Hamburg. Neue Daten zeigen beunruhigende Entwicklungen. Experten: Sepsis oft unterschätzt. Überlastung von Ärzten und Pflegekräften.
Trotz verschärfter Hygieneregeln aufgrund der Corona-Pandemie ist die Zahl der Patienten mit Krankenhausinfektionen in Hamburg im vergangenen Jahr überdurchschnittlich gestiegen. Außerdem gab es mehr Tote aufgrund dieser „nosokomialen Infektionen“, die zu einer tödlichen Sepsis (Blutvergiftung) oder Lungenentzündung führen können.
Das geht aus Daten der Krankenkasse Barmer hervor, die dem Abendblatt exklusiv vorliegen. Sind es rund 20.000 Patienten in Hamburger Kliniken, die sich jedes Jahr mit einem Keim infizieren, waren es 2020 bis zu 1000 mehr.
Hamburg: Mehr Tote durch Krankenhausinfektionen
Statt rund 500 Menschen, die mit oder an einer Krankenhausinfektion sterben, kamen weitere 40 hinzu. Den Widerspruch zwischen scheinbar verbesserter Hygiene unter Corona-Bedingungen und steigenden Keiminfektion erklärt Barmer-Landeschefin Susanne Klein so: „Gerade während der ersten Welle lagen vor allem ältere Menschen auf den Stationen, die deutlich anfälliger für Infektionen sind. Hinzukommt die hohe Arbeitsbelastung für das Klinikpersonal, dem es besonders in der ersten Welle mitunter auch an Schutzausrüstung mangelte.“
Die Zahlen überraschen auch deshalb, weil es in Hamburg insgesamt um 12,5 Prozent weniger Krankenhausbehandlungen gab. Die deutschlandweite Abnahme lag bei 14 Prozent. Der Rückgang hängt mit der Absage von planbaren Operationen und verunsicherten Patienten zusammen, die aus Angst vor einer Corona-Infektion eine Krankenhausbehandlung seltener in Anspruch nahmen.
Krankenhaus: Ärzte und Pflegekräfte leisten „Enormes“
Die Barmer nimmt die Ärzte und Pflegekräfte in den Krankenhäusern ausdrücklich in Schutz. Sie leisteten „Enormes“ in der Pandemie. Klein sagte: „Das Krankenhauspersonal war während der Corona-Pandemie offenbar so belastet, dass es die hohen erforderlichen Hygienestandards nicht immer vollständig einhalten konnte. Dabei ist das gerade in Pandemiezeiten ein extrem wichtiger Aspekt, der über Leben und Tod entscheiden kann.“
Eine Stichprobe von fünf Millionen Krankenhausfällen habe für die Jahre 2017 bis 2019 ergeben, dass es bei 5,6 Prozent zu einer nosokomialen Infektion komme. Innerhalb weniger Wochen stieg dieser Wert zu Pandemie-Beginn im Jahr 2020 auf 6,8 Prozent. Selbst wenn man die durch Corona bedingte Patientenstruktur (viele Ältere) in den Kliniken aus den Daten herausrechne, sei die Zahl der Keimfälle in der ersten Welle um zehn, in der zweiten um 17,5 Prozent gestiegen.
Barmer fordert für Krankenhäuser Masterplan Hygiene
„Nicht nur aus Sicht der Patientinnen und Patienten muss alles getan werden, um diese Infektionen zu verhindern“, sagte Klein. Die Behandlung von Krankenhauskeimen sei mit insgesamt 1,5 Milliarden Euro deutschlandweit extrem teuer.
Die Barmer fordert einen Masterplan Hygiene und macht sich für eine stärkere Verankerung der Klinikhygiene in der ärztlichen und pflegerischen Ausbildung stark. Nosokomiale Infektionen sollten zudem in den sogenannten ICD-Katalog aufgenommen werden. Das ist die offizielle Klassifikation von Krankheiten. Hygienefachkräfte, so Klein, müssten im Klinikalltag eine größere Rolle spielen, um in Ausnahmesituationen wie der Pandemie aufgrund der von ihnen gesetzten Standards nicht zusätzlichen Stress auszulösen.
Hygienestandards sollen häufiger kontrolliert werden
Weiterhin solle der Öffentliche Gesundheitsdienst die Hygienestandards häufiger unangekündigt kontrollieren. Die häufigsten Arten der im Krankenhaus erworbenen Infektionen sind Wundentzündungen nach Operationen (24 Prozent), Harnwegsinfektionen (23) und Infektionen der unteren Atemwege (22).
Prof. Konrad Reinhart, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Sepsis-Stiftung, betonte im Ersatzkassenmagazin, dass die Gefahr einer Sepsis nach wie vor unterschätzt werde. „Leider ist heute kaum bekannt, dass Sepsis ein Notfall ist wie zum Beispiel ein Schlaganfall.“ Sie sei häufiger als Brust-, Darm- und Prostatakrebs zusammen. Die Haupttodesursache bei Covid-19 sei eine virale Sepsis. „Auch die Covid-Langzeitfolgen gleichen denen einer Sepsis.“
Bündnis fordert Regierung zum Handeln auf
In einem „Aktionsbündnis Patientensicherheit“ haben Ärzte, Pflegefachleute und Prominente die künftige Bundesregierung aufgefordert, Sepsis und andere vermeidbare Todesursachen mit größerer Anstrengung zu bekämpfen. Vor allem bei Herzinfarkt und Sepsis sei das eigentlich hochgelobte deutsche Gesundheitssystem nur Mittelmaß.
„Die Befürchtung ist immer, dass Reformen viel Geld kosten, das wir nach der Pandemie nicht mehr haben. Dem möchten wir entgegenhalten: Nichts ist teurer als unzureichende Patientensicherheit!“, sagte Dr. Ruth Hecker, Vorsitzende des Aktionsbündnis Patientensicherheit (APS). So sollten unter anderem im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) aus Krankenkasse, Krankenhäusern und Ärzten die Patientenvertreter ein stärkeres Mitbestimmungsrecht erhalten.
Senat solle sich auch anderen Krankheiten widmen
Auch die Bürgerschaft beschäftigt sich mit dem Thema Sepsis. Erst im September hatte sie einen Antrag der CDU-Fraktion zur weiteren Beratung in den Gesundheitsausschuss überwiesen. In diesem wird der Senat aufgefordert, neben der Corona-Pandemie auch anderen lebensbedrohlichen Krankheiten wie der Blutvergiftung mehr Aufmerksamkeit zu widmen.
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Parallel hatte auch die Ärztekammer darauf hingewiesen, dass bundesweit jährlich rund 75.000 Menschen an einer Sepsis versterben, darunter allein in Hamburg „mindestens 1600“. „Irritierend ist, dass die deutsche Sepsis-Stiftung schon seit Jahrzehnten vor den Folgen warnt, bisher aber viel zu wenig geschehen ist“, sagte Andreas Grutzeck, sozialpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion.
Krankenhäuser sollen Methoden prüfen
Dieser forderte, der Senat solle mit den Akteuren im Gesundheitswesen beraten, inwiefern eine Verbesserung der Weiterbildung in allen Sektoren des Gesundheitswesens notwendig und möglich sei und inwiefern eine Anpassung der Ausbildungskataloge geboten sei. Zweitens müsse mit den Krankenhäusern geprüft werden, welche verbesserten Methoden zur Diagnostik etabliert werden könnten.