Hamburg. Die Infektionszahlen bei Kindern nehmen wieder zu. Was Professor Philippe Stock vom AKK der Politik jetzt rät – und wovor er warnt.

Prof. Philippe Stock ist Leitender Arzt der Pädiatrie und stellvertretender ärztlicher Direktor des Altonaer Kinderkrankenhaus (AKK). Als Kinder-Lungenfacharzt beschäftigt er sich intensiv mit dem Coronavirus im Kindesalter und gehört unter anderem einem Beratungsgremium des Bürgermeisters an.

Die Diskussion der vergangenen Tage um die Abschaffung der Maskenpflicht an Schulen hat dem Mediziner Sorge bereitet. Noch sei es zu früh für einen solchen Schritt, sagt Stock. Im Abendblatt-Interview erklärt der Kinderarzt, warum er so denkt.

Hamburger Abendblatt: Wie beurteilen Sie die derzeitige Corona-Lage bei Kindern?

Philippe Stock: Ich würde die Situation als stabil bezeichnen. Wir haben schon seit Wochen immer etwa vier bis fünf Kinder hier in der Klinik in Behandlung. Nach wie vor haben wir viele positive Abstriche im ambulanten Bereich. In den letzten Tagen sehen wir wieder einen leichten Anstieg an positiven Abstrichen. Ob das kurzfristige Schwankungen sind oder einem Trend entspricht, kann ich noch nicht sagen. Insgesamt bereiten mir die steigenden Fallzahlen in Deutschland und Hamburg ein wenig Sorge. Zumal sie mit Bestrebungen einhergehen, die Beschränkungen immer weiter aufzuheben – das passt für mich nicht zusammen.

Wie sind Hamburgs Kinder durch die Omikron-Welle gekommen?

Stock: Wir hatten hohe Fallzahlen bei den Kindern, haben aber zum Glück keine Zunahme bei den schweren Erkrankungen gesehen. Es ist sogar so, dass wir eher weniger PIMS-Fälle haben. Wir können noch nicht einschätzen, ob und wie häufig die Omikron-Variante das PIMS-Syndrom auslöst. Zur Erklärung: PIMS ist das „Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome“, eine schwere Entzündungsreaktion des Körpers nach einer Infektion mit dem Coronavirus. Das heißt aber nicht, dass es nicht bald eine andere Variante geben könnte, die uns wieder mehr Sorgen bereiten muss, was die Kinder betrifft. Generell ist zu sagen: je geringer die Impfquote in der Bevölkerung, desto größer die Gefahr für neue gefährliche Varianten.

Wie ist das Interesse an Impfungen derzeit?

Stock: Die Bereitschaft für Impfungen nimmt deutlich ab, in allen Altersklassen. Das zeigt sich auch an dem geringen Interesse für den Novavax-Impfstoff, von dem sich viele so viel versprochen hatten. Das passt allgemein zur warmen Jahreszeit und der Tatsache, dass die Menschen irgendwie davon ausgehen, dass die Pandemie nun zu Ende ist. Diese Einstellung ist aber aus meiner Sicht höchst gefährlich. Genau das führt dazu, dass wir im Herbst eine neue Welle erleben werden, vielleicht sogar erstmals eine im Sommer.

Das heißt, sie befürworten nach wie vor, möglichst viele Kinder impfen zu lassen?

Stock: Prinzipiell vertrete ich die Auffassung, je mehr Menschen geimpft sind, desto besser ist es. Egal ob Kind oder Erwachsener. Das ist wichtig vor allem in Hinblick auf weitere Wellen im Herbst oder sogar im Sommer. Aber zumindest wäre es ratsam, sich an die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (Stiko) zu halten. Würden wir das tun, wäre schon mal ein großer Schritt in die richtige Richtung gemacht.

Für Hamburg wurde das Ende der Test- und Maskenpflicht an den Schulen diskutiert. Wie haben sie die Diskussion verfolgt? Und wie stehen Sie zu dem Thema?

Stock: Mir hat diese Diskussion Sorgen bereitet, denn sie kam ehrlich gesagt zum komplett falschen Zeitpunkt, aus verschiedenen Gründen. Erstens, weil nach den Ferien in den vergangenen zwei Jahren immer wieder die Infektionszahlen nach oben gegangen sind. Zweitens, weil die Zahlen immer zuerst an den Schulen in die Höhe schnellten. Wenn man dann noch in Betracht zieht, dass viele aus Österreich und der Schweiz zurückkommen, wo gerade alle Beschränkungen aufgehoben werden und die Zahlen nach oben schnellen, dann sollten wir uns in Hamburg über die Infektionszahlen Gedanken machen. Deshalb sollte auf jeden Fall zumindest in den ersten zwei Wochen nach den Ferien an den bewährten Mitteln wie Testen und Masken festgehalten werden. Und deshalb bin ich wirklich dankbar, dass die Behörde nun genau so entschieden hat.

Wie sollte es nach dem 3. April weitergehen, bis dahin gilt ja die Maskenpflicht weiter?

Stock:  Das kann man jetzt noch nicht sicher sagen. Man muss nach den Ferien die Lage bewerten und entscheiden, was zu tun ist. Sollten dann die Zahlen wieder sinken, kann man sicherlich auch auf das Testen oder die Masken verzichten.

Welches Mittel ist Ihrer Meinung nach an den Schulen das bessere für die Bekämpfung der Pandemie?

Stock:  Die Masken sind das beste Mittel, um Infektionen zu verhindern. Deshalb sehe ich keinen Grund, sie abzuschaffen.

Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick

Es wird ja bei Kindern vielfach damit argumentiert, dass die psychischen Schäden groß seien und deshalb die Beschränkungen abgeschafft werden müssten. Wie sehen Sie das?

Stock:  Ich kenne die Argumentation, kann ihr aber zumindest beim Thema Masken und Testen in Zeiten derart hoher Infektionszahlen nicht folgen. Wir erleben immer wieder, wie gut sich Kinder auf neue Bedingungen einstellen können. Das ist wie mit einem Gips. Kinder nehmen einen eingegipsten Arm deutlich gelassener, gewöhnen sich schneller daran als Erwachsene. Ähnliches erleben wir bei den Masken. Es gehört zum Alltag der Kinder, es scheint nur die wenigsten nachhaltig zu stören. Klar ist aber, das kann nicht endlos so weitergehen. Und klar ist auch, dass weitere Beschränkungen nicht nur Kinder betreffen dürfen, während für Erwachsene die Einschränkungen entfallen – das wäre nicht gerecht. Aber zwei Wochen Maskenpflicht mehr oder weniger machen meiner Einschätzung nach den Kindern nichts aus – sie bringen aber enorm viel für die Entwicklung der Pandemie.