Hamburg. Werden die Schrebergärten in Othmarschen dem Erdboden gleichgemacht? Über die unsichere Situation der Kleingärtner im Grünen Kamp.
Die meisten Parzellenpforten sind bewusst nicht verschlossen. Einige Nachbarn verzichten zudem auf trennende Zäune. Der Weg durch die Grünoasen ist für Spaziergänger frei. Und die Gartenzwergquote hält sich in Grenzen. Nicht nur auf den ersten Blick ist die Kolonie „Grüner Kamp“ abseits des Altonaer Krankenhauses meilenweit entfernt vom spießigen Muff, den mancher mit Schrebergärten verbindet.
Kleine Gärten und Freizeit an frischer Luft sind im Trend – durch Corona mehr denn je. Auch junge Familien erkennen die Vorzüge eines eigenhändig kultivierten Stücks Land inmitten der Großstadt. Parzellen in Hamburg sind begehrt: Wer sich für ein Areal bewirbt, muss im Schnitt sieben bis acht Jahre warten. Dafür kostet die Pacht pro Parzelle im Durchschnitt weniger als 20 Euro im Monat. Unbezahlbar ist die Arbeitszeit. Im Landesbund der Gartenfreunde in der Hansestadt sind fast 44.000 Mitglieder mit mehr als 33.000 Kleingartenparzellen vereint.
Wie geht es weiter für den Kleingartenverein „Grüner Kamp“ in Altona?
Auch bei Familie Brasch ist die Gartentür an diesem sonnigen Altweibersonnabend einladend geöffnet. Zwischen einem liebevoll bepflanzen Hügel, Rabatten, Hecken und kleinen Bäumen schafft die einjährige Soléy just die ersten Schritte. Da die ältere Schwester Elín mit Verwandten in Dänemark weilt, muss Mutter Jytte als Spielgefährtin herhalten.
Es gibt eine Menge zu erkunden auf der 350 Quadratmeter großen Parzelle 553. Dass die viel befahrene Behringstraße und die Autobahn 7 nahe liegen, ist in dieser grünen Idylle weder zu hören noch zu spüren. Der Alltag scheint weit weg. Die „Kolonie Sechs“ des Heimgartenbunds Altona ist eine Welt für sich. Allerdings ist sie nicht nur heil.
„Wir genießen unser Paradies“
Erst mal wollen wir uns den schönen Seiten eines Hobbys widmen, das Einsatz verlangt. Natürlich. Dafür kann man irgendwann die Früchte ernten. Familie Brasch, die das Grundstück plus Laube gemeinsam mit Freunden pflegt, freut sich über Aprikosen- und Granatapfelbäumchen – aus Kernen selbst gezogen.
„Wir genießen unser Paradies“, sagt Lucas Brasch. Vor der fast 80 Jahre alten Holzhütte hat er vier Stühle aufgestellt. Loge mit Ausblick. Außerdem nehmen zwei erfahrene Kleingartenprofis Platz: Beate Hufnagel, promovierte Pharmazeutin und Vorsitzende des Vereins, sowie Doris Foitzik, promovierte Kulturwissenschaftlerin, gleichfalls im Vorstand aktiv. Alle wohnen um die Ecke, in Ottensen.
Ein Schrebergarten verpflichtet
Die Frauen hegen ihre Schrebergärten seit Jahrzehnten; sie wissen um Vergnügen wie Pflichten. Geschenkt gibt’s nichts, wie jede Gärtnerin weiß. Doris Foitziks Parzelle vis-à-vis, der wir zuvor eine Stippvisite abstatteten, ist ein Traum. Zwischen Laube, Teich, Rosenstöcken, Vogelhäusern und blühendem Allerlei gedeihen Apfel-, Birnen-, Kirsch- und Mirabellenbäume. Die Zäune zu den Nachbarn wurden vor drei Jahren entfernt. Läuft prima.
„Anfangs war es nicht leicht“, sagt Frau Foitzik aus Erfahrung. Sie meint die Arbeit im Garten, die ihr als Hobby belastungsfrei von der Hand geht, aber auch die Stellung als alleinerziehende Mutter in der Kolonie. Bei der Gründungsversammlung des Kleingartenvereins am 19. Dezember 1913 im Itzehoer Hof am Bahnhof der selbstständigen Stadt Altona führten gutbürgerliche Herren das Regiment: Bürodirektor, Stadtinspektor, Mittelschullehrer.
Ungewisse Zukunft: Was passiert wann und wie?
„Eine Menge hat sich gewandelt“, weiß Mitstreiterin Beate Hufnagel. Sie ist seit 44 Jahren im Verein, fast die Hälfte davon als Vorsitzende. Seitdem gehört eine offene Diskussion zur Kultur des Heimgartenbunds Altona. Politische Themen sind keinesfalls tabu. Durch den Bau des Autobahndeckels ist die Zukunft des Geländes ungewiss – nicht nur zwischen Bernadotte- und Behringstraße. Keiner weiß genau, wann was wie passiert. Sicher scheint nur, dass die Kolonie Sechs am Schwengelkamp in ein paar Jahren plattgemacht wird. Als Bauland für neue Wohnungen?
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„Lieber acht Jahre mit als ohne eigenen Garten“, meint die studierte Modedesignerin Jytte Brasch. „Für uns ist jeder Monat ein Gewinn“, ergänzt Ehemann Lucas. „Unser Garten ist gewachsen.“ So und so. Der Politikwissenschaftler studiert im fünften Semester Zahnmedizin in seiner Geburtsstadt Hamburg. Nach mehrjähriger Wartezeit kamen die Familien Brasch und Engels im November 2020 zum Zuge.
Voller Einsatz der Initiative „Apfelbaum braucht Wurzelraum“
Einem grob skizzierten Plan zufolge ging es auf der heruntergekommenen, öden Grünfläche voran. Ausgestochene Grassoden ergaben einen Hügel. Dort gedeihen fast 50 verschiedene Pflanzen: mehrere Thymian-Sorten, weitere mediterrane Kräuter, Blumen, Brombeeren, schwarze Johannisbeeren. Es ist ein Eldorado, auch für Insekten. Im kommenden Frühjahr soll eine bereits ausgehobene Kuhle mit Folie ausgestattet und in einen Teich verwandelt werden.
Beim traditionellen Obstfest auf der Bienenwiese wurden 55 Apfelsorten unterschieden – darunter der kaminrote Adamsapfel, Altländer Pfannkuchenapfel, Geheimrat Dr. Oldenburg oder der Ruhm von Kirchwerder. Vielfalt dieser Art verlangt Einsatz. Nicht nur manuell. Beate, Doris und andere engagieren sich in der Bürgerinitiative „Apfelbaum braucht Wurzelraum“. Das gefällt nicht jedem in den Behörden. Natürlich nicht.
Der junge Herbst schreit nach Arbeit. Jytte, Lucas und Co. wollen Rasenkanten abstechen, Hecken schneiden, das Loch im Laubendach reparieren. Bei Bedarf wird professioneller Rat eingeholt: Gesa und Wolfgang von nebenan wissen Bescheid. Ihre Familie war schon dabei, als der Verein vor 108 Jahren an den Start ging. Kaum vorstellbar, dass man auf den künftigen Autobahndeckel umziehen soll. Ob dort wieder so gute, starke Wurzeln schlagen?