Hamburg. Wie viele Antikörper im Blut es braucht, wann sie nachlassen und was spezielle Tests nützen: Vier renommierte Experten geben Antworten.

Ob geimpft oder genesen – die Frage, wie viele Antikörper sie nach Impfung oder Corona-Infektion entwickelt haben, treibt viele Hamburger um. Wie wichtig sind Antikörper, wie viele braucht man, wann hat man genug davon, verliert man sie wieder?

Das Abendblatt hat zu diesem komplexen Thema vier Experten befragt: Prof. Dr. med. Julian Schulze zur Wiesch, Leitender Oberarzt der Sektion Infektiologie am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE), Dr. Dirk Heinrich, HNO-Arzt und als ehemaliger Leiter des Impfzentrums in den Messehallen Hamburgs prominentester Impfarzt – sowie die beiden Labormediziner Dr. Thomas Fenner, Facharzt für Mikrobiologie und Laboratoriumsmedizin Infektiologie, Umweltmedizin vom Labor Fenner & Fenner, und Dr. Jens Heidrich, Facharzt für Laboratoriumsmedizin vom Labor Dr. Heidrich & Kollegen.

Ist es sinnvoll, seinen Antikörperstatus bestimmen zu lassen?

Dr. Heinrich: Nein, das macht im Allgemeinen keinen Sinn, zumal noch keine Grenzwerte bekannt sind.

Prof. Dr. Schulze zur Wiesch: Für jemanden, der geimpft ist oder sogar geboostert, der zu keiner Risikopopulation gehört, da würde ich sagen: Nein, auch nicht nach einer Infektion. Eine Impfung bietet Schutz vor einer schweren Erkrankung und einen relativen Schutz vor der Ansteckung, aber wir erlangen mit der Impfung keinesfalls eine sterile Immunität. Die Antikörperantwort ist ein Anzeichen dafür, wie gut die Reaktion nach einer Impfung oder nach einer Infektion ist. Inzwischen hat man gesehen, dass die Antikörper das Omikron-Virus nicht mehr ganz ideal neutralisieren. Nur besondere Labore können sogenannte Neutralisationstests machen, um nicht nur die Höhe, sondern auch die Qualität der Antikörper zu testen. Dafür braucht man eine Viruskultur, gibt die Antikörper dazu, und dann schaut man, wie viel Antikörper braucht man, damit das Virus nicht mehr wächst. Um diese Neutralisation zu bekommen, brauche ich bei Omikron eine zehn- bis zu 40-fach höhere Konzentration.

Mit dem Antikörpertest wird auch die T-Zell-Immunität gar nicht erfasst. Wir erfassen ja nur die Antikörper, die gegen die Wild-Variante gerichtet sind. Wir erfahren nichts über die Qualität des Impfstoffes zur Fähigkeit, das Virus zu neutralisieren oder eine Infektion abzuhalten. Ich bin nicht gegen Antikörpertests, solange man das Gesundheitssystem nicht extra belastet, man sollte im Einzelfall mit dem Arzt besprechen, ob ein Test notwendig ist. Man sollte eben nur wissen, dass das Ergebnis eines solchen Tests vorsichtig zu interpretieren ist.“

Dr. Fenner: Dies kann in einigen Fällen sinnvoll sein, um zu schauen, ob nach einer Impfung noch eine ausreichende Immunität besteht oder geboostert werden sollte.

Dr. Thomas Fenner.
Dr. Thomas Fenner. © Unbekannt | Marcelo Hernandez / FUNKE Foto Services

