Hamburg. Fünf Hamburgerinnen schildern, was sich bei ihnen im vergangenen Jahr privat und beruflich durch das Virus geändert hat.
Die Friseurin
Friseurin hat 35 Prozent weniger Umsatz – und leiht sich Geld vom Vater
Für Steffi Heinze ist das vergangene Jahr weitaus mehr als eine haarige Angelegenheit. Auch wenn sie in wenigen Tagen wieder öffnen darf, die Friseurmeisterin blickt definitiv auf das härteste Jahr ihrer Karriere zurück, seit sie sich vor 18 Jahren mit ihrem Salon Salounge in der Peter-Marquard-Straße 6 in Winterhude selbstständig machte.
Der zweite Lockdown hat sogar das sonnige Gemüt der tierliebenden Friseurin gebeutelt. „Im ersten Lockdown hatte ich wesentlich weniger Ängste als im zweiten“, sagt sie, „da war ich noch sehr viel optimistischer. Jetzt fühle ich den Würgegriff.“ Denn die rund 35 Prozent an Umsatzeinbußen, die sie seit Mitte März einstecken musste, könne sie niemals wieder aufholen – auch wenn sie die Preise um gut sechs Prozent anheben werden müsse.
„Mein Vater hat mir Geld geliehen, damit ich die Versicherungen, Miete für den Laden und Lohnkosten weiter bezahlen kann“, sagt Heinze, die ihre Vollzeitkraft Janne unbedingt weiter voll bezahlen wollte.
Gemeinsam mit ihrem Vater hat sie dann auch im Frühjahr, als der Frisiersalon geschlossen war, einen neuen Fußboden verlegt, der mit Desinfektionsmitteln zu putzen ist, und sich und ihr Team auf die Bedingungen eingeschworen, die ab der Wiedereröffnung galten und gelten: „Wir tragen alle Masken, es gibt einen Friseurstuhl weniger, nur drei Kunden dürfen gleichzeitig rein, und wir schneiden Haare nicht mehr ungewaschen“, sagt Heinze, die auf 48 Quadratmetern färbt, wäscht, schneidet, föhnt, stylt, klönt, tröstet und zuhört. „Ich möchte natürlich, dass sich alle sicher fühlen.“
Im Großteil sehr positiv sei das Feedback gewesen, „ein Gefühl, dass unsere Kunden dankbar waren, dass wir ihnen ein kleines Stück Alltag wiedergeben“, meint Heinze. Nach der Ankündigung des zweiten Lockdowns vor Weihnachten sei dann allerdings „Hysterie ausgebrochen“, so die Winterhuderin: „Ich hatte an dem Wochenende 50 Terminanfragen, sodass wir an beiden Tagen 14 Stunden durchgeschnitten haben.“
Das vor Weihnachten traditionell schon volle Terminbuch quoll über, auch nach der Ankündigung zur Öffnung ab dem 1. März war die erste Woche binnen Stunden ausgebucht. „Während der gesamten Zeit habe ich die Nachrichten aufmerksam verfolgt und versucht, etwas zwischen den Zeilen herauszulesen“, erzählt sie.
„Noch nie in meinen 25 Berufsjahren hatte ich mehr als zwei Wochen Urlaub, aber genießen konnte ich diese Zeit des Leerlaufs nicht.“ Für Aufmunterung sorgten immer wieder zwei Lebewesen, die nie einen Termin bei Steffi Heinze brauchen: ihre Golden Retriever Knut und Kalle. Camilla John
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Die Krankenschwester
Die Krankenschwester kümmert sich um Sterbende
„Als Anfang und Ende des Lebens sind Geburt und Tod heilige Momente, in denen ich den Menschen beistehen möchte“, sagt Miriam Eckert, die seit 20 Jahren als Krankenschwester und ebenso lange in Leitungsfunktionen tätig ist – erst auf der Wochenstation, dann auf der Palliativstation der Asklepios Klinik Altona.
Seit Oktober ist die 43-Jährige dort mit einem Teil ihres „Palli-Teams“ auf der Covid-Station im Einsatz. „An vorderster Front“, wie sie selbst es beschreibt. Heilige Momente gibt es hier nicht. Nur schwer kranke Patienten – an die Sauerstoffzufuhr angeschlossen, einsam, weil Besuch nicht erlaubt ist, mit Atemnot, Angst und oftmals Schmerzen.
