Hamburg. Der Chefredakteur und Talkshowmoderator von „3 nach 9“ spricht über seine Arbeit zwischen TV und Print – und verlockende Angebote.

Er ist seit mehr als 30 Jahren Moderator der Talkshow „3 nach 9“, im 18.  Jahr Chefredakteur der Wochenzeitung „Die Zeit“, Bestsellerautor und Gastgeber eines Kunst-Podcasts mit Florian Illies. Giovanni di Lorenzo arbeitet jeden Tag, denn „für mich stimmt die Trennung in Arbeit und Leben nicht“. In unserer Reihe „Entscheider treffen Haider“ spricht er über die Bedeutung von Beständigkeit, verlockende Angebote, die härteste Interviewpartnerin – und seine längste Dienstreise. Zu hören unter www.abendblatt.de/entscheider

Das sagt Giovanni di Lorenzo über …

… seine Doppelrolle als TV- und Print-Journalist:

„Auch als ich Moderator beim Jugendfernsehen des Bayerischen Rundfunks war, war immer klar, dass ich einmal Print-Journalist werden will: Ich wollte schreiben und eine Zeitung gestalten. Dass ich nun seit 32 Jahren „3 nach 9“ moderieren darf, freut mich natürlich sehr, aber das Fernsehen war nie mein Hauptberuf.“

… den entscheidenden Unterschied zwischen der Arbeit im Fernsehen und für eine Zeitung:

„In einer Zeitung oder einem Magazin kann man sehr gut die Frage beantworten, was jemand sagt und wofür er steht. Die große Qualität des Fernsehens ist, dass man Antwort auf die Frage geben kann, wie jemand ist. Beide Medien ergänzen sich. Ich habe es immer als große Bereicherung empfunden, sowohl für eine Zeitung als auch für eine Talkshow arbeiten zu können. Fernsehen ist unmittelbarer. Ich habe daraus immer einen großen Nutzen gezogen, weil mich zum Beispiel die Leute am Tag nach einer Sendung auf dem Wochenmarkt ansprechen, um mir zu sagen, was sie gut fanden – und was voll daneben war.“

… die Sprache der Politikerinnen und Politiker:

„Ich beklage immer wieder, dass so wenige die Sprache des Volkes kennen und beherrschen. Die Fähigkeit, mit Menschen zu reden, ist meines Erachtens grund­legend für gute Politik. Denn was heißt es, wenn die, die auf der richtigen Seite stehen, nicht gewinnend kommunizieren können? Es bedeutet, dass man das Feld weit öffnet für Menschen, die verheerenden Schaden anrichten können. Insofern wünsche ich mir mehr Charisma und rhetorische Begabung – wenn sie verantwortungsvoll eingesetzt werden.“

… die Frage, warum Politiker in ihren Formulierungen immer vorsichtiger werden:

„Jeder falsche Satz, jedes falsche Wort kann zu einer unheimlichen Belastung für eine Politikerin oder einen Politiker werden. Deshalb fangen viele an, auf Autopilot zu schalten und nur das zu sagen, was absolut unverdächtig ist. Das nervt natürlich. Aber ich muss zugeben: Wenn ich selbst interviewt werde, lege ich großen Wert auf eine Autorisierung, weil einen jedes falsch gesetzte Wort wochenlang beschäftigt halten kann. Ich finde, Journalisten sollten generell aufhören, jeden Halbsatz aus dem Zusammenhang zu reißen und zu skandalisieren – das ist für die öffentliche Debatte furchtbar.“

… den härtesten Interviewpartner:

„Ich fand es wirklich schwierig, Angela Merkel zu interviewen. Die Zeit war immer knapp bemessen, wir hatten vielleicht 60, 70 Minuten. Man hat ihr dann mühsam etwas abgerungen, was aber im Nachhinein vom ganzen Apparat glatt geschliffen wurde. Das war schade, weil man mit ihr auch ganz anders reden kann.“

… Politiker, die es Journalisten im Interview leicht machen:

