Hamburg. Die Dame stürzte im Bahnhof Blankenese und leidet noch heute unter den Folgen. Die Deutsche Bahn weist die Schuldzuweisungen zurück.

Im November 2019 veränderte sich das Leben von Hannelore Stössinger drastisch. Die vitale Seniorin stürzte im Bahnhof Blankenese auf dem Weg zum Bahnsteig eine Treppe hinunter und verletzte sich schwer. Bei dem Versuch, sich noch im Fallen am Geländer festzuhalten, verhakte sich ihr rechter Arm zwischen Handlauf und Wand, wobei der Sturz nur abgebremst, aber nicht gestoppt werden konnte. Das Ergebnis: mehrere Brüche und eine ausgekugelte Schulter.

Ein Notarzt brachte die heute 81-Jährige ins Krankenhaus, wo sie behandelt wurde. Es folgten sechs Wochen mit intensiver häuslicher Betreuung, in denen sie mühsam trainieren musste, ihren Arm wieder wie vorher zu gebrauchen.

Hamburgerin verklagt Deutsch Bahn AG

Doch heute, anderthalb Jahre später, ist Stössinger behindert. Sie kann den Arm nur eingeschränkt nach oben und vorne ausstrecken und zum Beispiel nichts aus einem aufgehängten Geschirrschrank nehmen. Immer sei da dann eine Blockade – „es geht einfach nicht mehr“. Jetzt hat sich Hannelore Stössinger entschieden, den Konzern zu verklagen, den sie für ihre Misere verantwortlich macht: die Deutsche Bahn AG. Denn Stössinger macht geltend, dass sie auf Taubenfäkalien ausgerutscht sei, nachdem die Bahn ihrer Reinigungspflicht vor Ort nicht ausreichend nachgekommen sei.

In der Tat tummeln sich in dem hallenartigen Blankeneser Hauptgebäude, wie auch in anderen Hamburger Bahnhöfe, schon lange viele Tauben. Seit Jahren nutzen einige der Tiere Vorsprünge in dem Altbau als Nistplätze, wobei sie die Bodenflächen, aber auch Briefkästen und Automaten vor Ort stark verschmutzen. Wie vom Abendblatt bereits berichtet, kommen die Reinigungsteams mit der Beseitigung des Drecks phasenweise kaum hinterher, was bei den Benutzerinnen und Benutzern des Bahnhofs für viel Verdruss sorgt.

Schmerzensgeld gefordert

Aber kann die Bahn tatsächlich für einen einzelnen Sturz verantwortlich gemacht werden? Ja, meint Stössingers Anwalt Felix Machts. In einem Schreiben forderte er im vergangenen Jahr Schmerzensgeld für seine Mandantin und teilte der Bahn mit, dass sich am Unfalltag auf der Treppe laut Stössinger „Blätter, Taubenschiss und vielerlei anderer Unrat“ befunden hätten, „und eine Reinigung schien sehr lange her zu sein“. Die Haftpflicht-Abteilung reagierte ablehnend auf Machts Brief.

 In einem Schreiben vom Juli 2020 aus Frankfurt am Main teilte man dem Anwalt mit, dass der Bahnhof sowie die Bahnsteige und die anderen Anlagen täglich durch ein Reinigungsunternehmen gereinigt würden. Und weiter: „Die DB Station & Service AG kommt somit der ihr obliegenden Verkehrssicherungspflicht nach. Gegenüber Personen oder Tieren, die zwischenzeitlich Verunreinigungen verursachen, ist diese Gesellschaft unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten machtlos.“

Deutsche Bahn sucht Schuld bei Seniorin

In einem weiteren Schreiben teilte Machts der Bahn dann eine Beobachtung Stössingers vom Unfalltag mit. Die Seniorin hatte sich erinnert, dass unmittelbar nach ihr auch noch ein Kind die Treppe hinuntergefallen und „wie ein Ball“ an ihr vorbeigerollt sei. Auch auf diesen Vorstoß reagierte die Bahn ablehnend.

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Es seien „keine weiteren Unfälle wegen vorgeblich ungenügender Reinigung bekannt geworden“, heißt es in dem entsprechenden Schreiben, stattdessen wird Hannelore Stössinger selbst indirekt die Schuld an dem Unfall gegeben: „Der Umstand, dass Ihre Mandantin zu Fall gekommen sein will, während im Laufe der Zeit eine Vielzahl anderer Personen in derselben Lage diese Stelle benutzt haben, ohne Schaden zu nehmen, spricht (...) dafür, dass Ihre Mandantin die im Verkehr erforderliche Eigensorgfalt und Achtsamkeit nicht in der nötigen Weise hat walten lassen.“

Klage am Freitag eingereicht

Das Regionalbüro Hamburg sieht es offenbar genauso. Auf Abendblatt-Anfrage teilte eine Sprecherin knapp mit: „Wir bedauern sehr, dass die betroffene Kundin zu Schaden gekommen ist, können den Aussagen der Kollegen aber nichts hinzufügen.“

Stössinger und Machts wollen das so nicht hinnehmen. „Diese Art der Kommunikation finde ich ungut“, sagt Felix Machts. „Meine Mandantin trifft keineswegs eine Mitschuld an dem Unfall.“ Gemeinsam haben sich die beiden nun entschieden, die Bahn zu verklagen. Die Klage wurde am Freitag eingereicht, dem Vernehmen nach geht es um mehrere Tausend Euro.

Hamburgerin hat „mulmiges Gefühl“ am Bahnhof

Treffen mit Hannelore Stössinger am Ort des Geschehens: Der Bahnhof wirkt an diesem Tag gereinigt, Tauben sind allerdings überall zu sehen. Die gebürtige Rheinländerin, die deutlich jünger wirkt als 81, hat noch heute „ein mulmiges Gefühl“, wenn sie die Treppe betritt, auf der sie zu Fall kam. Noch genau kann sie sich erinnern, dass sie auf einer „glitschigen Masse“ ausrutschte, sagt Stössinger. Mittlerweile habe sie Pflegestufe 1 beantragt, nichts sei mehr so wie vor dem Unfall.

Stössinger sagt von sich, dass sie keine arme Frau sei und auch keine Abzockerin. „Es geht mir nicht ums Geld, es geht mir ums Prinzip.“ Deshalb will sie nun den Kampf gegen den mächtigen Konzern wagen – „David gegen Goliath“, wie sie sagt. Irgendwann habe sie morgens vor dem Spiegel gestanden und zu sich selbst gesagt: „Das kann doch nicht sein, dass du das jetzt auf sich beruhen lässt. Und es darf nicht sein, dass mich da eines Tages jemand aus dem Spiegel anguckt und sagt: Du warst feige.“