„Das berührt mich sehr“, sagt Miriam Eckert. Besonders schlimm wäre es für sie, wenn sie die Situation leidender Patienten nicht verbessern könne. Wenn die Sauerstoffzufuhr ihren Bedarf nicht mehr decke. Dann bliebe nur, den Kranken entspannende Medikamente zu geben oder sie auf die Intensivstation zu verlegen. „Sofern sie das nicht durch eine Patientenverfügung ausgeschlossen haben.“ Belastend an ihrer Arbeit findet die Othmarschenerin auch den Riesenaufwand durch die vielen Schutzmaßnahmen.
„Maske und Schutzkleidung anlegen, regelmäßige Händedesinfektion, Corona-Abstriche vornehmen, die Schutzausrüstung organisieren – das erfordert alles sehr viel Energie und nimmt neben meiner eigentlichen Tätigkeit, der Krankenpflege, einen großen Teil des Arbeitstages ein“, sagt sie. Und die FFP2-Masken, die jetzt dauerhaft getragen werden müssen, seien zwar nötig, aber lästig. „Sie drücken schon nach kurzer Zeit auf der Nase und hinter den Ohren.“
Die OP-Masken während des ersten Lockdowns wären deutlich angenehmer gewesen. Damals gab es im AK Altona sechs Betten für Corona-Patienten in einem Extrabereich der Zentralen Notaufnahme. Die Covid-Station wurde zuerst von März bis Mai, dann wieder im Oktober eröffnet, nachdem die Fallzahlen in Hamburg in die Höhe schnellten – erst mit 20, dann mit 30 Betten.
Als sie erfahren habe, dass sie dort eingesetzt wird, habe sie „nicht Hurra geschrien“, gibt die Krankenschwester zu. Die Skepsis ihres Mannes, der sich Sorgen machte, dass sie sich bei den hochinfektiösen Patienten ansteckt, teilte sie jedoch nicht. „Ich habe großen Respekt, aber keine Angst“, sagt sie. „Schließlich weiß ich selbst am besten, wie gut ich geschützt bin.“ Natürlich hofft sie, dass Corona bald besiegt ist und sie auf die Palliativstation zurückkehren kann.
Doch sie weiß auch, dass eine ganz besondere Fähigkeit von ihr und ihrem Team auch auf der Covid-Station sehr wichtig ist: eine besonders emotionale Nähe zu den Patienten aufbauen zu können. Und für diese sind Kranke, die um Luft ringen, ebenso dankbar wie Sterbende. Friederike Ulrich
Die aktuellen Corona-Fallzahlen aus ganz Norddeutschland:
- Hamburg: 2311 neue Corona-Fälle (gesamt seit Pandemie-Beginn: 430.228), 465 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (davon auf Intensivstationen: 44), 2373 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1435,3 (Stand: Sonntag).
- Schleswig-Holstein: 1362 Corona-Fälle (477.682), 623 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 39). 2263 Todesfälle (+5). Sieben-Tage-Wert: 1453,0; Hospitalisierungsinzidenz: 7,32 (Stand: Sonntag).
- Niedersachsen: 12.208 neue Corona-Fälle (1.594.135), 168 Covid-19-Patienten auf Intensivstationen, 7952 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1977,6; Hospitalisierungsinzidenz: 16,3 (Stand: Sonntag).
- Mecklenburg-Vorpommern: 700 neue Corona-Fälle (381.843), 768 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 76), 1957 Todesfälle (+2), Sieben-Tage-Wert: 2366,5; Hospitalisierungsinzidenz: 11,9 (Stand: Sonntag).
- Bremen: 1107 neue Corona-Fälle (145.481), 172 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 14), 704 Todesfälle (+0). Sieben-Tage-Wert Stadt Bremen: 1422,6; Bremerhaven: 2146,1; Hospitalisierungsinzidenz (wegen Corona) Bremen: 3,88; Bremerhaven: 7,04 (Stand: Sonntag; Bremen gibt die Inzidenzen getrennt nach beiden Städten an).
Die Filialleiterin
Hinter Spuckschutz: Eine Filialleiterin hält die Stellung
Reis, Nudeln und Klopapier: Wie überall im Einzelhandel haben die Hamburger auch in der Budni-Filiale in Eilbek zu Beginn der Pandemie gehamstert. Vitamine haben sich ebenfalls gut verkauft: „Alles, was der Immunabwehr helfen kann, wurde stark nachgefragt“, sagt die 30 Jahre alte Melinda Angsten, Leiterin der Filiale in der Conventstraße.
