Hamburg. „Wir geben 27.000 Euro aus, um einen einzigen Infizierten zu finden.“ Laut RKI ist fast jeder zweite positive Befund falsch.
Millionenausgaben, verschwindend wenige positive Tests und viele falsche Ergebnisse: Die Corona-Schnelltests liefern nicht das, was sie sollen. Hamburgs niedergelassene Ärzte sprechen sich deshalb für ein Ende der Corona-Testpflicht aus. Der Vorstandschef der Kassenärztlichen Vereinigung (KV), Walter Plassmann, sagte dem Abendblatt: Die Inzidenz gehe zurück, die Impfquote steige, es gebe überhaupt keine „Superspreader“-Events. „Wir haben im Mai sage und schreibe 27.000 Euro ausgegeben, um einen einzigen Infizierten zu finden. Mit sinkender Inzidenz werden diese Kosten immer größer. Das ist nicht mehr zu verantworten.“
Plassmann sagte, die millionenfach genutzten Schnelltests böten keine Verlässlichkeit während der Corona-Lockerungen. „Die breite Testpflicht gaukelt diese Sicherheit nur vor. Die Forscher gehen fest davon aus, dass die Zahl der falsch-negativen Ergebnisse genauso hoch ist wie die Zahl der falsch-positiven.“ Bis Ende Mai hat die KV rund 35 Millionen Euro an Hamburger Testzentren ausgezahlt. Im Mai seien 740 der 1,1 Millionen Tests bestätigt positiv gewesen, eine Quote von 0,06 Prozent.
Mitarbeitern gekündigt: Corona-Testpflicht in Hamburg vor dem Aus?
Das Robert-Koch-Institut hat ermittelt, dass knapp jeder zweite positive Schnelltest falsch ist. Das decke sich mit den Hamburger Zahlen, so der KV-Chef. Und weil die Kassenärzte aufgrund einer neuen Testverordnung aus dem Bundesgesundheitsministerium gezwungen sind, alle Abrechnungen der Schnelltestzentren im Detail zu prüfen, stellen sie bald die Zahlungen ein. Ende Juni werde das letzte Geld für Mai überwiesen, kündigte Plassmann an.
Große Testzentrumsbetreiber wie Moritz Fürste sagen, sie hätten allen Mitarbeitern zu Mitte Juli gekündigt. „Wir haben keine Planungssicherheit, wie es im Juli weitergeht, so Fürste. Plassmann sagte: Solange die KV für die Richtigkeit der Abrechnungen hafte, die sie aufgrund fehlenden Personals, mangelnder Zeit und ohne Mittel nicht prüfen könne, „wird kein Geld fließen“.
Schnelltests: Wie viele Betrüger gibt es?
Verschwinden die Zentren für Schnelltests auf das Coronavirus wieder so schnell, wie sie entstanden sind? Dazu wagt niemand eine seriöse Vorhersage. Aber dass ein Großanbieter wie der frühere Hockey-Olympiasieger Moritz Fürste vorsorglich zum 15. Juli den Mitarbeitern kündigen musste, zeigt die fehlende Planbarkeit. Wer zahlt künftig für die Tests? Gibt es eine so ausgeprägte Pflicht zu Tests, wie sie bislang besteht, zum Beispiel in Restaurants, bei Kulturveranstaltungen, für Fitnessstudios und Friseure?
Während sich die Anbieter von Testzentren auf Veranstaltungen und womöglich touristische Angebote konzentrieren könnten, läuft die Debatte um Tests, Inzidenzen, Kosten und drohende Corona-Wellen heiß. Der KV-Vorstandsvorsitzende Plassmann zahlt das Geld an die Testzentren quasi nur im Auftrag aus. Eine richtige rechtliche oder Geschäftsbeziehung hat er mit ihren Betreibern nicht. Muss er nun alle Abrechnungen prüfen, wie es die neue Testverordnung des Bundes vorsieht, haftet er am Ende persönlich für die Richtigkeit und das ausgezahlte Geld.
