Hamburg. Rund 2000 Länder-Mitarbeiter fordern beim ersten Warnstreik in Hamburg höhere Löhne. Ver.di-Chefin spricht von „Riesenerfolg“.

Schon von weitem sieht man Hunderte von Menschen, die sich vor dem Gewerkschaftshaus am Besenbinderhof versammelt haben. Sie schwingen Fahnen mit dem Schriftzug „Ver.di“ oder „GEW“ und tragen weiße Überzüge, auf denen in roter Schrift geschrieben steht: „Wir sind es wert“.

Die Protestler folgen einem Aufruf der Gewerkschaften, die im Streit um einen neuen Tarifvertrag für die Beschäftigten der Länder an diesem Mittwoch unter anderem die Mitarbeiter der Bezirksämter, der Schulen, der Hochschulen, der Sozialbehörde und der Landesbetriebe zu einem ganztägigen Warnstreik aufgefordert haben. Rund 2000 Teilnehmer seien dabei, berichtet die stellvertretende Hamburger Ver.di-Chefin Sieglinde Frieß am Nachmittag. „Das ist ein Riesenerfolg und zeigt, wie die Stimmung bei den Kollegen ist.“

Streik in Hamburg: 70.000 Beschäftigte betroffen

Den Frust der Beschäftigten spricht Frieß zuvor in ihrer Rede an: „Wir brauchen mehr Personal, mehr an Anerkennung, mehr an besseren Arbeitsbedingungen – und wir brauchen auch mehr an Geld!” Die Zuhörenden stimmen lauthals zu mit Trillerpfeifen, Pfiffen und Rasseln. Insgesamt sind in Hamburg rund 70.000 Beschäftigte von der Tarifrunde betroffen, darunter etwa 30.000 Angestellte und rund 40.000 Beamte.

Ver.di fordert eine Erhöhung der Entgelte um fünf Prozent, mindestens aber um 150 Euro monatlich sowie eine Lohnerhöhung für Auszubildende, Studierende und Praktikanten um 100 Euro monatlich – bei einer Laufzeit von zwölf Monaten. Auch die Einbindung von studentischen und wissenschaftlichen Hilfskräften in den Tarifvertrag ist ein Thema. Die Verhandlungen sollen kommende Woche fortgesetzt werden.

Schulische Therapeuten fühlen sich benachteiligt

Nele Schmidt und Sabine Möhring sind schulische Therapeuten und arbeiten an der Sonderschule Elfenwiese in Marmstorf. Sie hätten beide einen besonders hohen Arbeitsaufwand, da es an Personal mangele: „Unsere wichtigste Forderung ist, dass wir gleich bezahlt werden wie unsere Erzieherkollegen“, sagt Nele Schmidt und erzählt: „Das war jahrelang gleich. Aber dann wurden die Erzieher in der letzten Tarifverhandlungen höhergestuft, und wir wurden vergessen.“ Sie würden alles dafür tun, dass sich das ändert, sagt Sabine Möhring: „Es kann nicht sein, dass es weiterhin so eine Ungerechtigkeit gibt.“

Anja Kortemeyer-Runde ist Verwaltungsangestellte in einem Schulbüro und kämpft dagegen, in dem Tarifvertrag runtergestuft zu werden. Sie erzählt, dass geplant sei, einzelne Arbeitsschritte in verschiedene Bereiche „aufzudröseln“. Wenn man in dem einen Tarifvertragsbereich mehr als die Hälfte arbeite, bekommt man das Gehalt nur für diesen. „Wir machen exakt die gleiche Arbeit, aber wir bekommen weniger Geld“, kritisiert sie.

„Wir sollten halt ackern, ackern und ackern"

„Sie suchen einen Weg, um Personalkosten zu sparen.“ Dabei hätten die Angestellten coronabedingt viele weitere Aufgaben übernommen, etwa im Bereich Hygieneschutz, so Anja Kortemeyer-Runde. „Wenn das jetzt das Dankeschön ist, dass sie uns einfach runterstufen, das macht uns einfach sauer“, sagt sie und hebt ihr Plakat noch etwas höher.

Bilel Benassi ist Sekundarschullehrer und arbeitet in einer Stadtteilschule. Er fordert faire Arbeitsbedingungen und die Erhöhung des Gehalts: „Ich bin mit 75 Prozent angestellt und habe drei Klassen, was eigentlich nicht tragbar ist.“ Der Frust komme daher, dass sich die „Leitung mehr Einsatz wünscht, aber das wollen wir halt nicht bringen, da wir nicht die nötigen Gehälter bekommen. Deswegen müssen wir die Chance hier nutzen.“ Besonders durch die Coronapandemie „wurde uns deutlich, wie wichtig wir sind, aber wie wenig Wert der Staat darauf legt. Wir sollten halt ackern, ackern und ackern, aber es kommt nichts zurück.“

Protestzug endete vor Finanzbehörde am Gänsemarkt

Der Protestzug durch die Innenstadt endet am Nachmittag mit einer Kundgebung vor der Finanzbehörde am Gänsemarkt. Gewerkschaftsvertreter wollen dort das Gespräch mit Finanzsenator Andreas Dresssel (SPD) suchen. Dieser ist als stellvertretender Vorsitzender der Tarifgemeinschaft der Länder an den Verhandlungen auf Bundesebene beteiligt.

Im Abendblatt-Interview hatte Dressel das Gespräch zugesagt, aber auch klargestellt, dass die Ver.di-Forderungen aus seiner Sicht „eindeutig zu hoch“ seien: „In einer Phase, in der wir durch die Corona-Krise sehr stark belastet sind und das in den nächsten Jahren auch noch sein werden, geht das über die Leistungsfähigkeit der Länder weit hinaus.“ Bundesweite Mehrausgaben von rund 7,5 Milliarden Euro wären die Folge, davon allein 250 bis 300 Millionen Euro in Hamburg – pro Jahr.

Schulbetrieb weitgehend unbeeinträchtigt

In den betroffenen Behörden und Landesbetrieben waren die Auswirkungen des Streiks nur gering. Der Schulbetrieb sei „ohne größere Beeinträchtigungen geblieben“, teilte die Schulbehörde mit. Ohnehin seien nur rund zehn Prozent des schulischen Personals streikberechtigt, da sie keine Beamten sind. Das betreffe vor allem Vorschul-Lehrkräfte und Schulbüros sowie das Verwaltungspersonal in der Behörde.

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Aus der Verkehrsbehörde hieß es, dass zwar alle Standorte des Landesbetriebs Verkehr mit seinen Zulassungsstellen geöffnet hatten, es aber zu Verzögerungen gekommen sei. Die Sozialbehörde meldete keine Einschränkungen. In den Kundenzentren gab es „lediglich vereinzelte Einschränkungen in Form von etwas längeren Wartezeiten und längeren Bearbeitungszeiten“, teilte das federführende Bezirksamt Harburg mit.

Warnstreik sollte Hamburger Betriebe nicht stilllegen

Betriebe stillzulegen, sei bei diesem ersten Warnstreik auch nicht das Ziel gewesen, sagte Ver.di-Vertreterin Frieß. An einer Stelle sei das aber doch gelungen: Die Reinigungskräfte der Finanzbehörde seien geschlossen zur Kundgebung erschienen. Frieß: „Die Behörde wurde heute nicht gereinigt – so hat auch der Finanzsenator den Streik am eigenen Leib gespürt.“