Inzwischen wird kaum noch gehamstert, aber das Kaufverhalten hat sich dennoch verändert. „Ich glaube, wir haben noch nie so viele Grußkarten verkauft wie im letzten Jahr“, sagt Angsten. Menschen schreiben sich wieder – vielleicht auch ein positiver Aspekt in der Pandemie.
Das Eilbeker Budni-Team berät auch mehr, seit Corona in Hamburg angekommen ist. Ein Plausch, den man woanders gerade nicht halten kann. So hört Angsten auch, womit sich die Menschen in Lockdown-Zeiten beschäftigen. In der Drogerie würden die Eilbeker kaufen, was ansonsten nicht direkt verfügbar ist, zum Beispiel Produkte zum Selbermachen. Da die Friseure noch geschlossen haben, kaufen junge Mädchen etwa Utensilien fürs Lockenmachen oder eine bestimmte Haarfarbe aus dem Online-Tutorial, das sie sich zu Hause angesehen haben.
Als Filialleiterin berät und kassiert Angsten und räumt Ware ein wie ihre Kolleginnen und Kollegen. Sie ist aber auch „die Mutti, sage ich immer gerne. Die guckt, dass alles läuft und dass alles da ist.“ Im März 2020 hatte Angsten daher erst mal ihren Urlaub verschoben, um für ihre zehn Mitarbeiter da zu sein. Ängste habe es im Team nicht gegeben, auch, weil von der Firma schnell Masken und Pläne für das weitere Vorgehen kamen. Nies- & Spuckschutz wurden Mitte März 2020 in der Filiale installiert.
Die Drogerie blieb geöffnet, während andere Läden schließen mussten – daher gab es 2020 auch um einiges mehr an Bewerbungen in Angstens Filiale. „Ich würde sofort jemanden auf 20-Stunden-Basis einstellen, damit er etwas hat“, sagt sie. Ging aber leider nicht, da es derzeit keinen Bedarf in der Filiale gibt. Bei Budni herrscht ein Stück weit Alltag, Normalität – nur mit Maske und Abstand.
Zu Hause sehe die Welt auch bei ihr anders aus als früher, sagt Angsten. Normalerweise wäre sie in ihrem Urlaub durch Eppendorfer Läden gebummelt oder hätte ihre Mama öfter zum Eisessen getroffen. „Ich gehe aber im Moment auch nicht spazieren.
Sobald die Sonne draußen ist, wird es überall brechend voll.“ Stattdessen hat sie an ihren freien Tagen Nintendo Switch gespielt, war im Garten – und hat sich darauf gefreut, wieder arbeiten zu gehen. Trotzdem: „Endlich mal wieder etwas anderes machen zu können als Alltagsdinge. Nicht nur vom Freund in den Arm genommen zu werden, sondern auch mal wieder so richtig von der Mutti – das wäre schon schön.“ Kaja Weber
Die Erzieherin
Die Erzieherin kümmert sich um die Kleinsten – und fühlt sich vergessen
Der Applaus, wie er im vergangenen Frühjahr von fast jedem Balkon im Generalsviertel, wo Kaia Weinert wohnt, zu hören war, hallt in ihrer Erinnerung noch nach. Selbstverständlich habe auch sie die unglaublichen Leistungen der Krankenschwestern, Pfleger und Ärzte beklatscht, sagt die 54-Jährige. „Aber ich habe mich auch manchmal leise gefragt: Was ist denn eigentlich mit uns? Haben sie uns Erzieher einfach vergessen?“
Erst jetzt, fast ein Jahr später, spricht die Politik davon, dass Erzieher und Lehrer doch priorisiert geimpft werden sollten, weil sie eben doch einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt sind. „Kuscheln, trösten, singen, vorlesen – das geht ja auch gar nicht auf Abstand“, sagt Kaia Weinert, die 1987 ihre Ausbildung zur Kindergärtnerin, wie es damals noch hieß, abgeschlossen hat und sich seither mit Herz und Leidenschaft um die Kleinsten unserer Gesellschaft kümmert.
