Hamburg. SPD und Grüne wollen die Ärzteversorgung in Hamburg nach Berliner Vorbild ändern. Was Hamburg in der Zukunft plant.
Nicht nur durchschnittliche Einkommen und Lebenserwartung gehen in Hamburgs stark von Stadtteil zu Stadtteil auseinander – auch die Versorgung mit Ärzten ist sehr unterschiedlich. In Quartieren mit hohem Anteil von Geringverdienern oder Empfängern von Sozialleistungen gibt es gerechnet auf die Einwohnerzahl deutlich weniger Ärzte als in wohlhabenderen Teilen der Stadt. Besonders gravierend sind die Probleme bei Haus- oder Kinderärzten, wie kürzlich wieder eine Senatsantwort auf eine Anfrage der Linksfraktion ergab.
SPD und Grüne wollen nun dafür sorgen, dass sich auch in einkommensschwächeren Stadtteilen mehr Haus- und Kinderärzte ansiedeln – und haben dafür einen Antrag in die Bürgerschaft eingebracht. Ziel ist es, Hamburg in kleinere Planungseinheiten zu unterteilen, um die Verteilung der Ärzte besser zu steuern. Bisher gilt Hamburg als ein zusammenhängender Zulassungsbereich. Es wird also nur stadtweit berechnet, ob es genug Ärzte gemessen an der Bevölkerungszahl gibt und ob neue Zulassungen vergeben werden.
Arztpraxen in Hamburg sollen fairer verteilt werden
Das kann dazu führen, dass die Versorgung als gut gilt, obwohl sich beispielsweise Arztpraxen in Eppendorf oder Blankenese ballen, während es auf der Veddel oder in Jenfeld zu wenige gibt. Um ähnlicher Probleme Herr zu werden, hat Berlin die Stadt nun in kleinere Zulassungsgebiete unterteilt. So soll die Niederlassung gezielter gesteuert und die Versorgung in bisher benachteiligten Stadtteilen verbessert werden.
Das streben SPD und Grüne nun auch für Hamburg an – mit ihrem Antrag, der am 30. März in der Bürgerschaft beschlossen werden soll. Darin fordern die Koalitionsfraktionen den Senat auf, zu prüfen, ob eine ähnliche Regelung wie in Berlin auch in Hamburg umsetzbar ist. Rechtlich möglich wäre eine Aufteilung in kleinere Zulassungsbezirke laut Rot-Grün durch eine Ausnahmeregelung im hier maßgeblichen Sozialgesetzbuch V. Dafür sollen laut Antrag zunächst Gespräche mit der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) und den Krankenkassen geführt werden, die im sogenannten Zulassungsausschuss gemeinsam über die Zulassung von Ärzten entscheiden.
Loss fordert gerechten Zugang zu medizinischer Versorgung
„Gerade in Pandemiezeiten hat sich gezeigt, dass eine umfassende hausärztliche Versorgung sowie ausreichend Kinderärztinnen und -ärzte unverzichtbar sind“, sagte SPD-Gesundheitspolitikerin Claudia Loss dem Abendblatt. „Vor allem in sozial benachteiligten Stadtteilen weisen Hamburgerinnen und Hamburger aber immer wieder darauf hin, dass sie keine haus- oder kinderärztliche Versorgung in der Nähe finden können. Mit diesem Umstand dürfen und werden wir uns nicht abfinden.“
Der Hinweis, dass es hamburgweit eine Überversorgung gebe, sei „fehl am Platz, wenn die Lebensrealität in den einzelnen Stadtteilen ganz anders wahrgenommen wird“, so Loss. „Alle Menschen in Hamburg müssen einen Zugang zu erstklassiger medizinischer Versorgung behalten.“
Idee der kleineren Zulassungsbezirke stößt auf Kritik
Das sieht auch Grünen-Gesundheitspolitikerin Gudrun Schittek so. „Wer etwa mit einer Gehhilfe unterwegs ist oder mit einem kranken Kind in die Praxis muss, kann keine langen Wege auf sich nehmen“, so Schittek. „Daher ist es wichtig, eine wohnortnahe Versorgung durch Haus- und Kinderärztinnen und -ärzte sicherzustellen. In Hamburg sind die Praxen aber bislang sehr ungleich über das Stadtgebiet verteilt. Menschen, die über ein geringes Einkommen verfügen, finden häufig in ihrem Wohnumfeld kein ärztliches Angebot oder die wenigen erreichbaren Praxen sind überfüllt.“
Bei KV und Krankenkassen ist man von der Idee kleinerer Zulassungsbezirke nicht überzeugt. „Die Bedarfsplanung ist eingeführt worden, um mit ärztlicher Überversorgung umgehen zu können. Eine steuernde Wirkung kann sie nur entfalten, wenn sich viele Ärztinnen und Ärzte niederlassen wollen“, sagte der Hamburger KV-Vorsitzende Walter Plassmann dem Abendblatt. „Ärzte werden aber zum Mangelberuf und können sich weitgehend frei aussuchen, wo sie arbeiten wollen. Deshalb hat die Bedarfsplanung so gut wie keine steuernde Wirkung mehr. Eine kleinteiligere Einteilung der Bedarfsplanungsregionen ändert an dieser Tatsache überhaupt nichts.“
Kritik auch von den Krankenkassen
Auch bei den Krankenkassen wird der rot-grüne Vorstoß kritisch gesehen. Hamburg habe bundesweit die beste Versorgung mit niedergelassenen Ärzten, sagte Kathrin Herbst, Hamburger Chefin des Ersatzkassenverbandes VDEK. „Um lokale Versorgungsbedarfe zu erfüllen, ist die sogenannte ,Sonderbedarfszulassung‘ aus unserer Sicht das geeignete Instrument zur Verbesserung der Versorgung“, so Herbst. „Einer Aufteilung in viele kleinräumige Planungsbezirke stehen wir kritisch gegenüber.“
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Bei den Sonderzulassungen werde im Zulassungsausschuss „sehr kleinteilig geschaut, ob die Nachfrage durch Patientinnen und Patienten mit den vorhandenen Ärzten nicht mehr erfüllt werden kann“, so Herbst. „Wird dieser Nachweis erfolgreich geführt, ist der Arzt anschließend daran gebunden, sich genau an dem Ort niederzulassen, an dem der Versorgungsengpass entstanden ist.“
Arztpraxen in Hamburg: Plassmann schlägt Lösung vor
Auch Hamburgs KV-Chef Walter Plassmann plädiert für solche Sonderzulassungen. Und er schlägt noch eine weitere mögliche Lösung vor: KV-Praxen. „Wir fordern seit Langem, dass die KV Zulassungen erhalten und damit Versorgungslücken überbrücken kann, bis Ärzte gefunden werden, die den Standort übernehmen wollen“, so Plassmann. „Hierzu bedarf es einer Gesetzesänderung, für die wir aus der Politik viel Zuspruch erhalten haben – sie müsste jetzt nur auch endlich angegangen werden.“