Hamburg. Hamburg impft weniger 12- bis 15-Jährige als die Nachbarländer. Kommen Schulimpfungen? Kinderärzte raten zu eingehender Beratung.
Eltern und Kinderärzte sind zum Spagat gezwungen: Sollten Kinder im Alter von zwölf bis 15 Jahren gegen Corona geimpft werden – oder doch (noch) nicht? Die Ständige Impfkommission (Stiko) gibt keine generelle Empfehlung und verweist auf die unklare Datenlage, die Gesundheitsminister erhöhen den Druck. Mit dem Schulstart gestern im Norden und kommenden Donnerstag in Hamburg kommt die Forderung, auch Kinder besser vor Corona zu schützen.
Schleswig-Holstein übernimmt dabei eine Vorreiterrolle: Hier sollen sich vom 19. August an alle Schüler ab zwölf Jahren an 250 Schulen von mobilen Teams impfen lassen können. Hamburger Kinderärzte bewerten die Lage weitgehend ähnlich wie die Stiko. Generelle, uneingeschränkte Empfehlungen könne es nicht geben, Beratung und Abwägung seien derzeit noch unerlässlich, auch wenn eine Impfkampagne für Jugendliche gewiss wünschenswert wäre.
Anfragen aus ganz Hamburg für Kinder-Impfungen
Im Impfzentrum der Asklepios-Klinik Harburg ging es in den vergangenen Tagen schon Schlag auf Schlag. Gefühlt im Zehnminutentakt kamen Eltern mit ihren jugendlichen Kindern. In dem Zimmer, über dem „Anmeldung Erstimpfung“ steht, klingelte ständig das Telefon. Es gebe Anfragen aus ganz Hamburg, sagt eine Mitarbeiterin.
Obwohl die Möglichkeit, in der Klinik am Eißendorfer Pferdeweg auch Zwölf- bis 15-Jährige gegen Corona impfen zu lassen, bislang nicht groß beworben wurde, hat sie sich offensichtlich schnell herumgesprochen. Das zeigt: Die Nachfrage ist auch in Hamburg da – unter Eltern wie Kindern. Letztere werden im AKH ausdrücklich selbst gefragt, ob sie sich wirklich impfen lassen wollen, und viele antworten teils überschwänglich mit „Ja!“
Hamburger Senat vorsichtig beim Impfen von Kindern
Der Hamburger Senat war beim Thema Impfen von Minderjährigen dagegen bislang sehr zurückhaltend. Verwiesen wurde auch hier stets auf die Ständige Impfkommission. An deren Empfehlung halte man sich, hatte unter anderem Schulsenator Ties Rabe (SPD) gesagt und betont, er maße sich nicht an, schlauer als die Experten zu sein. Auch auf der Corona-Homepage der Stadt wurde gestern noch erklärt, dass keine Impfungen von Schülern geplant seien.
Bevor Sozial- und Gesundheitssenatorin Melanie Leonhard (SPD) und ihre Länder-Kollegen am späten Montagnachmittag per Videoschalte über eine generelle Änderung in dieser Frage berieten, bedeutete das im Ergebnis: Im zentralen Impfzentrum der Stadt in den Messehallen wurden Minderjährige lange gar nicht geimpft, seit Kurzem aber immerhin 16- und 17-Jährige. Den impfwilligen Zwölf- bis 15-Jährigen und ihren Eltern wurde empfohlen, sich an ihre Haus- und Kinderärzte zu wenden.
Hamburg bleibt hinter Schleswig-Holstein zurück
Diese Zurückhaltung spiegelt sich auch in den Impfquoten: Während in Schleswig-Holstein 25,3 Prozent der Zwölf- bis 17-Jährigen mindestens einmal geimpft sind und in Niedersachsen sogar 27,7 Prozent, sind es in Hamburg nur 16,4 Prozent. Da die beiden Nachbarländer der Hansestadt mit der Impfung von Jugendlichen erst kürzlich in die Offensive gegangen sind, ist der Unterschied bei den vollständig Geimpften bislang noch geringer: Hier sind es in Schleswig-Holstein 10,4 Prozent der Zwölf- bis 17-Jährigen, in Niedersachsen 9,0 Prozent und in Hamburg 7,9.
