Hamburg. Aufregung um Äußerung von Weltärztebund-Chef Montgomery. Tschentscher für 2G-Modell in ganz Deutschland. Experten für kostenlose Tests.
Der Hamburger Mediziner Frank Ulrich Montgomery hat den Ungeimpften in Deutschland vorgeworfen, die große Mehrheit des Landes zu tyrannisieren. Wörtlich sagte der Chef des Weltärztebundes in der ARD-Sendung „Anne Will“: „Momentan erleben wir eine Tyrannei der Ungeimpften, die über das zwei Drittel der Geimpften bestimmen und uns diese ganzen Maßnahmen aufoktroyieren.“ Er benutze den Begriff Tyrannei bewusst, so Montgomery, weil es in den anderen Ländern, in denen deutlich mehr Menschen geimpft seien als in Deutschland, kaum noch Einschränkungen gebe, „weil man sie nicht mehr braucht“.
Notfalls müsse man bundesweit auf 2G, also die Teilhabe am öffentlichen Leben nur für Geimpfte und Genesene, umstellen, „wenn die Bevölkerung das nicht anders versteht“.
Der erste, der Montgomery unterstützte, war noch in der Sendung Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. Er berichtete, dass die Kliniken in seinem Land in jenen Gegenden volllaufen würden, in denen die Impfquoten niedrig seien. „Das sind übrigens auch die Regionen, in denen es mehr Querdenker, Reichsbürger und andere gibt“, so der CSU-Chef. Und weiter: „Ich verstehe die ganzen Argumente, die gegen das Impfen gebracht werden, einfach nicht.“ Deutschland könne mit „all dem“ – also der Pandemie – schon durch sein.
Corona-Infektionen: Zahlen steigen – Impfquote schwankt erheblich
Die Corona-Zahlen steigen weiter stark an. Am Montag meldete das Robert-Koch-Institut zum ersten Mal eine Sieben-Tage-Inzidenz von mehr als 200 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner. Die Unterschiede zwischen den Bundesländern sind riesig: Während Schleswig-Holstein und Bremen mit 75,5 und 88,8 noch immer unter 100 liegen und Hamburg bei 148,4, kommt Thüringen auf 427,5 und Sachsen gar auf 491,3 – was offensichtlich mit den unterschiedlichen Impfquoten zu tun hat. Während in Bremen schon 81,4 Prozent, in Schleswig-Holstein 74,2 und in Hamburg 72,4 Prozent der Menschen vollständig geimpft sind, meldet Thüringen 62,5 und Sachsen nur 59,3 Prozent.
Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) wirbt energisch dafür, das 2G-Optionsmodell bundesweit einzuführen. Auf die Frage im ZDF, ob dies einem Lockdown für alle Menschen ohne Impfschutz gleichkomme, sagte Tschentscher: „Wir können diese Pandemie nicht immer aus der Sicht der Ungeimpften beurteilen.“
Asklepios-Vorstand: "Zu plakative Aussage"
„Alle, die auf medizinischer Seite arbeiten, sind müde von der Pandemie“, sagte Asklepios-Vorstand Prof. Christoph Herborn dem Abendblatt. Er bezeichnete die Aussage von Weltärztepräsident Montgomery dennoch als zu plakativ. „Es ist eine komplexe Situation. Wir dürfen auch nicht diejenigen vergessen, die sich aus verschiedenen Gründen nicht impfen lassen können“, so Herborn. Er spricht sich sowohl für 2G-Regelungen in noch mehr Bereichen aus als auch für eine Rückkehr zu kostenlosen Bürgertests. „Wir haben nun einmal die Situation, dass auch geimpfte Menschen infiziert werden und ein Teil von ihnen ebenso stationärer Behandlung bedarf“. Auf den Intensivstationen sei der Anteil der Geimpften weiterhin gering.
UKE-Arzt Prof. Stefan Kluge: Delta für Zahlen verantwortlich
"Viele Menschen verstehen nicht, dass die Deltavariante des Coronavirus so ansteckend ist. Das wiegt unseren Impffortschritt auf und hat die ursprüngliche Projektion, die wir über den Verlauf der Pandemie hatten, zerstört. Ohne Delta hätten wir womöglich schon einen Freedom Day.“ Das sagt UKE-Intensivmediziner Prof. Stefan Kluge. Kassenärzte-Chef Walter Plassmann empfiehlt derweil, die Tests auch auf Geimpfte auszudehnen. Grund: Auch sie könnten das Virus weitergeben und wiegen sich häufig in falscher Sicherheit.
Der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit sieht sowohl das 2G-Modell als auch die Aussagen von Montgomery kritisch. Es bestehe keine Impfpflicht – entsprechend verböten sich auch pauschale Schuldzuweisungen. Ungeimpfte, die keine Corona-Leugner seien, müssten überzeugt und nicht beschimpft werden.