Hamburg. Auch Gerhard Strate macht dem Senat Vorwürfe: Stadt will die guten RKI-Zahlen ignorieren, um Öffnungen hinauszuzögern.

Die Zahlen des Robert Koch-Instituts (RKI) für Hamburg schüren Hoffnungen: Am Freitag blieb die Inzidenz den dritten Tag in Folge unter der magischen Marke von 100.

Der Blick in den Paragrafen 28 des Infektionsschutzgesetzes zeigt: „Unterschreitet in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt ab dem Tag nach dem Eintreten der Maßnahmen des Absatzes 1 an fünf aufeinander folgenden Werktagen die Sieben-Tage-Inzidenz den Schwellenwert von 100, so treten an dem übernächsten Tag die Maßnahmen des Absatzes 1 außer Kraft. Sonn- und Feiertage unterbrechen nicht die Zählung der nach Satz 1 maßgeblichen Tage.“

Inzidenz in Hamburg: Senat will eigene Zahlen zum Maßstab machen

Im Klartext: Spätestens am Montag könnte der fünfte Tag sein – und dann würde damit die Bundes-Notbremse außer Kraft treten. Darin sind beispielsweise die nächtliche Ausgangssperren, Kontaktverbote oder das Schließen von Läden oder Theatern festgehalten. Darf Hamburg also auf Öffnungen hoffen? Eher nicht.

Denn Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD), der sich sonst stets für bundeseinheitliche Regeln stark macht, will sich offenbar nicht mehr an die gemeinsamen Regeln halten. Der Senat plant, die eigenen Zahlen der Sozialbehörde zum Maßstab machen – die aber eben noch deutlich über 100 liegen. „Die RKI-Werte sind als Mindestgrenze auf jeden Fall einzuhalten, das Infektionsschutzgesetz lässt ein konsequenteres Vorgehen aber ausdrücklich zu“, sagte nun Senatssprecherin Julia Offen.

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Gleich mehrere Juristen sehen das ganz anders und äußerten sich empört über das Vorgehen der Stadt: „Es drängt sich mir der Eindruck auf, dass der Senat offenbar für den Fall des Unterschreitens dieses Schwellenwerts sich zu eigenen Berechnungen ermächtigt fühlt. Das ist ein klarer Verstoß gegen die Vorgaben des Gesetzes. Es gilt allein das Wort des RKI“, sagt Starjurist Gerhard Strate, der die nächtliche Ausgangssperre in Hamburg kippen wollte – jedoch ohne Erfolg.

Der Hamburger Starjurist Gerhard Strate ist fassungslos, wie der Senat mit den RKI-Zahlen umgeht (Archivbild).
Der Hamburger Starjurist Gerhard Strate ist fassungslos, wie der Senat mit den RKI-Zahlen umgeht (Archivbild). © picture alliance / dpa | Armin Weigel | Unbekannt

„Dass hier plötzlich die angeblich genaueren Zahlen der Hamburger Gesundheitsbehörden gelten sollen, ist ein klarer Gesetzesverstoß.“ Strate geht noch weiter: „Die Zumutungen, die der 'Automatismus' des im Infektionsschutzgesetz vorgesehenen Grundrechtsentzugs im Falle der Überschreitung bestimmter Schwellenwerte mit sich bringt, wird jetzt noch getoppt durch einen Senat, der selbst diesen Automatismus nicht mehr gelten lässt, wenn der Automatismus zugunsten der Grundrechte sich auswirkt. Ich bin fassungslos.“

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Jurist: "Hamburg tritt den Rechtsstaat mit Füßen“

Er steht mit seiner Empörung nicht allein. Ein anderen Spitzenjurist aus Hamburg, der aus nachvollziehbaren Gründen nicht genannt werden möchte, sagte: „Bei uns gilt die Bundesnotbremse, soweit nicht die Eindämmungsverordnung etwas anderes regelt. Damit hat sich Hamburg auch den offiziellen Zahlen des RKI unterworfen und kann jetzt nicht anders agieren.“

Das sei hier der Fall. „Wir sind hier doch nicht bei Rechtsgrundlagen-Wünsch-Dir-Was! Hamburg tritt den Rechtsstaat mit Füßen.“

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