„Hamburg muss Tempo bei der Impfung von Jugendlichen machen“, forderte die CDU-Fraktion in der Bürgerschaft daher. „Gerade in der Altersgruppe der 16- bis 34-Jährigen steigt die Inzidenz aktuell an. Sie sind sehr mobil und wurden bislang kaum geimpft“, sagte die Bildungsexpertin Birgit Stöver. „Aber auch Hamburgs Schülerinnen und Schüler ab zwölf Jahren sollte ein entsprechendes Impfangebot unterbreitet werden. Viele Hamburger Eltern wünschen sich die Impfung und können dies auch sehr gut eigenverantwortlich entscheiden.“
Impfungen für Kinder in Asklepios Kliniken Harburg
Tatsächlich wird auch Hamburg seine Haltung nun ändern. Nachdem die Gesundheitsministerkonferenz am Montagabend beschloss, nun auch Zwölf- bis 15-Jährigen flächendeckend ein Impfangebot zu machen, sollen diese Aufgabe unter anderem vier Krankenhäuser übernehmen, die als Außenstellen des Impfzentrums fungieren. In den Asklepios Kliniken Harburg und Nord sollen nun auch offiziell Kinder ab zwölf Jahren geimpft werden können, und im Bethesda Krankenhaus Bergedorf und im Agaplesion Diakonie Klinikum in Eimsbüttel Kinder ab 15 Jahren. Unter Telefon 116 117 werden nicht nur Termine vergeben, sondern auch Kontakte zu mehr als 30 Arztpraxen hergestellt, die ebenfalls Kinder impfen.
Hamburger Kinderärzte zeigen sich noch vorsichtig: „Bei gesunden Zwölf- bis 15-Jährigen muss es bei Einzelfallentscheidungen bleiben“, sagt Dr. Claudia Haupt, Kinderärztin in Blankenese und Vorsitzende des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ).
„Da geht es auch um Haftungsfragen"
„Ebenso wie die Eltern stehen wir vor einer schwierigen Situation und müssen abwägen. Auf der einen Seite gibt es den dringenden Wunsch, die Kinder vor einer Covid-Infektion zu schützen und ihnen wieder mehr Freiheiten zu ermöglichen. Auf der anderen Seite gibt es keine verlässlichen Aussagen zu Langzeitfolgen wie Long Covid.“
Auch juristisch bewegen sich Kinderärzte laut Dr. Haupt auf dünnem Eis: „Da geht es auch um Haftungsfragen. Was ist, wenn wir eine Impfung empfehlen – und später stellen sich Langzeitfolgen ein?“ Es könne, so Dr. Haupt, fahrlässig sein, sich über die Empfehlung der Stiko hinwegzusetzen.
Ärztinnen appellieren an Erwachsene in Hamburg
Ähnlich sieht es Dr. Annette Lingenauber. Sie hat ihre Praxis in Stellingen und ist ebenfalls im BVKJ engagiert: „Ich sehe es wie Stiko-Chef Mertens. Die Impfung ist kein Lakritzbonbon. Dennoch wird der Druck natürlich von Woche zu Woche höher. Es bleibt Abwägungssache.“
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Beide Ärztinnen appellieren vor allem an impffähige Erwachsene, sich den Piks beim Arzt verabreichen zu lassen: „Wir Erwachsenen müssen dafür sorgen, dass wir die Herdenimmunität erreichen. Das dürfen wir nicht auf die Kinder und Jugendlichen abwälzen!“
Hamburger Familien in der Verantwortung
Thomas Kegat, stellvertretender Vorsitzender der Elternkammer Hamburg, hofft, dass das am Donnerstag beginnende Schuljahr möglichst reibungslos verläuft. Doch auch er sagt: „Für einen möglichst regulären Schulunterricht in Präsenz, den wir uns alle sehr wünschen, sind niedrige Inzidenzen und ein geringes Infektionsgeschehen von großer Bedeutung. Jeder, der sich impfen lässt, tut das nicht nur für sich, sondern auch für die Allgemeinheit. Diese Abwägung muss jeder individuell für sich treffen.“
Kegat betont: „Kein Schüler, keine Schülerin soll sich unter Druck gesetzt fühlen, sich impfen zu lassen.“ Aber jede Familie sei nun in der Verantwortung, sich mit dem Thema zu beschäftigen.