Seit Anfang 2013 leitet sie in der Lokstedter Elbpiraten-Kita eine Krippengruppe mit maximal 16 Kindern im Alter zwischen zwölf Monaten und drei Jahren. Plötzlich, so scheint es jetzt, schätzen Politiker und aber auch Eltern, wie wichtig und „systemrelevant“ Erzieher sind. Allein deshalb, damit die „Systemrelevanten“ auf Station, an der Kasse und auf Streife sein können.
Die Nachricht vom ersten Lockdown erreichte Kaia Weinert just, als sie mit ihren Kollegen ein „Team-Wochenende“ in Timmendorf verbrachte. Nur noch Notbetreuung ab Montag, hieß es. „Es war gut, dass wir zufällig alle zusammensaßen, so konnten wir den Schock besser verarbeiten und uns überlegen, was wir jetzt aus der Situation machen.“ Die erste Schließzeit habe man in der kleinen, privat geführten Kita „sehr effektiv“ genutzt: renoviert, das Handbuch zum Qualitätsmanagement überarbeitet, den digitalen Morgenkreis etabliert.
„Das war natürlich gerade für mich als Ältere erst mal nicht ganz einfach mit der Technik“, sagt die Mutter eines erwachsenen Sohnes. „Aber so sind wir zumindest ein bisschen mit unseren Kindern in Kontakt geblieben.“ Zu manchen habe sie im Frühsommer, als die Kitas in der „neuen Normalität“ wieder in den Regelbetrieb gingen, dennoch erst wieder eine Beziehung aufbauen müssen. „Für manche Kinder war das wie eine neue Eingewöhnung.“
Als es auf Weihnachten zuging und die Corona-Fallzahlen auch in Hamburg rasant stiegen, da habe sie nicht mehr nur ein „mulmiges Gefühl“, sondern auch Angst gehabt, sich anzustecken. Bis zum 23. Dezember habe sie gearbeitet, obwohl sie natürlich Heiligabend mit ihrer Mutter, einer Risikopatientin, verbringen wollte.
Wie sich das Coronavirus in einer Kita ausbreiten kann, sollte sich nur wenige Wochen später in der anderen Elbpiraten-Einrichtung in Bahrenfeld zeigen, wo 13 von 14 Mitarbeiter, einige Kinder und deren Familien krank wurden. Trotz Vorsichtsmaßnahmen, wie sie auch in Lokstedt von Anfang an konsequent umgesetzt worden waren, mit Maskenpflicht für die Eltern und gestaffelten Bring- und Abholzeiten.
Sie sei sehr, sehr froh, bei den Elbpiraten zu arbeiten, sagt Kaia Weinert. Weil der Zusammenhalt und die Kollegialität in der familiär geführten Kita groß sind. Weil niemand aus dem Team in Kurzarbeit geschickt wurde. Und weil der Geschäftsführer, selbst HNO-Arzt, das Team seit Jahresende auf seine Kosten jeden Freitag durchteste. „Dann geht man einfach mit einem besseren Gefühl ins Wochenende.“
Kaia Weinert hofft gemeinsam mit ihren Kollegen, dass es bald wieder „normal“ läuft in ihrer Kita. „Wir vermissen natürlich unsere Kinder.“ Aber dennoch sei Vorsicht geboten, und die behördlichen Regeln seien richtig und wichtig. „Einfach, damit wir alle in diesen Zeiten gesund bleiben.“ Vanessa Seifert
Die Mutter
Zerrieben zwischen Digitalunterricht und Homeoffice: Mutter von fünf Kindern am Ende ihrer Kräfte. Nachts bekam sie Herzrasen.
Irgendwann war es so schlimm, dass Martina Schimmer Herzrasen bekam, sie zitterte, und es ging ihr psychisch und körperlich sehr schlecht. Das war während des ersten Lockdowns, als ihre Kinder bereits wochenlang nicht zur Schule gingen, ihr Mann und sie beide im Homeoffice arbeiten mussten, und es an ihr lag, ihrer Tochter Helena (damals in der zweiten Klasse) Schreiben, Lesen, Rechnen und Sachunterricht zu Hause beizubringen.
Und sich auch um ihre jüngste Tochter Elisabeth zu kümmern, die im Frühjahr in die Kita ging. Die Corona-Pandemie hat die fünffache Mutter aus Winterhude an ihre Grenzen gebracht. Zerrissen zwischen der eigenen Berufstätigkeit und dem Homeschooling ihrer Kinder.