Dr. Heidrich: „Das Problem ist: Die Gedächtniszellen bzw. die sogenannte zelluläre Immunität, die ja auch durch die Impfung stimuliert wird und einen ganz entscheidenden Faktor in der Virusabwehr darstellt, wird mit der Antikörpermessung nicht miterfasst. Es kann also sein, dass trotz eines niedrigen oder sogar nicht messbaren Titers der Proband dennoch geschützt ist. Studien zeigen allerdings schon, dass Menschen mit einem hohen Antikörpertiter (ein Maß für die Antikörperbildung, d. Red.) mit einer höheren Wahrscheinlichkeit geschützt sind als Menschen mit einer niedrigen Antikörperkonzentration im Blut. Trotzdem ist die Bestimmung der Antikörper nicht immer aussagekräftig, da wir oft nicht wissen, ob die gemessenen Antikörper auch wirklich Antikörper sind, die in der Lage sind, das Virus zu neutralisieren. Man könnte zum Beispiel vermuten, dass nach einer Impfung zwar ein hoher Titer gemessen wird, aber diese gemessenen Antikörper vielleicht sich wie ein Parasit nur an das Coronavirus binden, ohne es an der Zellpenetration und Vermehrung zu hindern.

Wir wissen aber: je höher die Antikörperkonzentration im Blut, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass es sich hierbei um neutralisierende Antikörper handelt, die auch wirklich schützen. Eigentlich bräuchte man immer noch einen Neutralisationstest mit Zellkultur, der das beweist. Diese Analysen sind jedoch sehr teuer und werden nur von wenigen Speziallaboren durchgeführt. Führende Wissenschaftler empfehlen, im Rahmen größerer Stichproben mit mindestens 10.000 Probanden durch umfassende Antikörper-Bestimmungen herauszufinden, wie überhaupt die Immunität in Deutschland ist, hierüber gibt es nämlich nur Schätzungen.

Ich halte die Bestimmung des Antikörpertiters bei chronisch Kranken und insbesondere immunsupprimierten (wenn das körpereigene Abwehrsystem unterdrückt wird, die Red.) und sehr alten Menschen für eine sehr wertvolle Methode, um nach einer Impfung den Schutz abschätzen zu können. Wohlwissend, dass dieser Titer nur eine Orientierung bietet.

Welche Maßeinheiten gibt es beim Antikörpertest?

Dr. Heidrich: Die immunologischen Labor-Methoden sind sehr unterschiedlich, und man hat daher versucht, sie durch Verwendung eines WHO-Referenz-Standards vergleichbar zu machen. Man sollte nur einem Qualitätslabor vertrauen, dass sich streng an die Qualitätsmanagementvorgaben hält und die Einheit BAU/ml verwendet. Die Abkürzung steht für „Binding Antibody Units“/Milliliter Blut.

Gibt es einen Schwellenwert, also einen, bei dem man sagen kann, dass man ausreichend Antikörper hat?

Dr. Heinrich: Genau diesen gibt es eben noch nicht.

Dr. Fenner: Das ist auch von der Art der Antikörper und der angewendeten Methode abhängig – und ob quantitativ oder qualitative Antikörper bestimmt werden.

Dr. Heidrich: In Deutschland gibt es meines Wissens noch keinen behördlich festgelegten Schwellenwert, was eigentlich auch richtig ist, weil die Methoden zu unterschiedlich sind, aber andere Länder haben diesen bereits festgelegt. So gilt man in Österreich ab einem Titer von 500 BAU/ml als ausreichend geschützt. Laut einer „Nature“-Studie, die letzten November veröffentlicht wurde, bedeutet ein Titer von 264 BAU/ml einen Schutz von 80 Prozent gegenüber symptomatischer Corona-Infektion. Als Daumenregel: Titer größer 1000 BAU/ml sollten angestrebt werden, um mit mehr als 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit geschützt zu sein. Aber trotz der Bemühung der WHO, die Methoden vergleichbar zu machen, müssen große Methodenunterschiede immer noch berücksichtigt werden, und die Konzentration bzw. der Titer sollte von einem Fachmann individuell beurteilt werden.

Prof. Dr. Schulze zur Wiesch: Wahrscheinlich ist der Schutz größer, je höher der Antikörpertiter ist, aber es ist ein relativer Wert. Es gibt Antikörper, die gegen das Spike-Protein gerichtet sind und die erhöht sind nach Infektion und Impfung, und es gibt einen zweiten Antikörper, der gegen das Nukleocapsid-Protein gerichtet ist, welches nicht in den in Deutschland zugelassenen Impfstoffen enthalten ist, und der anzeigt, ob man eine Infektion gehabt hat. Dazu muss man sagen, dass ein nukleopositiver Test kein Beweis ist, aber ein Indiz für eine überstandene Infektion. Laut Richtlinien ist der PCR-Test weiterhin der Goldstandard für den Beweis einer Infektion.

