Hamburg. Vor 100 Jahren begann das Studierendenwerk Hamburg als kleiner Verein – Selbsthilfe stand im Vordergrund. Über die Meilensteine.
An Kaffee dürfte es nicht gemangelt haben, als sich die Professoren Otto Franke und Alfred Voigt an diesem 12. April 1922 mit fünf Studenten im Hauptgebäude der gerade einmal drei Jahre alten Universität treffen. An diesem Mittwoch sind nämlich auch zwei Herren dabei, die mit der Hochschule direkt nichts zu tun haben: die Kaufleute Alfred Michahelles und Arthur Darboven, der Kaffee-Unternehmer.
Es ist die Gründungsversammlung der „Hamburger Studentenhilfe e. V.“. Ob Darboven Kaffee dabei hat, ist nicht überliefert – wichtiger ist ohnehin sein Scheckbuch. Denn die Studentenhilfe braucht Geld, um die Not der Studierenden lindern zu können. Zwar stammt die große Mehrheit der gut 2000 Studierenden aus bürgerlichen Familien. Doch der Weltkrieg hat viele Familien arm gemacht. Und 1922 nimmt die Inflation immer schlimmere Ausmaße an - viele gehen mit knurrenden Mägen in die Vorlesungen.
Universität Hamburg: Studierendenwerk kein Verein mehr
Was damals aus der Not geboren wird, ist heute ein mittelständisches Unternehmen mit Millionen-Umsätzen und 583 Mitarbeitern: das Studierendenwerk Hamburg. Kein eingetragener Verein mehr, sondern eine „Anstalt Öffentlichen Rechts“, die sich als moderner Dienstleister definiert. Mit gesetzlichem Auftrag und öffentlicher Finanzierung.
Davon können die Protagonisten vor 100 Jahren nur träumen. „Selbsthilfe ist not“, überschreibt der Student Konrad Hendrik seinen Artikel in der Universitätszeitung im Sommer 1922 – in Anlehnung an den Gorch-Fock-Klassiker „Seefahrt ist not“. Darin beschreibt er die immensen Kosten („Morgenkaffee mit Margarinestullen 7 Mark“). Günstiges (und idealerweise auch gutes) Essen ist von Beginn an eine der wichtigsten Aufgaben der Studentenhilfe.
Studentenhilfe von Max Warburg unterstützt
Das ist schon 1919 so, als die Universität gegründet wird. Der Allgemeine Studenten-Ausschuss (AStA) ruft zur Selbsthilfe ein „Wirtschaftsamt“ ins Leben: im Keller der Uni. Dort werden Nachhilfejobs, günstige Zimmer und gebrauchte Bücher vermittelt; ab und zu gibt es auch warme Mahlzeiten. Doch mit den wenigen Spendeneinnahmen gerät man schnell an Grenzen. Und so wird, ähnlich wie an vielen Hochschulen im ganzen Land, die Studentenhilfe gegründet. Übrigens sollen ausdrücklich Religion, Herkunft und Weltanschauung keine Rolle spielen; der Verein solle helfen und strikt neutral bleiben.
Die Kaufmannschaft mit ins Boot zu holen, erweist sich als ausgesprochen gute Idee. Bald gibt es prominente Unterstützer wie den Bankier Max Warburg, Claus Bolten (Chef der Vereinsbank) und Hapag-Chef Wilhelm Cuno, der im November 1922 als parteiloser Wirtschaftsfachmann sogar Reichskanzler wird.
Mit der Universität wächst auch der Verein
Mit dem Geld der Gönner kann nun eine richtige Mensa eröffnet werden: erst am Grindelhof, dann ab 1923 im ehemaligen Central-Hotel (heute steht dort der Fernsehturm). Auch ein erstes Wohnheim wird schon 1922 eingerichtet: In Dulsberg gibt es 120 Plätze – nur für „bedürftige Männer“ mit Empfehlungsschreiben eines Professors. Streber sind da wohl bevorzugt.
Zusammen mit der Uni wächst auch der Verein. 1929 gibt es gut 3000 Studierende, davon rund 20 Prozent Frauen. Die Studentenhilfe hat seit 1927 einen hauptamtlichen Geschäftsführer und wird auch aus Steuermitteln unterstützt. Es entsteht an der Rabenstraße ein „Studentenhaus“ mit Mensa, die bald bis zu 1000 Mahlzeiten täglich ausgibt.
Ochsenius nimmt sich das Leben
Doch die kurzen Blütejahre der Weimarer Republik enden mit der Weltwirtschaftskrise 1929 und dem Aufstieg der Nationalsozialisten. Deren Studentenbund stellt schon 1931 die stärkste Fraktion im AStA und übernimmt 1933 auch das Sagen im „Studentenwerk“, wie der Verein nun heißt. Die Uni wird genauso einheitlich braun wie das ganze Land.