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Hamburgs Sozialbehörde sieht Testzentren als "Brückentechnologie"
Deshalb stoppt die KV die Auszahlungen vorerst. Auch wenn es nur wenige Betrüger gibt, lassen sich diese nur schwer überführen. Möglicherweise findet die Bundesregierung einen anderen Weg, die Testzentren für ihre Leistung zu bezahlen. Plassmann geht aber weiter und fordert ein Ende der Testpflicht: Sogenannte „Superspreader-Events“, bei denen sich viele Menschen infizierten, seien in den vergangenen Wochen nicht mehr bekannt geworden. „Und sie sind angesichts der niedrigen Inzidenzen und des weit unter 1 befindlichen R-Faktors (wie viele ein Infizierter ansteckt; die Red.) auch nicht zu erwarten. Da macht sich zudem das Impfen bemerkbar, mit dem solche ,Wellen‘ gebrochen werden, bevor sie sich aufbauen können.“
Auch die Sozialbehörde bezeichnet die Schnelltests als eine „Brückentechnologie“, die derzeit (noch) die Öffnungsschritte absichere. Rund 330 Testzentren gebe es in der Stadt. Und für immerhin 552.000 Hamburger, die noch nicht vollständig geimpft oder genesen sind, seien die Tests für Aktivitäten erforderlich. Aber klar sei auch: „Im selben Maß, wie die Impfquote steigt, werden die Tests weniger erforderlich sein. Das Testangebot muss sicherlich nicht langfristig in dem großen Umfang wie bislang vorgehalten werden“, so Behördensprecher Martin Helfrich.
Corona: Wer verdächtige Symptome hat, geht eher zum Arzt
Durch den Rückzug einzelner Anbieter könnte es bei nachlassender Nachfrage quasi „selbstreguliert“ zu einer Verringerung des Angebotes kommen. „Eine Schließung seitens der Stadt beziehungsweise durch den Bundesverordnungsgeber ist derzeit noch nicht vorgesehen“, so Helfrich weiter. Die Schnelltestzentren hätten für die vergangene Woche mindestens rund 302.000 durchgeführte Tests gemeldet, wobei Ärzte und Apotheken dabei nicht eingerechnet seien.
Insgesamt seien 142 Tests positiv gewesen, was einer Quote von 0,05 Prozent entspreche. Wie viele dieser Tests sich bei der obligatorischen Laborprüfung als positiv herausgestellt haben, sei nicht bekannt. „Erfahrungsgemäß dürfte die Zahl derzeit erheblich geringer sein“, so Helfrich. Wer Symptome hat, geht ohnehin eher zum Arzt. Die Hamburger Labore hatten nach Angaben der KV im Mai eine Trefferquote von 3,8 Prozent, die Notfallpraxen von 18 Prozent und der Arztruf Hamburg (116 117) von 31,3 Prozent.
Plassmann sagte: „Eine Testpflicht macht nur da Sinn, wo das Ansteckungsrisiko deutlich über dem Normalmaß liegt. Das kann ich mir allenfalls vorstellen bei Zusammenkünften in Innenräumen, wenn dabei eine bestimmte Zahl an Menschen überschritten wird oder es sehr ungünstige Luftbedingungen gibt, also feuchte und stickige Räume, beispielsweise Bars, Diskotheken und Gyms.“
"Wenn man die Testpflicht abschafft, müsste man alles wieder möglich machen"
Testzentrums-Betreiber Axel Strehlitz („Corona Freepass“) hält die Debatte über genauere Prüfungen der Abrechnungen für richtig und wichtig. Seiner Meinung nach sollte die KV zunächst Abschläge auszahlen und dann zeitnah gegebenenfalls nachjustieren. Sein Unternehmen habe sicherheitshalber alle Belege immer mit eingereicht, damit keine offenen Fragen blieben, die unter Umständen in einigen Jahren rückblickend schwerer zu beantworten seien.
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Strehlitz sagt: „Wenn man die Testpflicht abschafft, müsste man im selben Schritt ja alles wieder möglich machen und öffnen.“ Insbesondere mit Blick auf die angespannte Lage in England hält er ein solches Vorgehen derzeit nicht für denkbar. Aber: „Wir haben in der Pandemie auch gelernt, dass die Lage immer dynamisch bleibt und dass man auch mit Überraschungen rechnen muss.“