Was kann man aus dem Antikörperwert ableiten?

Dr. Dirk Heinrich.
Dr. Dirk Heinrich. © Roland Magunia/Funke Foto Services | Unbekannt

Dr. Heinrich: Nur im Zusammenhang mit der gesamten Krankengeschichte können Ärztinnen und Ärzte aus Antikörperbestimmungen individuelle Rückschlüsse ziehen.

Prof. Dr. Schulze zur Wiesch: Bei der Dreifachimpfung ist man durch T-Zellen-Immunität und die Gedächtnis-B-Zellen langfristig vor schweren Verläufen geschützt. Die Bedeutung der Antikörpertests und weiterer Impfungen werden wir erst im weiteren Verlauf genau verstehen. Um sagen zu können, wie wir uns in der nächsten Welle am besten schützen, braucht es eine breitete Datenlage. Viele Immunsupprimierte entwickeln erst nach mehreren Impfungen Antikörper. Deshalb sind die Impfungen gerade für diese Risikogruppe auch so wichtig.

Wie schnell geht die Zahl der Antikörper zurück? Und ist das altersabhängig?

Dr. Heinrich: Die Immunantwort wird im Laufe der Zeit schwächer. Das hängt von vielen Faktoren ab. Das Alter ist allerdings einer der Wichtigeren.

Prof. Dr. Schulze zur Wiesch: Laut einigen Studien sind die Impftiter nach vier Monaten abgefallen, sodass bei einigen gehäuft wieder Durchbruchinfektionen aufgetreten. Die meisten waren eher mild, aber dieses Signal gibt es. Bei besonderen Risikopopulationen gibt es dieses Signal auch bei der Drittimpfung, sodass die Ständige Impfkommission für ganz besondere Populationen doch eine Viertimpfung in der akuten Pandemie empfiehlt. Es gibt auch ganz genaue Regeln, wann man nach einer Infektion geimpft werden sollte, die sind völlig unabhängig von Antikörpertitern. Hinter dem Wunsch, Antikörper zu messen, stecken oft auch generelle Ängste oder der Wunsch, sich abzusichern, aber es wird ein Sicherheitsbedürfnis mit einer Zahl befriedigt. Das ist so nicht gerechtfertigt.

Wir gehen davon aus, dass nach einer Infektion der Antikörpertiter ähnlich hoch ist wie nach einer Impfung. Wenn jemand Omikron gehabt hat, mag er einen hohen Antikörpertiter haben, wir können aber nicht beurteilen, ob dieser Titer hilft, eine Delta-Infektion abzuwenden. Antikörpertiter fallen parallel ab, beim einen vom höheren Niveau, beim anderen vom niedrigeren, das ist sehr unterschiedlich und lässt sich nicht pauschal sagen.

Dr. Heidrich: Das Immunsystem ist weiterhin nicht gut verstanden: Frauen bilden höhere Titer als Männer, leiden aber auch häufiger unter unerwünschten Impfreaktionen. Im Alter nimmt die Immunreaktion generell ab, aber es gibt hier große individuelle Unterschiede. Das Immunsystem funktioniert dann gut, wenn es regelmäßig und immer wieder stimuliert wird. Daher ist auch die wiederholte gezielte Boosterung das Beste, was man tun kann, um sich zu schützen und hohe Titer zu erreichen. Um diese Frage genau zu beantworten, wären Antikörperverlaufsuntersuchungen im großen Maßstab wünschenswert.

Dr. Jens Heidrich.
Dr. Jens Heidrich. © Roland Magunia/Funke Foto Services | Unbekannt

Dr. Fenner: Das ist individuell sehr unterschiedlich, es gibt aber auch Fälle nach Boosterung bei denen bereits nach drei Monaten ein Abfall der Antikörpertiter festzustellen ist.

Entwickelt man nur Antikörper gegen eine Corona-Variante oder auch gegen Mutanten?