Die Belastung, sich um die Schule und das Wohlergehen ihrer Kinder kümmern zu müssen, nebenbei noch in der Verwaltung von Immobilien im Homeoffice zu arbeiten, war zu hoch. Einen Arzt hat sie nicht aufgesucht, „ich weiß ja, warum ich diese Beschwerden habe“, sagt sie. Es lag auch daran, nie eine Minute für sich zu haben. „Bei jedem Mama-Ruf durchzuckte es mich wie ein Blitz.“ Ständig parat stehen zu müssen, das kann an die Nerven gehen.
Dabei geht es der 50-Jährigen und ihrer Familie finanziell gut, sie wohnen in einem Haus und haben keine existenziellen Sorgen. Wie zerbrechlich die eigene Stabilität und die der Familie sein kann, das hat die Pandemie der Mutter von fünf Kindern gezeigt – die Jüngste ist sieben und jetzt in der ersten Klasse, die Achtjährige geht in die dritte Klasse, ihr 17 Jahre alter Sohn möchte Abitur machen, und die Zwillinge sind 25 und studieren bereits.
„Diese tödliche Langeweile der Kinder, diese lähmende, depressive Gefühl, das sich auf die Familie legt. Das hat nichts mit dem Bildungsstand oder der finanziellen Situation zu tun, das kann jeden treffen“, sagt sie. Am Anfang der Pandemie war sie noch froh darüber, dass die Schulen und Kitas zu waren.
Als Asthmatikerin hatte sie von Anfang an Angst vor dem Virus. „Erst habe ich mit den Kindern noch Sachen gemacht wie backen oder Beete anlegen, weil ich dachte, der Unterrichtsstoff steht nicht so im Vordergrund.“ Dass sich das im Laufe des ersten halben Jahres der Pandemie änderte, haben sie und ihre Tochter Helena dann aber erfahren müssen.
Drei Stunden täglich haben die beiden mit dem Unterrichten zu Hause verbracht und Versäumtes in den Sommerferien nachgeholt. Es gab didaktische Anleitungen von der Schule („die haben sich stets sehr bemüht“) und immer wieder neue Vorgaben. „Wer nicht sehr gut Deutsch spricht und einen gewissen Bildungsstand hat, wer keinen Computer und Drucker zu Hause hat, für den muss es unmöglich sein, das alles nachvollziehen zu können.
Und man muss schon sehr gut organisiert sein, um das Kind zu Hause zu unterrichten“, sagt die gelernte Erzieherin. Ihrem 17-Jährigen Sohn ging es im ersten Lockdown psychisch schlecht. Sonst Frühaufsteher, blieb er einfach im Bett liegen. Keine Freunde treffen, keinen Sport machen zu können – das geht an die Substanz. Als die Schulen wieder öffneten, ging es allen gut damit. „Angst vor einer Infektion, weil die Kinder in die Schule gehen, hatten wir nie und haben wir nicht“, sagt sie.
Jetzt im zweiten Lockdown läuft alles entspannter, ihr Sohn ist motivierter und macht gut mit, und die Schulen sind besser vorbereitet als im Frühjahr. Martina Schimmer geht es besser, weil sie ihre Töchter in die Betreuung in die Schule schickt. Denn weitere Monate Homeschooling wären gesundheitlich nicht gegangen, und ihr Mann hätte seinen Job als Ingenieur gekündigt.
„Wir waren fix und fertig.“ In der Schule allerdings findet nicht der reguläre Unterricht statt. „Um die Kinder, die zu Hause lernen, nicht zu benachteiligen“, sagt Frau Schimmer. Drei Stunden ist eine Lehrerin vor Ort, zwei Stunden ein Erzieher oder Erzieherin.
Dass sie nicht als systemrelevant gilt und ihre Töchter dennoch in die Grundschule schickt, dafür war und ist sie immensem Druck ausgesetzt vonseiten der Schule oder von anderen Eltern.
„Ich schicke meine Töchter nicht aus Spaß in die Schule“, sagt sie. Sie kennt andere Mütter, die am Ende ihrer Kräfte sind, plötzlich weinen, weil sie nicht mehr können. Sie fordert, die Schulen unbedingt wieder zu öffnen, unter verbesserten Hygienebedingungen. „Ich kenne nur sehr wenige Eltern, die sich Sorgen machen, wenn die Schulen öffnen. Schulen müssen endlich als systemrelevante Institutionen gelten und prinzipiell geöffnet bleiben wie Lebensmittelläden auch.“ Geneviève Wood