Juden werden ausgeschlossen, Frauen das Studieren schwer gemacht, der Verein wird nach dem Führer-Prinzip geführt: vom fanatischen Judenhasser Hans Ochsenius, der ab 1933 Arbeitslager organisiert, die vor allem der Wehrertüchtigung der Studenten dienen. Spätestens mit Kriegsbeginn führt die Hochschule aber ein Schattendasein, bis der Lehrbetrieb in den letzten Kriegsjahren fast zum Erliegen kommt. Als Deutschland kapituliert, nimmt sich Ochsenius das Leben.
Lage nach Kriegsende katastrophal
Bereits am 15. Mai 1945, nur eine Woche nach Kriegsende, regt sich aber schon wieder das universitäre Leben: ein „Zentral-Ausschuss der Hamburger Studenten“ wird gegründet, schon im Sommer wird die Studentenhilfe wiederbelebt – obwohl der Vorlesungsbetrieb erst am 6. November wieder aufgenommen wird. Zu den rund 3000 Studenten gehören viele Kriegsheimkehrer, die ihr Studium unterbrechen mussten oder gar nicht erst aufnehmen konnten.
War die Lage 1922 angespannt, so ist sie jetzt katastrophal. Die Stadt größtenteils zerstört, zu wenig zu essen, kaum Kohlen zum Heizen. Einer der Studenten dieses ersten Semesters erinnert sich später: „Der Vorlesungsbetrieb war behelfsmäßig auf allerlei halbwegs hergerichtete Gebäude verteilt. Mit etwa zweizweihundert jungen Männern, die meisten von uns in Uniformreste gekleidet, von denen wir die Hoheitsabzeichen entfernt hatten, saß ich auf den Stufen eines Auditoriums im Völkerkundemuseum und wartete auf den Ablauf der akademischen Viertelstunde.“ Der Mann war Helmut Schmidt.
1947 sind 90 Prozent der Studierenden unterernährt
An die Spitze der Studentenhilfe tritt mit Prof. Curt Eisfeld ein Betriebswirt, der versucht, die allergrößte Not zu lindern. In die Mensa dürfen zunächst nur Kriegsverletzte und Studenten, denen ein Arzt Unterernährung attestiert hat. Im einzigen Wohnheim an der Tesdorpfstraße stehen 20 Betten in einem Raum, Schränke oder Stühle gibt es nicht, dafür immerhin eine Glühbirne. Andere Studenten leben noch 1948 in einem feuchten Luftschutzbunker in Hamm. Von 2000 ärztlich untersuchten Studenten sind 90 Prozent offiziell unterernährt, wie aus einem Bericht von 1947 hervorgeht.
Die Wende zum Besseren kommt mit der Währungsreform 1948 und den Wirtschaftswunderjahren. Schon 1952 wird das neue Studentenhaus mit Mensa direkt auf dem Campus eröffnet. Bald gibt es staatliche Zuschüsse für das Essen, neue Wohnheime entstehen. Die Mensa wird mehrfach erweitert, kann aber kaum mit den stark steigenden Studierendenzahlen mitwachsen. 1950 sind es 5000 Studierende, 1960 schon 12.000 und 1970 bereits 29.000. Es gibt regelrechte „Saalschlachten“, wenn sie mittags hoffnungslos überfüllt ist, und auch schon mal einen Streik, wenn die Preise erhöht werden sollen.
Studentenwerk für alle Hamburger Hochschulen zuständig
Das Studentenwerk bekommt indes in den reformfreudigen 1970er-Jahren ein neues Fundament. Es ist nun für alle Hochschulen in Hamburg zuständig, wird per Gesetz zur Anstalt Öffentlichen Rechts, und passt sich weiter den Notwendigkeiten der Zeit an. Es ist für die BaFöG-Mittel zuständig, vergibt Sozialleistungen, berät die Studierenden. Setzt auf Nachhaltigkeit, auf vegetarische und vegane Küche, eröffnet Cafés, kauft einen Foodtruck, eröffnet Kitas für studierende Mütter und Väter.
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Im 100. Jahr des Bestehens betreibt das Studierendenwerk 13 Mensen, 21 Cafés, zwei Pizzerien, besagten Foodtruck, hat 4400 Plätze in 26 Wohnanlagen und fünf Kitas mit 395 Plätzen. Es versteht sich als Dienstleister in allen das Studium betreffenden Fragen.
Universität Hamburg: So geht es weiter
Und wie geht es weiter? Jürgen Allemeyer, seit 2007 Geschäftsführer, sagt: „Mit zunehmender gesellschaftlicher Polarisierungin ,arm und reich‘, aber auch Diversifizierung in kultureller, religiöser und gesellschaftlicher Hinsicht, kommt unserem Leitgedanken, unserer DNA, junge Menschen dabei zu unterstützen, ihren Bildungs- und Lebensweg gehen zu können, eine in der Zukunft zunehmende Bedeutung zu. Konkret materiell, aber auch immateriell durch Beiträge zur sozialen Anerkennung und gegenseitigen Wertschätzung in einer diverser und konflikthafter werdenden Welt.“ Das klingt nach einer Aufgabe.