Hamburg. Areej Zindler kam aus Palästina nach Hamburg. Im Interview erklärt die Psychiaterin, worauf es im Umgang mit Ukrainern ankommt.

Dr. med. Areej Zindler weiß, was zu tun ist. Die 48-Jährige ist Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie sowie Traumatherapeutin am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) und kam selbst 1993 aus Palästina nach Hamburg. Die gebürtige Saudi-Araberin ist mit dem Thema Flucht gut vertraut, da sowohl ihr Vater als auch weitere Familienmitglieder während des Sechstagekrieges 1967 aus Palästina fliehen mussten. Zudem ist sie kurz nach ihrer Ankunft in Hamburg bei einer Deutschen untergekommen und weiß, was es bedeutet, sich ohne die jeweiligen Sprachkenntnisse in einem fremden Land zurechtzufinden.

Frau Zindler, was genau brauchen Geflüchtete, wenn sie bei uns in Deutschland ankommen?

Areej Zindler: Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass sie Menschen brauchen, die ihnen zeigen, wie das Leben in Deutschland konkret funktioniert.

Da leiten Sie gleich zu meiner nächsten Frage über. Was genau muss ich bedenken, wenn ich mich dazu entscheide, jemanden bei mir zu Hause aufzunehmen?

Zindler: Ich bin damals bei einem Mitglied des Zonta Clubs in ihrer Wohnung aufgenommen worden. Doch die Tür zu dem Zimmer, wo ich schlafen sollte, hatte ein Milchglasfenster. Ich habe direkt gesagt, dass ich nicht möchte, dass man durch die Tür hindurchschauen kann. Meine Gastgeberin ist daraufhin losgezogen und hat eine Gardine besorgt. Im Nachhinein lachen wir darüber, weil wir mittlerweile wie Mutter und Tochter sind. Aber damals war das sehr wichtig für mich. Auch in der Küche hatte ich einen eigenen kleinen Bereich, wo ich meine Sachen lagern konnte.

Das bedeutet, dass es wichtig ist, dass ich der Person Raum gebe?

Zindler: Ja, genau. Es muss gar nicht viel Platz sein. Auch ist es wichtig, klare Regeln zu vereinbaren. Man sollte im Vorhinein abklären, wie lange man seinen Wohnraum zur Verfügung stellen kann und auch, wie viel Zeit man für die Betreuung aufbringen kann. Ganz entscheidend ist zudem, dass man abklärt, ob es eine gemeinsame Kasse gibt.

Dr. Areej Zindler ist am UKE Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie
Dr. Areej Zindler ist am UKE Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie © Fred Willenbrock | Fred Willenbrock

Und wie kann ich die Personen psychisch unterstützen?

Zindler: Das Wichtigste, was diese Menschen im Moment brauchen ist das Gefühl von Sicherheit. Direkt danach folgt auch schon Struktur. Sicherheit wird vor allem dadurch geschaffen, dass man klare Kommunikation pflegt. Das bedeutet, die Geflüchteten genau über den Zeitraum zu informieren, bis wann sie bleiben können und ihnen auch Informationen an die Hand zu geben, wie sie anschließend eine neue Bleibe finden können. Darüber hinaus stellt sich die Frage der Kommunikation. Wenn eine Seite beispielsweise nur Ukrainisch kann und die andere nur Deutsch. Dann wäre es von Vorteil, würde sich der Gastgeber zumindest einfache Vokabeln auf Ukrainisch aneignen. Das zeigt Engagement. Außerdem sollte man sich selbst immer fragen: Warum genau will ich helfen? Erwarte ich womöglich anschließend Dankbarkeit von dieser Person?

Wie verhalte ich mich in Bezug auf das Erlebte der Geflüchteten? Spreche ich die Betroffenen darauf an?

Zindler: Nein. Man sollte eine Vertrauensbasis aufbauen und anbieten, dass die Betroffenen von Ihrem Erlebten erzählen können. Wenn Menschen dann beginnen, von ihrem Erlebten zu erzählen, würde ich einfach zuhören und immer wieder sagen „Gut, dass Sie das geschafft haben.“ Positive Verstärkung ist wichtig, aber das Ganze sollte natürlich auch ernst gemeint sein. Man kann so etwas sagen wie „Sie haben eine richtige Entscheidung getroffen“ oder „Sie sind eine starke Person.“

Woran merke ich, dass die geflüchtete Person vielleicht professionelle Hilfe braucht?

Zindler: Wenn eine Person beispielsweise dauerhaft weint, lethargisch in der Ecke sitzt oder wenn eine Mutter nicht in der Lage ist, auf ihre Kinder einzugehen, dann ist das meist ein Anzeichen dafür. Dann muss man natürlich handeln. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden viele geflüchtete Kinder im Alter von drei bis fünf Jahren jetzt auch anfangen, einzunässen. Das bedeutet aber nicht unbedingt, dass sie sofort eine Psychotherapie benötigen. Das sind aber Symptome, die andeuten, dass die Psyche belastet ist. In so einem Fall ist es wichtig, die Mutter und das Kind aufzuklären. Deshalb haben wir von der Flüchtlingsam­bulanz zusammen mit verschiedenen Hamburger Institutionen und Stiftungen der Sozialbehörde vorgeschlagen, in den Unterkünften psychoedukatorische Schulungen anzubieten. Dort könnte den Fragen nachgegangen werden: Was macht der Krieg mit mir und meinem Kind? Welche Symptome können auftreten? Aber auch die Schulung von Menschen, die mit Geflüchteten zu tun haben, ist wichtig. Deshalb raten wir, Sprechstunden in den Unterkünften anzubieten. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird aber die Mehrheit der Geflüchteten keine Psychotherapie brauchen. Viele der Geflüchteten haben jedoch auch oft Schlafstörungen. Dann telefonieren sie manchmal nachts mit ihrer Familie in der Heimat. Als Gastgeber muss man sich darüber bewusst sein, dass diese Menschen andere Rhythmen haben können. Falls es deshalb zu Problemen kommen sollte, ist die offene Kommunikation das Allerwichtigste.