Hamburg. Sie ist die neue Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages – was Aydan Özoguz über das vergangene Jahr der SPD und Olaf Scholz sagt.
Hamburger haben in der deutschen Politik schon immer eine große Rolle gespielt – aber so einflussreich wie 2021 waren sie lange nicht: Olaf Scholz wird Bundeskanzler, sein engster Berater Wolfgang Schmidt Kanzleramtsminister. Und Aydan Özoguz, die ihre politische Karriere in der Hamburgischen Bürgerschaft begann, ist seit ein paar Wochen Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages. In unserer Reihe „Entscheider treffen Haider“ spricht sie über ein für ihre SPD fast perfektes Jahr, ihren „Entdecker“ Olaf Scholz – und wieso es wichtig ist, dass zum ersten Mal eine Frau mit Einwanderungsgeschichte im Bundestagspräsidium sitzt.
Das sagt Aydan Özoğuz über …
… den Machtwechsel in Deutschland:
„So einen Machtwechsel würde man sich für andere Länder wünschen. Dass man so friedlich miteinander umgeht, so respektvoll und die Dinge aus einer Verantwortung für das Land heraus ordentlich übergibt. Das habe ich bei Herrn Schäuble erlebt und Olaf Scholz bei Angela Merkel.“
… die Frage, wann sie das erste Mal geglaubt hat, dass Olaf Scholz mit seiner seit 2018 erzählten Prophezeiung, er werde der nächste Kanzler, recht haben könnte:
„Das war keine Prophezeiung, das war ein Plan. Olaf Scholz hat richtig und frühzeitig erkannt, dass die Wahl ohne eine Amtsinhaberin als Kandidatin eine andere werden würde und dass darin für ihn als Vizekanzler eine große Chance liegt. Dieser Plan ist aufgegangen, auch wenn wir zugeben müssen, dass es zwischenzeitlich zäh war. Im Sommer lag die SPD noch bei 15, 16 Prozent, da habe ich schon das eine oder andere Mal kurz gezweifelt, ob die Strategie komplett aufgehen wird. Trotzdem waren wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten guter Dinge, und das hat man uns auch angemerkt.“
… Olaf Scholz und Angela Merkel:
„Wenn man Angela Merkel und Olaf Scholz nebeneinanderstellt, dann hat man es mit zwei intelligenten, kompetenten Menschen zu tun, die sich der Sache verpflichten und etwas für das Land tun wollen und deren ganzer Weg diese Politik ist. Wenn es um Unterschiede geht: Bei Angela Merkel kann man darüber streiten, wie feministisch sie wirklich ist, bei Olaf Scholz nicht. Frau sein reicht eben nicht, um grundsätzlich etwas für Frauen zu erreichen, das erkennt man, wenn man sich den Zustand der CDU nach Merkel anschaut – es gibt keine Frau, die sich aktuell zutraut, Parteivorsitzende zu werden. Olaf Scholz ist zwar nicht als Feminist geboren worden. Aber er ist jemand, der zuhört und sich beraten lässt: Schon als Bürgermeister hatte er sich ganz klar das Ziel gesetzt, dass der Senat zu gleichen Teilen mit Männern und Frauen besetzt sein soll. Und das galt auch bei der Bildung der Bundesregierung.“
… ihre Entdeckung als Politikerin durch Olaf Scholz:
„Ich habe bei der Körber-Stiftung gearbeitet und immer wieder Politikerinnen und Politiker bei Gesprächsrunden zusammengebracht. So hat Olaf Scholz, der damals Landesvorsitzender der SPD war, mich kennengelernt. Bei einer Veranstaltung im Jahr 2000 kam er plötzlich auf mich zu und meinte: ,Frau Özoğuz, hätten Sie nicht Lust, für die SPD bei der Bürgerschaftswahl 2001 zu kandidieren?’ Und ich sagte: ,Darüber denke ich gern mal nach.‘ Und er: ,Das machen Sie. In zwei Tagen hätte ich dann gern eine Antwort.‘ So ist er nun mal, ich glaube, er fand eine Bedenkzeit von zwei Tagen schon sehr generös.“
… Politiker mit Einwanderungsgeschichten:
„Ich war 2001 bei meinem Einzug in die Hamburgische Bürgerschaft die einzige Abgeordnete, deren Eltern eingewandert waren, das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Als ich 2009 in den Bundestag gekommen bin, merkte ich aber auch, wie weit wir in Hamburg schon waren. Es gibt Bundesländer, in denen über Themen wie Migration ganz anders und sehr ausgrenzend diskutiert wurde, sogar bis heute. Inzwischen sind aber Menschen mit den unterschiedlichsten Einwanderungsgeschichten im Bundestag, das freut mich. Es reicht nicht, ein paar Leute aus einzelnen Regionen dort zu haben.“
… ihre Rolle als erste Vizepräsidentin des Bundestages mit Migrationshintergrund:
„Auf der einen Seite ist es gut, dass es heute nicht mehr eine Sensation ist, dass eine Frau wie ich Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages ist. Auf der anderen Seite merke ich, wie vielen Menschen es etwas bedeutet, dass ich dort jetzt sitze. Ich habe gerade über die sozialen Netzwerke, aus denen man sonst andere Dinge gewohnt ist, begeisterte Reaktionen erhalten: „Wir sind jetzt da angekommen“, schrieb einer.
… Impfskepsis unter Menschen mit Migrationshintergrund:
„Es gibt Menschen, die nicht in dem Gefühl groß geworden sind, dass man dem Staat vertrauen kann, die manchmal ihre Heimat auch deshalb verlassen haben, weil der Staat sie unterdrückt hat. Das spielt bei Eingewanderten eine Rolle, und das macht Entscheidungen wie die, sich impfen zu lassen, vielleicht schwieriger. Deshalb glaube ich, dass man nie aufhören darf, zu erklären und aufzuklären. Auf keinen Fall sollte man diese Menschen pauschal verurteilen. Aber gerade in Sachsen, Bayern oder Baden-Württemberg geht es wohl nicht um Eingewanderte.“
… Sahra Wagenknecht und Alice Weidel, die in TV-Sendungen erzählen, dass sie sich bewusst nicht gegen Corona haben impfen lassen:
„Tatsächlich rät Sahra Wagenknecht gleichzeitig zur Impfung für Ältere. Ansonsten kann ich das nicht verstehen. Es geht nicht nur darum, ob man selbst krank wird oder stirbt. Es geht um eine ganze Gesellschaft, um so viele Menschen, die im Lockdown ihre Arbeit nicht machen können. Es geht aber auch um Kinder, die nicht zur Schule gehen können. Alle leiden darunter, dass andere Menschen sich nicht impfen lassen wollen. Warum stelle ich mich dann an ein Mikrofon und sage das auch noch stolz? Ich habe dafür kein Verständnis.“
… die AfD im Bundestag:
„Mit dem Einzug der AfD in den Bundestag hat sich die Atmosphäre dort deutlich verändert. Der Unterschied ist: Jemand von der SPD kann sich im Bundestag mit einem Kollegen von der CDU heftig streiten in der Sache, die können komplett unterschiedlicher Meinung sein und sitzen trotzdem hinterher noch mal zusammen und reden freundlich darüber. Das macht fast keiner mit der AfD.“