„Fast alle Politikerinnen und Politiker der CSU sind in der Regel furchtlos. Vielleicht liegt es am bayerischen Naturell oder am Selbstbewusstsein, wenn man aus einem Bundesland kommt, das fast ausschließlich von der eigenen Partei regiert worden ist. Man hört in solchen Gesprächen Sachen, bei denen man mit den Ohren schlackert – auch heute noch.“

… die Notwendigkeit, Themen aus möglichst vielen Blickwinkeln zu betrachten:

„Wenn man anfängt, nicht mehr mit Menschen zu sprechen, die eine abweichende Meinung haben, ist man ganz schnell in einem Diskussionsraum mit Leuten, die sich nur noch gegenseitig bestätigen. Das ist eine riesige Falle! Zum Beispiel kann man doch Journalisten nicht vorwerfen, dass sie mit Hendrik Streeck oder Alexander Kekulé – der übrigens in seinen Einschätzungen oft richtig lag – über Corona sprechen. Ich fände es gefährlich, wenn einer wie Streeck keine Bühne mehr bekommt, nur weil er sehr früh gesagt hat, dass wir lernen müssen, mit dem Virus zu leben. Dieses Phänomen fällt zusammen mit der Entwicklung, dass wir viel zu schnell Leute brandmarken. Dadurch entledigt man sich der Aufgabe, sich mit dem Argument des anderen auseinanderzusetzen. Ich würde, gut vorbereitet, auch ein Interview mit dem Teufel führen, wenn es ihn denn gäbe!“

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… Talkshows, die seit Jahrzehnten von denselben Moderatoren geleitet werden:

„Fernsehen ist ja immer auch der Appell an das kollektive Gedächtnis, deshalb hilft eine gewisse Beständigkeit beim Personal. Ich finde nicht, dass Medien einen tollen Ertrag davon haben, wenn sie ständig ihre Moderatorinnen oder ihre Chefredakteure auswechseln (und das soll jetzt keine Legitimation meiner langen Amtszeit bei der „Zeit“ sein).“

… Karl Lauterbach und die Talkshows:

„Karl Lauterbach wäre ohne seine Talkshowauftritte niemals Gesundheits­minister geworden. Aber zugleich hat seine beharrliche Botschaft viele Leute beeindruckt: Der Auftritt allein macht es am Ende nicht!“

… Angebote, woanders Chefredakteur zu werden:

„Es stimmt, es gab drei Angebote, bei denen ich mich wirklich gequält habe. Das waren eine Zeitung und ein Magazin in Deutschland sowie eine Offerte aus Italien. Ich bin am Ende bei der „Zeit“ geblieben, weil es ein großes Glück ist, wenn man das, was man gerade tut, gern macht. Wenn man sich wohlfühlt und Verleger hat, die einem vertrauen. Warum dann wechseln? Was ist der Antrieb: mehr Geld, ein paar Zehntausend Exemplare mehr an Auflage? Ist es das wirklich wert?“

… das Angebot aus Italien:

„Darüber habe ich lange nachgedacht, es hätte wirklich seinen Reiz gehabt, in Rom zu leben und zu arbeiten. Aber am Ende musste ich feststellen, dass ich zu Deutsch geworden bin, um in Italien erfolgreich zu sein.“

… abgelehnte Angebote:

„Es ist wie bei allen Entscheidungen im Leben: Sie sind nie zu 100 Prozent richtig. Es gibt immer einen Teil, der weiter in einem arbeitet und sagt: Das wäre auch ganz schön gewesen!“

… seine längste Dienstreise:

„Die längste Dienstreise, die ich in fast 18 Jahren als Chefredakteur der „Zeit“ gemacht habe, waren acht Tage in China. Das war die absolute Ausnahme, denn wenn ich nicht im Urlaub bin, bin ich fast jeden Tag in der Redaktion. Auch während der Pandemie. Meine Hauptaufgabe ist das Gestalten der Zeitung. Ich werde dafür bezahlt, diesem Blatt einen Sound zu geben, wie ein Tonmischer, der an den Reglern sitzt.“

… die Frage, ob Giovanni di Lorenzo ohne Arbeit vorstellbar ist:

„Ich glaube nicht. Denn für mich stimmt die Trennung in Arbeit und Leben nicht. Die Arbeit ist Teil meines Lebens.“