Hamburg. “Beschulungsanspruch“ trotz Corona? Eine Mutter will vor dem Verwaltungsgericht erstreiten, dass Kinder voll unterrichtet werden.

In Hamburg wollen Eltern erstmals vor Gericht durchsetzen, dass ihr Kind auch während der Corona-Pandemie Unterricht in der Schule erhält. Wie der Anwalt Niko Härting dem Abendblatt sagte, hat er eine Klageschrift am Hamburger Verwaltungsgericht zum „Beschulungsanspruch“ eingereicht. Er hoffe auf eine Entscheidung noch vor dem Ferienbeginn in der Hansestadt am 1. März.

Härting hat bereits mehrfach Klagen gegen geltende Corona-Bestimmungen in den Bundesländern eingereicht. So ist eine Hamburger Mutter auf den Berliner Anwalt aufmerksam geworden. „Mich ärgert diese Achtlosigkeit in Bezug auf das Thema Bildung und Entfaltung der Jüngsten sehr“, sagt die Hamburgerin, die ungenannt bleiben möchte. „Entgegen dem Motto‚ Kitas und Schulen zuerst‘ erleben wir hier in Hamburg die paradoxe Situation, dass von März an zunächst die Friseure öffnen.“

Nachbarländer "fast im Normalmodus mit offenen Schulen"

Die Nachbarn in Schleswig-Holstein näherten sich sogar fast wieder dem „Normalmodus mit offenen Schulen, Zoos, Tierparks und Gartencentern, bevor auch nur ein Hamburger Schüler wieder regulär die Schulbank drückt“. Besonders in der Kritik steht die „pädagogische Notbetreuung“. Hier wechselten die Lehrer ständig, Kindern lösten oft lediglich dort ihre Hausaufgaben. „Das ist keine Beschulung, sondern Ausdruck der Konzeptlosigkeit des Hamburger Senats“, kritisiert die Klägerin.

Interaktive Karte: Das Coronavirus in Deutschland und weltweit

„Diese Notbetreuung in den Schulen ist gesetzlich gar nicht vorgesehen“, sagt Härting mit Blick auf die Verordnung zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus Sars-CoV-2. „In Paragraf 24 ist nur die erweiterte Notbetreuung in Kindertagesstätten geregelt“, sagt Härting. „Wir berufen uns auf den Beschulungsanspruch laut Schulgesetz. Die Kinder, die vom Präsenzrecht Gebrauch machen, haben einen Anspruch auf Beschulung.“ Sollte der Eilantrag Erfolg haben, müssten die Schulen zur Vollbetreuung zurückkehren.

"Deutschland steht mit radikalen Schulschließungen bald fast allein"

Der Jurist kritisiert, dass Deutschland mit seinen radikalen Schulschließungen europaweit bald allein stehe. „Wir sind beauftragt, in anderen Bundesländern ebenfalls tätig zu werden.“

Die Aussichten sieht Härting durchaus positiv: „Wir beschäftigen uns seit dem ersten Lockdown mit den Corona-Verordnungen.“ Zunächst hätten alle Verwaltungsgerichte Beschwerden abgewiesen. „Wir beobachten nun aber eine gewisse Neigung, sich die Dinge genauer anzuschauen“, sagt Härting. „Es ist nur eine Frage der Zeit, dass ein Gericht sich zum Thema Schule meldet.“ Eine Abwägung zwischen Gesundheitsschutz und dem Recht auf Bildung und den sozialen Zusammenhängen sei überfällig. Zudem lägen die Infektionszahlen inzwischen weit unter den Zahlen des Novembers, als noch normal unterrichtet wurde.

Schulbehörde zeigt sich angesichts der Klage entspannt

In der Hamburger Schulbehörde bestätigte man die Klage, zeigte sich aber entspannt. „Wir werden vortragen, dass die Einschränkung der Präsenzpflicht unter Bezugnahme auf die Vorgaben der Covid-19-Eindämmungsverordnung gerechtfertigt und aufgrund der derzeitigen Pandemielage weiter verhältnismäßig ist“, sagte Behördensprecher Peter Albrecht. „Tatsächlich bieten die Schulen keine ,Notbetreuung‘ an, sondern eine pädagogische Begleitung des Distanzunterrichtes durch Lehrkräfte.“ 

 Wegen der Frage der Erforderlichkeit der Pandemiemaßnahmen habe das Oberverwaltungsgericht Hamburg jüngst in anderen Zusammenhängen, etwa bei der Befreiung von der Maskenpflicht, entschieden, dass die Pandemielage derartige Eingriffe rechtfertige. „Wir erwarten, dass die Gerichte auch im vorliegenden Fall in diese Richtung argumentieren werden“, so Albrecht.