margot Pfeiffer auf dem Kiez unterwegs. Die längste Zeit davon als sogenannte bürgernahe Beamtin. Bürgernahe Beamte – kurz Bünabe – gibt es in Hamburg seit 1981. Einen für jedes Polizeikommissariat. Das Besondere an den Bünabes ist, dass ihre Funktion und ihr Selbstverständnis etwas anders ist als bei den meisten anderen Polizisten. Es geht nicht darum, Delikte zu ahnden – es geht darum, schon im Vorwege zu verhindern, dass es zu Delikten kommt, und die Probleme zu erkennen, bevor sie eskalieren. Sie sind irgendwas zwischen Kummerkasten und Platzwart, sie mahnen, geben Zuspruch und hören zu.
Wie andere bürgernahe Beamten auch, kann Margot Pfeiffer weitestgehend autonom arbeiten. Das heißt: Es gibt keine starren Schichten und auch keine festen Routen, auf denen sie unterwegs ist. Nach all den Jahren hat Pfeiffer ganz gut im Gefühl, wo der Schuh drückt und an welcher Ecke sie sich mal wieder blicken lassen sollte.
Zufall, dass die Nordhessin Margot Pfeiffer auf St. Pauli landete
Dass die gebürtige Nordhessin auf St. Pauli landete, war Zufall. Nach der Schule hatte sie sich zunächst beim BKA in Wiesbaden beworben, jedoch ohne Erfolg. Ein Bekannter erzählte ihr dann davon, dass es im rund 400 Kilometer entfernten Hamburg noch freie Plätze für Polizeianwärter geben soll. Und so bewarb sie sich – und es klappte.
Schon das erste Praktikum in der Ausbildung führte sie ans Polizeikommissariat 15, die Davidwache also. „Ich war sofort fasziniert vom Kiez. Hier gibt es so viele unterschiedliche Menschen wie sonst nirgends in Hamburg.“ Berührungsängste habe sie von Anfang an nicht gehabt. „Ich hatte schon immer ein gutes Selbstbewusstsein und neige nicht dazu, ängstlich zu sein. Und im Bordell war ich inzwischen so oft, dass es sich fast nach Wohnzimmer anfühlt“, sagt sie. Mindestens genauso wichtig aus ihrer Sicht: „Ich glaube auch, dass es eine Frage der Erziehung ist, ob man dazu in der Lage ist, den richtigen Ton zu treffen und Respekt auszustrahlen, ohne herablassend zu wirken.“ Und genau das sei hier auf dem Kiez eben das A und O.
Alles erlebt: Kiez-Ankedoten, Wettschulden, Hinterzimmer-Deals
Sowohl auf ihren Streifenwagenfahrten in den ersten Jahren als auch als zivile Aufklärerin beweist Pfeiffer, dass sie mit ihrer handfesten Art den Ton des Viertels trifft. Als 2003 dann die Bünabe-Stelle vakant wird, ist keine Frage, wer die Nachfolge übernimmt: Margot Pfeiffer natürlich.
In den 40 Jahren hat die 61-Jährige hier so ziemlich alles erlebt. Von typischen Kiez-Anekdoten, die von pikanten Wettschulden und Hinterzimmer-Deals erzählen, bis zu Ereignissen, die in die Stadtgeschichte eingegangen sind: die Besetzung der Hafenstraße und der Streit um die Esso-Häuser etwa und natürlich die ungezählten Demonstrationen, die in Hamburg ja fast zwangsläufig über die Reeperbahn führen.
Margot Pfeiffer hat den Wandel des Quartiers miterlebt
Und fast nebenbei hat Pfeiffer so auch den Wandel des Quartiers vom harten Rotlichtmilieu zum bunten Ausgehviertel miterlebt. „Das war in den 80er- Jahren deutlich rauer hier. Das betrifft fast alle Bereiche vom Rotlichtmilieu über Gewaltkriminalität bis zum Aggressionsgrad der linken Szene.“
Inzwischen sei es oft fast schon gespenstisch ruhig auf dem Kiez – was natürlich an Corona liegt. Und die Pandemie ist es auch, die ihr einen Strich durch die geplante Abschiedsparty macht. Aber Pfeiffer sei ohnehin kein „Abschiedstyp“ und schaut nun lieber nach vorne. Ideen für ihre Zeit im Ruhestand hat sie viele, zum Beispiel endlich Spanisch zu lernen. Und „Legenden“ werden schließlich überall gebraucht.