Dr. Heinrich: Es gibt Untersuchungen die zeigen, dass Impfungen eine Immunantwort gegen alle bisherigen Varianten erzeugen, aber eine Omikron-Infektion nicht.

Prof. Dr. med. Julian Schulze zur Wiesch.
Prof. Dr. med. Julian Schulze zur Wiesch. © UKE | Unbekannt

Prof. Dr. Schulze zur Wiesch: Impfstofftiter sind nach der dritten Impfung deutlich höher, und auch die Qualität der Antikörper ist danach deutlich besser. Die Omikron-Infektion allein bildet nicht die optimale Immunität aus, gerade gegen Delta.

Haben Genesene mehr Antikörper als Geimpfte?

Dr. Heinrich: Nicht unbedingt, aber kurz nach einer Infektion häufig.

Wenn man genesen und/oder geimpft/geboostert ist – gibt es eine Reihenfolge, bei der man besonders viele Antikörper entwickelt?

Dr. Heinrich: Ich kenne keine Studie, die das systematisch untersucht hätte.

Sollte man seinen Antikörperstatus kennen, bevor man überlegt, sich ein viertes Mal impfen zu lassen?

Dr. Heinrich: Nein, wenn wie jetzt für die Menschen ab 70 eine zweite Auffrischung empfohlen wird, dann geschieht dies, weil wir aus Studien wissen, dass diese Altersgruppe ein Absinken der Immunantwort ab diesem Zeitpunkt statistisch hat. Das reicht aus.

Dr. Heidrich: Im Einzelfall halte ich die Bestimmung der Antikörper vor der Impfung für sinnvoll, insbesondere wenn man unter sehr starken Nebenwirkungen gelitten hat oder unter bestimmten Erkrankungen leidet. Generell – für alle Gesunden – halte ich diese Maßnahme für übertrieben, auch weil nicht bekannt ist, dass es schädlich ist, in einen hohen Antikörpertiter reinzuimpfen.

Was kostet ein Antikörpertest?

Dr. Fenner: Etwa 25 Euro.

Dr. Heidrich: Der Antikörpertest wird nur in Ausnahmefällen von der Krankenkasse übernommen. Es ist also eine Selbstzahlerleistung, die etwa 20 Euro kostet. Wenn man allerdings zusätzlich wissen möchte, ob die gemessenen Antikörper von einer Impfung oder einer Infektion stammen, muss ein zusätzlicher sogenannter Immunoblot-Test gemacht werden, der etwa 45 Euro zusätzlich kostet. Dieser Test zeigt, ob die im ersten Test gemessenen Antikörper nur gegen Spike-Proteine gerichtet sind oder auch zum Beispiel gegen das Nukleokapsid des Virus, was die natürliche Infektion beweisen würde.

Wo macht man so einen Test?

Dr. Fenner: Aus dem Blut, das in ein akkreditiertes Labor eingeschickt werden kann.

Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick

Dr. Heidrich: Letztlich kann jeder Arzt eine Blutabnahme machen und das Blut dann ins Labor schicken. Auch kann man sich natürlich auch direkt einen Termin im Labor geben lassen. Man sollte nur einem Qualitätslabor vertrauen, dass sich streng an die Qualitätsmanagementvorgaben hält und die Einheit BAU/mL verwendet. Auf jeden Fall rate ich davon ab, angebotenen Tests im Internet zu vertrauen, auch Schnelltests halte ich hier für nicht gut genug.

Wie hat sich die Zahl der Antikörpertests in Hamburg entwickelt?

Dr. Fenner: Darüber gibt es derzeit aus meiner Erkenntnis keine Statistiken, weil diese Diagnostik gegenüber den Schnelltesten und der PCR-Testung eine nachgeordnete Rolle in der Diagnostik hat.

Dr. Heidrich: In unserem Labor wird die Methode sehr zurückhaltend angefordert, auch natürlich weil es keine Kassenleistung ist, aber ich könnte mir denken, dass die Nachfrage deutlich steigt, insbesondere wenn die Methoden noch zuverlässiger werden.