Hamburg. Ob Erst-, Zweit- oder Drittimpfung: Im Cardiologicum steht allen Impfwilligen die Tür offen. Dahinter steht eine Hamburger Familie.

Vor dem Eingang wehen die Fahnen im Wind, die Tür steht weit auf, es fehlt eigentlich nur das „Willkommen“-Schild: In Hamburgs einwohnerstärkstem Bezirk Wandsbek hat sich direkt am Bus- und U-Bahnhof ein Mini-Impfzentrum gegen das Coronavirus entwickelt. Stand es lange im Schatten der Messehallen, wo das Massen-Immunisieren zum 31. August eingestellt wurde, ist nun ein neuer Boom durch das Boostern zu erwarten.

Das sind die Auffrischungsimpfungen, die zunächst vollständig Geimpfte über 70 Jahren sechs Monaten nach ihrer zweiten Spritze erhalten sollen, außerdem Heimbewohner, medizinisches Personal und Geimpfte, die das Einmal-Vakzin von Johnson & Johnson bekommen haben. Die Wandsbeker Praxis wird betrieben vom Cardiologicum, eigentlich ein großes Medizinisches Versorgungszentrum für Gefäß- und Herzpatienten. Doch nur die eigene, zum Teil an erheblichen Vorerkrankungen leidende „Kundschaft“ zu impfen, das war den Ärzten im Cardiologicum zu wenig.

Cardiologicum in Hamburg impft nach Stiko-Empfehlung alle

Sie suchten geeignete Räume, bauten um, auch ihre Homepage, richteten eigene Impfzeiten ein und sperrten die Türen für alle Impfwilligen auf. Herzchirurgin Dr. Birte Jungfer und ihr Team waren so begehrt, dass sie im Auftrag der Seemannsmission Besatzungen von Containerschiffen impften, mit eigenen mobilen Teams Schüler in Schulen und sogar Mitarbeiter der Kassenärztlichen Vereinigung impften. In einer bisweilen kaugummizähen Impfkampagne sind Jungfer und Co. die absoluten Tempomacher.

Diplomatisch sagt sie: „Wir waren überrascht, wie lange es gedauert hat, bis die Behörde begonnen hat, in den Hamburger Schulen zu impfen.“ Sicher: Alles müsse nach den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (Stiko), der Zulassungsbehörde, geregelt sein. Doch in Wandsbek ist die Ungeduld mit Händen zu greifen, dieses Coronavirus endlich zu dem zu machen, was andere Infektionskrankheiten auch sind: beherrschbar.

Was die Impfärztin den Skeptikern entgegenhält

Dr. Birte Jungfer im Cardiologicum
Dr. Birte Jungfer im Cardiologicum © Marcelo Hernandez | Unbekannt

„Wir werden Corona nicht los“, sagt Jungfer. „Wir müssen uns darauf einstellen, dass es vielleicht halbjährliche oder jährliche Auffrischungsimpfungen geben wird.“ Will sagen: Na und? Gegen Masern oder Grippe kann man sich doch auch impfen lassen. Das ganze Emotionale der Debatte um Impfstoffe und Risiken sehen die Ärzte viel nüchterner. Folgen einer Behandlung abzuschätzen, ist für sie Routine.

Jungfer meint: „Wenn Menschen noch immer sagen, es gebe ja nicht genügend Daten über die Impfstoffe und Impffolgen, dann stimmt das einfach nicht. Es gibt durch viele, auch internationale Studien riesige Fallzahlen.“ Und es sei für sie nicht ganz nachvollziehbar, „warum man die Menschen nicht fragen darf, ob sie geimpft sind. Bei Masern und Röteln macht man das doch auch.“

Sie ist überrascht, wie viele Ungeimpfte noch zögern. Die 2G-Regeln, bei denen Hamburg voranpreschte, hätten offenbar Druck ausgeübt. Viele kämen und sagten: „Ich muss ja.“ Während Jungfer vor allem Lehrern und Kita-Mitarbeitern eine Auffrischung empfiehlt, nimmt sie auch die Generation 20 plus in den Blick. „Wir wollen im Cardiologicum zum Beispiel auch Jüngeren ein Impfangebot machen, die möglicherweise keinen Hausarzt haben.“

Biontech bald auch für Kinder ab 5 Jahren?

Die große Unsicherheit zu Beginn des weltweiten Impfens noch vor einigen Monaten ist einem entspannteren Umgang mit dem Pandemie-Bekämpfer von Biontech/Pfizer gewichen. Das ist jetzt der „Booster“ der Wahl. Im gut gesicherten Kühlschrank in Wandsbek steht er in den kleinen Fläschchen wie ein Allerweltsstoff. Aufbereitet wird er nach wie vor nach strengen Regeln. 30 Tage ist er haltbar. Vorbei die Zeiten, da wenige dieser Fläschchen von Bundespolizisten geschützt in das Hamburger Impfzentrum gekarrt wurden.

Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick

Nach ersten Anzeichen in den USA wird auch hierzulande damit gerechnet, dass die Europäische Arzneimittelbehörde EMA in einigen Wochen den Impfstoff von Biontech/Pfizer auch für Fünf- bis Elfjährige zulässt. Jungfer sagt: „Auch für Kinder sind die Risiken bei einer Corona-Infektion erheblich größer als die sehr seltenen Nebenwirkungen einer Impfung. Jedes Kind auf einer Intensivstation ist eines zu viel.“

Hamburger Verlegerfamilie Bauer an Cardiologicum beteiligt

Wie die Hausärzte wissen auch die Verantwortlichen des Cardiologicums, dass mit dem Impfen kein Geld zu verdienen ist. Im Gegenteil: Die Umorganisation der Praxen, die Mitarbeiter motivieren, die Bürokratie bedienen und mit den Patienten lange diskutieren – das ist viel Aufwand für 20 Euro pro Patient.

Auch wenn die Familie es „weder bestätigen, noch dementieren, noch kommentieren“ möchte, ist nach Abendblatt-Informationen die Hamburger Verlegerfamilie Bauer („Bravo“, „Cosmopolitan“, „Das Neue Blatt“) großer Anteilseigner am Wandsbeker Cardiologicum. Bei privaten Engagements sei man „hanseatisch zurückhaltend“.